»Ich und mein Mann, wir haben die gleiche Ausbildung und gleich gute Jobs. Eigentlich. Aber kaum hatte ich ein Kind bekommen und war zu Hause, war ich automatisch für alles andere in den häuslichen vier Wänden verantwortlich. Da ich ja sowieso zu Hause bin, gewissermaßen.«
Anette, 35, zwei Kinder
Manche Mütter sind da sicher empfindlicher als andere. Einerseits, weil es sie härter trifft, weil sie Männer haben, die sie nicht unterstützen, oder weil sie keinen Beistand von Verwandten und Freunden erwarten können. Oder das Leben überhaupt ist schwierig, die ökonomischen Verhältnisse sind schlecht, und Probleme gehören zum Alltag. Auch eine tragische Kindheit mit großen Schmerzen und erstarrten Bedürfnissen kann den Hintergrund bilden.
Und andererseits können manche Mütter auch biologisch verletzlicher sein. Sie sind genetisch empfindlicher, haben größere Schwierigkeiten, Aggressivität zu zeigen und Grenzen zu setzen. Auch eine extrem schwere Geburt kann für lange Zeit Spuren hinterlassen. Die Stillhormone beeinflussen verschiedene Frauen unterschiedlich stark.
Vielerlei Dinge spielen hinein. Die Persönlichkeit des Kindes hat auch einen Einfluß auf die Familie. Der rundliche fröhliche Cherubim treibt natürlich die Dinge nicht so auf die Spitze wie eine kleine unruhige Seele mit Koliken und durchwachten Nächten.
Alles kommt zusammen. Erbe oder Umwelt? Vermutlich sowohl als auch. Das wichtigste ist, keine Schuld zu empfinden. Sie sind keine schlechte Mutter, wenn Sie niedergeschlagen oder deprimiert sind. Das ist ausgesprochen normal, verständlich und überhaupt nicht schlimm.
Die Depression könnte sogar gewisse biologische Vorteile haben. Während einer Periode der Niedergeschlagenheit schaltet der ganze menschliche Körper auf Sparflamme. Man bewegt sich langsamer, spricht langsamer und spart dadurch Energie. Davon könnten die Menschen Nutzen gehabt haben zu Zeiten, wo das Essen knapp war und ein Kind gestillt werden sollte!
(Am Biomedizinischen Zentrum in Uppsala hat der Wissenschaftler Lars Terenius mit seinem Team in den 80er Jahren nachgewiesen, daß bestimmte Typen von Geburtspsychosen eine klare biologische Ursache haben. Es handelt sich um Mütter, deren Körper die Milch falsch abbaut. Sie bilden opiumähnliche Stoffe aus den Proteinen der Milch, und diese wiederum führen zu psychotischen Halluzinationen und Abgestumpftheit gegenüber der Umwelt. Diesen »still-psychotischen« Müttern hat Terenius in einigen Fällen geholfen, indem er ihnen geraten hat, abzustillen. Mit dem Verschwinden der Milch verschwanden auch die Symptome. Abzustillen reicht jedoch nicht als Hilfe für alle psychotischen jungen Mütter. Manche brauchen für längere Zeit nach der Geburt Therapie und Medikamente, um wieder gesund zu werden.)
Wenn Sie den Eindruck haben, daß die Niedergeschlagenheit sehr lange andauert, daß sie nur schwer erträglich ist, dann scheuen Sie sich nicht, die Ärztin oder die Hebamme nach Rat zu fragen. Es gibt Hilfe.
Ein »Zweigänger« werden
Vermutlich werden Sie sich in den ersten Tagen zu einem richtigen Einzelgänger entwickeln, besser gesagt: Zweigänger, denn Sie wollen am liebsten allein mit ihrem Baby sein. Die Welt drumherum verliert an Bedeutung. Das Kind wird zum Zentrum Ihres Daseins. Menschen, die Sie besuchen wollen, empfinden Sie eher als störend, auch solche, die Ihnen sonst sehr nahestehen.
»Als wir dann zu Hause waren, wollten alle auf einen Kaffee vorbeikommen. Sie wollten das Kind sehen und blieben stundenlang. Es war schrecklich, und ich bekam richtige Angstattacken. Ich wollte sie nicht da haben, hatte aber das Gefühl, nicht nein sagen zu können.«
Marianne, 29, ein Kind
Dieses Verhalten ist aus biologischer Sicht ausgesprochen funktionell. Ein neugeborenes Kind hat eigentlich nur die Immunabwehr, die es aus der Gebärmutter mitbringt. Und da andere Menschen die schlimmste Ansteckungsquelle sind, die man sich denken kann, ist es durchaus vernünftig, die Besuche einzuschränken. In manchen Krankenhäusern herrscht deshalb auch Besuchsverbot, außer für Väter und vielleicht noch Geschwister. Aber das wichtigste ist, daß Mutter und Kind für sich sein dürfen. Sie müssen jetzt ihre Sprache entwicklen. Beide brauchen das Zusammensein, wo die Mutter sich ungehemmt auf ihr Kind konzentrieren kann.
