MATTHEW CORBETT in den Fängen des Kraken. Robert Mccammon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Mccammon
Издательство: Bookwire
Серия: Matthew Corbett
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958355026
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Mortimer antwortete nicht. Vielleicht, so dachte Matthew, konnte er nicht.

      »Waren wir dir nicht gut genug?«, fragte sie. »Waren wir nicht stark genug?«

      Schließlich kam die hohl gekrächzte, harte Antwort. »Ihr wart zu gut für mich. Jetzt weiß ich das … wo ich durch den Spiegel … der Zeit zurückschauen kann. Und ich war zu schwach … um diese Dinge … in mir … loszulassen. Zu schwach. Und dabei dachte ich … dass ich so ungemein stark bin. Jetzt sieh dir an, Tochter … was ich bin und was ich habe …. seht es als Warnung an«, sagte er zu Matthew, Oberley und dem Arzt, »was aus einem Mann werden kann … der nie ganz … aus dem kleinen dunklen Schrank herausgekommen ist … und immer noch … still und verängstigt drinsitzt.«

      Der Mund mit den offenen Wunden im schweißglänzenden Gesicht bewegte sich. »Ich werde nicht um Gnade bitten. Aber ich werde sagen … was ich nie zu meinem Vater und auch keinem anderen Menschen auf dieser Erde je gesagt habe … dass es mir leidtut.« Das Auge schloss sich wieder und Lord Mortimer sank zurück in die Kissen. »Es tut mir leid«, keuchte er. »Es tut mir leid.«

      Christina stand bewegungslos da. Sie starrte ihren Vater mit Augen an, die Eisen hätten schmelzen können, dachte Matthew. Es war genauso schwer, sie anzusehen, wie ihn. Etwas in ihrem Gesicht bewegte sich. Oder etwas darunter. Es war schwer zu sagen, was. Matthew fragte sich, ob ihre Erinnerungen je gelindert werden konnten, denn sie war in den Qualen – und Fehlern – der Vergangenheit genauso gefangen wie Lord Mortimer. Sie waren sich tatsächlich sehr ähnlich.

      Von unten erklang das KlackKlackKlack des Türöffners.

      Der reiche Mann öffnete die Augen. Er schnappte nach Luft. Sein Blick suchte den von Matthew und fand ihn.

      »Er ist gekommen«, wisperte Lord Mortimer. »Bitte. Ich flehe Euch an … haltet ihn auf. Nur eine kurze Weile. Wir sind noch nicht fertig. Noch nicht fertig. Oder … Tochter?«

      Sie tat einen langen, schluchzenden Atemzug. Sie war die am meisten Gequälte, und doch versuchte etwas tief in ihr – vielleicht Willensstärke – sich zu behaupten.

      »Nein«, antwortete sie, ebenfalls im Flüsterton. »Nein, Poppa … wir sind noch nicht fertig.«

      »Bitte … Corbett … haltet ihn auf, nur noch einen Augenblick …«

      »Ja, Sir«, sagte Matthew, wandte sich ab und ließ Oberley und Dr. Baker im Schlafzimmer zurück, während er in der Erwartung nach unten ging, den Vikar oder jemanden ähnliches aus Oak Bridge anzutreffen. Doch in der Eingangshalle stand ein junger, gutaussehender Mann, den Bess gerade ins Haus gelassen hatte. Der in einen dunklen Umhang und Dreispitz mit lila Hutband gekleidete junge Mann lächelte Matthew an. »Seid gegrüßt, Sir. Ich bin gekommen, um Lord Mortimer zu sehen.«

      »Lord Mortimer ist krank.«

      »Ja, das weiß ich.«

      »Sterbenskrank«, sagte Matthew.

      »Auch das weiß ich. Die Zeit drängt, Sir. Könnt Ihr mich zu ihm führen?«

      »Und weswegen seid Ihr gekommen?«

      »Ich bin gekommen, um dem Leiden ein Ende zu setzen«, sagte der junge, gutaussehende Mann mit freundlichem Lächeln.

      Ein Engel bin ich nicht

      Vielleicht war Matthew einen Schritt zurückgewichen. Er wusste es nicht. Der junge Mann – der vielleicht nur zwei oder drei Jahre älter als Matthew war – hatte ein freundliches, offenes Gesicht und eine umgängliche Art. Er nahm seinen Dreispitz mit schwarzbehandschuhten Händen ab. Seine Haare waren blond und fein wie Seide, seine Augen hatten die Farbe von Rauch. Er knöpfte seinen Umhang auf. Darunter trug er einen gut geschneiderten schwarzen Anzug und eine dunkellila Weste.

