Die Kommerzialisierung beschränkt sich nicht auf die Kindheit. Bis eine Frau in die Fünfziger kommt, hat sie bereits gelernt, dass die Menopause ein lästiges Übel ist und mitnichten den Übergang von einem Lebensstadium in ein anderes markiert. Bioidentische Hormone oder eine Hormonersatztherapie mögen für einige Frauen hilfreich sein, vermarktet aber wird beides von großen wie kleinen Pharmaunternehmen mit der Botschaft, dass es das einzig Vernünftige und die optimale Art zu leben sei, diese hormonelle Umstellung zu bekämpfen. Natürlich ist es für manche Frauen physisch und/oder psychisch schwierig, wenn ihre Menstruation ausbleibt, aber die Botschaft, dass das Übel unbedingt bekämpft werden muss, wird mit der dringenden Warnung vor Gedächtnis- und Knochenschwund in die Welt hinausgepumpt. Wir dürfen nicht altern. Altern gilt als Schande, nicht als Ausdruck von Wissen und Weisheit und dann auch eines Abbauprozesses. Siebzig ist das neue Fünfzig. Nur dass das nicht stimmt. Zwanzig Jahre verändern einen Menschen biologisch und auf der Erfahrungsebene. Wünsche und Verlangen verlagern sich, neue Herausforderungen stellen sich, das Denken reflektiert eine längere persönliche Geschichte usw. Das alles liegt auf der Hand und wird dennoch ignoriert.
Frauen werden ermutigt, die Grenzen der Fortpflanzungsfähigkeit zu verschieben und deren lästige Begleiterscheinungen zu kontrollieren. Eine junge Frau mag heute durchgängig die Pille nehmen, um keine Periode mehr zu haben, und sich dann einer Behandlung mit follikelstimulierenden Hormonen unterziehen, um sich Eizellen entnehmen zu lassen. Altern gilt nicht mehr als absolute Fortpflanzungsgrenze. Das Scheinargument lautet, dass es nie eine Rolle gespielt hat, wie alt der Vater war, warum also Bedenken wegen des Alters der Mutter haben? Altern und Sterben werden heute als Gebrechen und als potenziell unnötig begriffen. Fast jede Woche findet sich in britischen oder US-amerikanischen Zeitungen eine Story über den jüngsten Durchbruch bei der Verhinderung des Alterns. Kryonik, Fasten und die Erforschung der Rolle von Genen wie dem MC1R-Gen gehören zum neuen Wissenschaftsgebiet der Alternsforschung. Senolytika genannte Wirkstoffe sollen alternde Zellen töten, und Krebsmedikamente wie Dasatinib oder der Radikalfänger Quercetin werden dazu eingesetzt, die Lebensspanne von Zellen zu verlängern.[6] Es wird nicht mehr lange dauern, bis Gentherapie-Kosmetika auf den Markt kommen, die die »Behinderung« aufzuheben versprechen, dass man so alt aussieht, wie man ist, während uns KI helfen wird, verloren gegangene Erinnerungen und Fähigkeiten wiederzuerlangen.
Zugleich verändern Umweltchemikalien den Körper. Penelope Jagessar Chaffer zeigt in ihrem Film Toxic Baby (2016), dass puertoricanische Mädchen, die in der Nähe von Produktionsstätten für Verhütungspillen wohnen, bereits menstruieren, bevor sie in die Schule kommen. Das ist ein schwerwiegender Befund. Eine 2010 in Pediatrics erschienene Studie ergab, dass mittlerweile 15 Prozent der US-amerikanischen Mädchen schon mit sieben in die Pubertät kommen.[7] Warum? Man nimmt an, dass die Chemikalie Bisphenol A und verschiedene in Kunststoffen und Dosenbeschichtungen vorkommende Phthalate im Verbund mit den Hormonmengen, die durch die industrielle Landwirtschaft in unsere Nahrungsmittel und unser Grundwasser gelangen, das endokrine System beeinflussen. Wir lernen immer mehr über die Auswirkungen der menschlichen Zivilisation auf das Wasser. Während ich dies schreibe, zeigt ein Bericht der New York Times auf, wie sich das Ökosystem des Pazifiks in Nordkalifornien dadurch verändert, dass die wärmere Wassertemperatur Purpur-Seeigel anzieht. Diese Seeigel-Art grast nämlich den Tang ab, der das Meer reinigt.[8] Nicht nur unser Körper, auch die Körper anderer Arten erfahren unerwartete Veränderungen. Ein schlagendes Beispiel sind Frösche, die Atrazin ausgesetzt sind, einem Herbizid, mit dem Mais, Salat und andere Anbaupflanzen gespritzt werden. Wenn dieses Herbizid in Frosch-Habitate einsickert, macht es Kaulquappen zu Zwittern. Dr. Tyrone Hayes von der University of California in Berkeley hat nachgewiesen, dass Atrazin den Testosteronspiegel nominell männlicher Frösche unter den weiblicher Frösche senkt.
