»Freilich, aber dann dürfen die anderen nicht dabei sein.«
»Sonst kommt er wohl nicht?«
»Nee, ganz alleine müssen wir sein.«
»Alleine, mitten in den hohen Bergen?«
»Ja, – ganz alleine.«
Pommerle gruselte es wohl ein wenig, aber in dem Gedanken, daß ihm Jule treu zur Seite stehen werde, wollte es doch eine Begegnung mit dem Berggeiste Rübezahl, der jeden Wunsch erfüllte, herbeiführen.
Die nächsten Tage packte Pommerle seinen kleinen Rucksack ein und aus. Er war so vollgestopft, daß gar nichts mehr hineinging. Frau Bender blickte fragend auf das Kind.
»Was hast du denn alles mitgenommen, Pommerle?«
Nun kam es heraus, daß das kleine Mädchen das neue weiße Kleid und die neuen Schuhe eingepackt hatte.
»Wozu brauchst du denn die Sachen, Pommerle?«
»Für den Onkel Rübezahl.«
Frau Bender lachte. »Der Rübezahl sieht dich auch in einem dunklen Kleidchen genau so gern. Nun komm, jetzt wollen wir gemeinsam deinen Rucksack packen, damit du nicht zu schwer daran zu tragen hast.«
»Nehmen wir die Frau Krause auch mit?«
Frau Krause war die Aufwartung, die neben dem Dienstmädchen hin und wieder die groben Arbeiten verrichtete. Frau Krause hatte sich tief in Pommerles Herz geschlichen, denn die ältliche Frau konnte so wunderschöne Geschichten erzählen. Es imponierte der Kleinen ohnehin, daß Frau Krause Aufwartung machte. Das Wort klang ihr gar lieblich im Ohr.
In der Schule war Pommerle jetzt nicht mehr recht aufmerksam. Sein ganzes Denken war nur auf die bevorstehende Fahrt in die Berge gerichtet. Der Lehrer mußte mitunter ernste Worte sagen, um das kleine Mädchen zur Aufmerksamkeit anzuhalten, Pommerle war darüber zwar ein wenig geknickt, erzählte auch Jule davon, und der meinte:
»Hm, – dazu sind ja die Lehrer da.«
»Aber man muß doch was lernen, Jule, sonst bleibt man dumm.«
»Ich habe auch nichts gelernt,« meinte der Knabe, »und bin klüger als der Herr Professor, denn ohne mich könnte er seine dicken Bücher nicht schreiben.«
»Warum denn nicht, Jule?«
»Hahaha, – wie soll er denn schreiben, wenn er keine Steine hat! Die habe ich ihm doch alle gebracht. Einen ganzen Sack voll, – drum schreibt er ja auch so dicke Bücher.«
Nachdenklich blickte die Kleine vor sich nieder.
»Wenn du mir einen Sack Steine bringst, könnte ich auch nichts schreiben. Dazu muß man doch einen so klugen Kopf haben, wie ihn mein Onkel hat.«
Jule schnippte verächtlich mit dem Finger. »Auf den Kopf kommt es nicht an, Purzelbäume kann er doch nicht schießen.«
»Ach,« rief Pommerle und klatschte in die Hände, »Jule schieß los, ich sehe das so gerne!«
Aus dem Garten schallte bald helles Jauchzen des Kindes, denn Jule gab Vorstellung. Er konnte auf den Händen laufen, konnte wie eine Katze an den Bäumen emporklettern, konnte sich an den Aesten hin und her schwingen und gab sich dabei den Anschein, als stürze er in die Tiefe, von Zeit zu Zeit kreischte er fürchterlich auf, um dann, wenn auch Pommerle ein entsetztes Gesicht machte, in helles Spottlachen auszubrechen.
»Kleine Mädchen sind furchtbar dumm,« sagte er geringschätzig.