      »Ihr habt doch wohl keine Angst vor mir … oder, Mr. Corbett?«

      »Was?«, fragte Matthew.

      »Ihr tratet einen Schritt zurück. Habe ich etwas gesagt, das Euch beunruhigt?«

      »Mein Name. Woher wusstet Ihr …?«

      »Aus New York, nicht wahr? Eine hübsche Stadt. Immer sehr viel los. Nein, ich behalte meinen Umhang und Hut bei mir«, sagte er zu Bess. »Aber danke trotzdem.«

      Die rauchfarbenen Augen richteten sich wieder auf Matthew. »Es ist spät, Sir. Ich habe noch andere Termine. Bitte bringt mich zu Lord Mortimer.«

      Matthew spürte seinen Atem in den Lungen stottern. »Wer seid Ihr?«

      »Ich bin nur ein einfacher Bote. Ein Überbringer von Botschaften. Aber jetzt … ich bin von weither gekommen. Ich würde meinen Termin mit Lord Mortimer gern beschließen und mich dann so schnell wie möglich wieder auf den Weg machen. Diese Dinge sollte man nicht unnötig hinauszögern.«

      »Diese Dinge? Welche Dinge?«

      »Erledigungen wie meine«, sagte der gutaussehende Mann. Sein Lächeln hatte nichts von seinem Strahlen verloren, auch wenn Matthew meinte, dass die Augen sich verdunkelt hatten. »Also wirklich, Sir, für mich geht es hier um ein zu erledigendes Geschäft. Ich bedauere Lord Mortimers Zustand natürlich, aber …« Er zuckte die Achseln. »Auch das ist ein Teil des Lebens, nicht wahr?«

      »Ein furchtbarer Teil«, sagte Matthew vorsichtig. Er wusste nicht, was zuerst nachgeben würde … seine Knie oder sein Verstand.

      »Ganz und gar nicht!«, kam die lebhafte Antwort. »Von den Pflichten, Sorgen und Problemen des Lebens befreit zu werden soll furchtbar sein? Einen Blick aufs andere Ufer werfen zu können ist furchtbar? Sich des Sklavenjochs der Schmerzen und Makel des Fleisches zu entledigen ist furchtbar? Ach, Mr. Corbett … Ihr und ich, wir sollten eines Tages zusammen ein Glas Bier trinken und uns lange darüber unterhalten, wie schön es ist, aus dieser Welt erlöst zu werden.«

      »Ganz sicher nicht allzu bald … denke ich«, sagte Matthew.

      Aus dem Lächeln wurde ein Grinsen. »Wie Ihr wollt. So, nun aber … versucht Ihr etwa, mich aufzuhalten?«

      »Äh …« Er war wie vor den Kopf geschlagen und benebelt. Sein Magen schlug Purzelbäume. Sein gesamter Oberkörper fühlte sich fiebrig heiß an und sein ganzer Unterkörper wie eingefroren. Er konnte – konnte – es nicht glauben, dass er sich mit dem Tod in Menschengestalt unterhielt. Er konnte es nicht. Es war einfach unmöglich.

      »Von wo seid Ihr gekommen, Sir?«, schaffte er zu fragen.

      »Von meinem Herkunftsort.«

      »Wo ist der?«

      »Einen langen Ritt von hier entfernt.«

      »Ihr seid zu Pferde gekommen?«

      »Ja, natürlich. Erwartet Ihr, dass ich die Arme ausstrecke und fliege? Man nennt mich ja vieles, aber ein Engel bin ich nicht. Bitte, Sir … es ist am besten, wenn wir das hinter uns bringen. Habt Mitleid mit einem einsamen Reisenden, ja?«

      »Wo ist Euer Pferd?«

      »Mein Pferd habe ich unten am Hügel gelassen. Wo die Kutsche steht. Dieses ganze Eis ist … schlimm. Mein Pferd heißt Somnus, wenn Ihr’s wissen wollt.«

      »Und wie ist Euer Name?«

      »All diese Fragen … aber das sollte man wohl von einem Problemlöser erwarten. Na gut! Ich heiße Clifton. Kenyard mit Vornamen. Passt Euch das?«

      »Ist das Euer echter Name?«

      »So echt, wie Ihr meint«, sagte der Mann. »Also wirklich! Es hilft nicht, es herauszuzögern! Ich habe einen Termin bei Lord Mortimer!« Ein Stirnrunzeln flackert über sein Gesicht. »Die Nacht neigt sich dem Ende zu, Sir! Ich habe noch viele Meilen vor mir. So … ich habe Geduld … aber ich mag nicht, wenn man mit mir spielt. Ich mag nicht, wenn man mich zurückweist, denn dies muss erledigt werden. Um dem Leiden ein Ende zu setzen, wie