Menschliches Gender-Bending stellt die engen und einengenden Konzepte von Weiblichkeit und Männlichkeit infrage. Nicht ohne Grund erfahren in jüngerer Zeit Hyperfeminität und Hypermaskulinität eine Renaissance – es ist eine Reaktion auf die in den 1970er-Jahren eingeleitete Aufweichung der Geschlechternormen, die nicht nur ein breiteres Bewusstsein der Tatsache mit sich brachte, dass es Personen gibt, die trans sind, sondern es auch Individuen vermehrt ermöglichte, ihre sekundären Geschlechtsmerkmale zu ändern. Doch diese kulturelle Entwicklung, die viele Menschen sehr begrüßen, lässt sich nicht auf Frösche übertragen, da bei ihnen kein freier Wille vorliegt. Das Paradoxe ist: Die Kultur verändert sich schnell, aber die Natur verändert sich noch schneller, weil Chemikalien, Bohrungen und die Umleitung von Wasserressourcen unseren Planeten schädigen. Und diese Veränderungen könnten irreversibel sein.
Dieses Buch geht der Frage nach, wie und warum unser Körper ein so williges Objekt der Transformation geworden ist – warum er für Transformationen zu haben ist, die zunächst reizvoll sind, sich dann aber als außerstande erweisen, die Leiden und Schrecken einzudämmen, denen wir Individuen ebenso ausgesetzt sind wie unsere Umwelt. Es untersucht, was in unserer Zeit mit dem Körper geschieht und warum. Es stellt einige Extrembeispiele vor, fordert aber gleichzeitig dazu auf, die ganz alltäglichen Dinge, die wir heute tun, kritisch zu überdenken. Es präsentiert eine Entwicklungstheorie aus der Perspektive des Körpers, zeigt auf, wie die Ursprungsfamilie verschiedene Arten von Körperunsicherheit fördern kann, wie sie das Gefühl erzeugen kann, dass der Körper, den wir haben, irgendwie nicht unser wahrer Körper ist. Das Buch erörtert die visuelle Kultur und die Mechanismen, über die sie uns beeinflusst, uns eine Form der Zugehörigkeit in Aussicht stellt, wenn wir nur selbst den Bildern entsprechen, die wir sehen. Und es untersucht, wie die visuelle Repräsentation eines bestimmten verwestlichten Körpertypus junge Menschen in jenen Ländern, die qua Globalisierung in die Moderne eintreten, dazu treibt, sich einen Körper zulegen zu wollen, der möglicherweise mit dem Körper, den sie haben, im Widerstreit liegt. Die Versuche junger Menschen in Japan oder Fidschi, Saudi-Arabien oder Kenia, ihren Körper umzumodeln, stehen symptomatisch für das Problem des Unwohlseins im eigenen Körper rund um die Welt. Körperhass ist mittlerweile ein heimlicher westlicher Exportschlager.
Ein Streben nach Selbstannahme, das sich auf den eigenen Körper fixiert, ist kennzeichnend für unsere Zeit. Durch die nähere Betrachtung von Menschen mit Körperproblemen hoffe ich, Antwort auf diese Frage geben zu können: Warum ist Zufriedenheit mit dem eigenen Körper so schwer zu erlangen? Ich befasse mich mit Phantomgliedmaßen und als überzählig empfundenen Gliedmaßen, und ich beleuchte Formen der Körpertransformation vom Ritzen bis zur Schönheitsoperation, in dem Bemühen herauszufinden, warum solche Praktiken immer verbreiteter werden. Warum ist Sex ein Must-have, beherrscht von Normerfüllung und getränkt mit Fantasien, die Freud schwindelig gemacht hätten? Wie lässt sich das Versprechen, dass der Körper durch Perfektionierung erlöst werden könnte, verstehen? Was ist an unserem Körper, so wie er ist, verkehrt und warum?
Indem ich diesen Fragen nachgehe, hoffe ich, dahin zu kommen, eine Theorie des Körpers unserer Zeit zu entwickeln. Körper sind in keiner Weise naturgegeben, das schlichte Produkt unserer DNA. Gefangen zwischen einer Epoche, in der im Westen für viele Menschen der Körper nicht mehr dazu dient, Güter zu produzieren, und einer Ära, die uns Körperersatzteile aller Art verheißt – von KI und der mit ihr einhergehenden Entkörperlichung ganz zu schweigen –, sind wir verständlicherweise verwirrt. Was genau ist dieser Körper, in dem wir zu