»Kannst du auf den Händen laufen?«
»Nein.«
»Soll ich dir's beibringen?«
»Ach ja!« Pommerles Gesichtchen glühte. »Kannst du lange laufen?«
»Oho, ich – – wenn du willst, laufe ich bis zur Schneekoppe!«
»Auf den Händen?«
»Na, meinst du auf dem Kopp!«
»Jetzt zeige, wie man's macht, Jule!«
»Kostet fünfzig Pfennige.«
»Die habe ich nicht, Jule.«
»Dann mußt du sie dir von deiner Tante geben lassen. In der Schule bezahlt man doch auch. Jede Lehrstunde kostet Geld. – Na, willst du Unterricht?«
»Soll ich nicht erst die Tante fragen?«
»Quatsch, – das wird doch eine Ueberraschung für sie. Das kannst du ihr zum Geburtstag schenken. Dann kommst du auf den Händen angelaufen und gratulierst. – Das wird sein!«
Und nun begann die Unterrichtsstunde. Jule packte die Beine des kleinen Mädchens, hielt sie in die Luft und befahl: »So, nun lauf!« Ja, so lange Jule die Beine hielt, ging es; als er sie aber losließ, war der Spaß zu Ende. Eben wollte man noch einmal versuchen, da erschien Frau Bender.
»Was macht ihr denn da?«
Jule zog sich sogleich hinter einen Baum zurück, Pommerle indessen eilte der Tante erregt entgegen.
»Ich habe Unterricht, Tante. – Der Jule kann auf den Händen bis zur Schneekoppe laufen, und das will ich auch lernen.«
»Das ist nichts für kleine Mädchen, Pommerle. Kleine Mädchen brauchen nicht auf den Händen zu laufen, das sollte der Jule doch wissen.«
»Warum soll ich das nicht lernen, Tante?«
»Weil sich so etwas für kleine Mädchen nicht schickt. – Es ist nicht hübsch, wenn du auf dem Kopfe stehst und wenn man von dir die Röckchen und die Höschen sieht. Das darf nicht sein, Pommerle.«
»Dann werde ich es sein lassen,« sagte die Kleine,
»Jule!« Frau Bender rief den Namen laut in den Garten. Aber der kauerte hinter dem Baum und gab sich den Anschein, als höre er die rasende Stimme nicht. Erst als Frau Bender den Garten wieder verlassen hatte, kam er zum Vorschein.
»Sie ist fort, nun machen wir weiter.«
»Nein,« gab Pommerle energisch zurück, »die Tante will es nicht.«
»Ich will auch manches nicht, was sie will,« sagte Jule ergrimmt, »kein Mensch fragt danach. Sie freut sich schließlich doch, wenn du aus den Händen läufst.«
»Nein, es geht nicht.«
»Ha, warum denn schon wieder nicht?«
»Es schickt sich nicht für kleine Mädchen, hat die Tante gesagt, weil dann die Leute die Höschen und die Röckchen sehen.«
Jule schaute nachdenklich auf das vor ihm stehende Kind. Dann sagte er plötzlich: »Dann ziehen wir eben die Höschen und die Röckchen aus.«
»Aber, Jule! Dann sieht man bei mir ja die nackten Beinchen. – Nein, es darf nicht sein.«
»Du bist ja dumm,« sagte der Knabe. »Aber Mädchen sind eben immer zimperlich, und große Herren sollten mit Mädchen gar nicht spielen. – Aber die fünfzig Pfennige mußt du mir doch geben.«
»Ich werde die Tante darum bitten. Du kannst sie dir von der Tante holen kommen.«
»Nu, so dumm,« knurrte Jule, »damit sie mich auszankt! Die fünfzig Pfennige kriege ich von dir. Und wenn du sie mir nicht bringst, sollst du mal sehen!«
Pommerle wurde es fast ängstlich zumute. Aber da lachte Jule und meinte:
»Ich will dir das Geld schenken, aber du mußt mir auch immer etwas von deiner belegten Schnitte abgeben, wenn ich Hunger habe.«
»Das kannst du haben!«
Damit war der Frieden wieder geschlossen. Man saß einträchtig nebeneinander, und Pommerle erzählte aufs neue, wie schön die Ostsee sei. Jule aber lag im Grase, hatte die Arme unter dem Kopfe verschränkt, hörte gar nicht hin,