Wie sieht mein Kind aus, wenn es Hunger hat? Müde ist? Und wie läßt sich Unlust am schnellsten beseitigen? Nur in der Stille und Abgeschiedenheit hat man genug Ruhe, um all das Neue zu lernen. Je mehr Mutter und Kind in Frieden gelassen werden, desto schneller lernen sie einander kennen.
Und dann gibt es ja auch noch die Prägung. Je mehr Zeit eine Mutter mit ihrem Kind zubringt, desto schneller hinterläßt sie Spuren. Die Prägung gibt der Beziehung Stabilität und dem Kind Geborgenheit.
Die ersten Tage nach der Geburt sind ganz einfach eine Zeit, in der die Natur Mutter und Kind vom übrigen Leben fernhalten will.
Weiße Nächte
Im Krankenhaus und in Ratgeberbüchern wird der jungen Mutter empfohlen, nach der Geburt gründlich auszuschlafen. Viele Frauen haben in den letzten Wochen der Schwangerschaft schlecht geschlafen, und die Vernunft sagt einem natürlich, daß man sich nun ausruhen muß.
In vielen Studien ist festgestellt worden, daß frischgebackene Mütter nicht schlafen wollen oder können.
An der City University of New York hat man herausgefunden, daß der Schlafmangel gegen Ende der Schwangerschaft die Mütter am Tag nach der Geburt überhaupt nicht beeinflußt hat. Die Frauen, die vor der Geburt schlecht geschlafen hatten, waren nicht erschöpfter als diejenigen, die vor der Entbindung besser geschlafen hatten. Die Wissenschaftler maßen auch den Grad an Unruhe, Gereiztheit und Depression, alles normale Anzeichen für Schlafmangel. Ergebnis: Die Frauen mit schlechtem Schlaf hatten die gleichen Werte wie die Frauen der Konrollgruppe.
An der University of Washington in Seattle lief eine Studie mit Frauen, die gerade geboren hatten. Ihr Schlaf wurde alle 15 Minuten während acht Nachtstunden kontrolliert. Durchschnittlich waren die Mütter bei 15 (!) der 32 Messungen wach. Die Gründe für das Aufwachen waren, daß das Kind trinken wollte, daß die Frauen aufs Klo mußten oder von anderen geweckt wurden, die redeten, das Radio anhatten, ein Kind fütterten, nach der Schwester riefen usw.
Die Wissenschaftler untersuchten auch die Möglichkeiten für tieferen Schlaf, in dem man sich körperlich und mental richtig erholen kann. Um in die tieferen Schlafregionen zu gelangen, benötigt man 90 Minuten zusammenhängenden Schlaf. Im Durchschnitt bekamen die Frauen zwei bis drei solcher zusammenhängender Schlafportionen. Eine Frau schlief während der ganzen Nacht überhaupt nicht zusammenhängend.
Am Tag danach sollten die Frauen berichten, wie sie sich fühlten. Die meisten fühlten sich ausgeruht! Als sie die Qualität ihres Schlafs beurteilen sollten, hatten die meisten den Schlaf als gut oder ausgezeichnet erlebt. Und dies, obwohl der Schlaf für die außenstehenden Wissenschaftler alles andere als ausreichend gewirkt hatte.
Die amerikanische Studie schließt mit besorgten Überlegungen über den fehlenden Schlaf der Mütter. Sie rät, daß die Krankenhäuser alles tun müßten, um die Störungen der Mütter zu vermeiden usw. Aber die Frage ist doch, ob die Natur gewollt hat, daß die jungen Mütter so viel schlafen. Mußte eine frischgebackene Mutter nicht ständig auf der Hut sein, damit das Kind überlebt? Warum würde die Natur uns sonst mit Hormonen ausstatten, die genau die Aufgabe haben, die Müdigkeit fernzuhalten?
Vielleicht gehört der Schlafmangel der ersten Tage ganz einfach zum Mutterwerden dazu. Mütter sind dafür geschaffen, das auszuhalten. Und das Kind lebt sicherer, wenn die Mutter wach ist oder sehr leicht schläft. Aber natürlich darf der Schlafmangel nicht andauern, das hält niemand aus. (Mehr über den Schlafmangel im Kapitel »Die große Müdigkeit«.)
»Ich habe in den vier Tagen im Krankenhaus kaum geschlafen. Früher wäre ich daran eingegangen, ich bin schrecklich abhängig von genug Schlaf. Jetzt lief