Die beiden Männer lachten herzlich – es schien, der Streit von vorhin sei in lauter Freundschaft aufgelöst.
Da räusperte sich der Garde: »Haltet, wenn Ihr jetzt eine frische, hübsche Frau bekommt, nur die Beth selig in Ehren und gutem Andenken.«
Das Gesicht des Bärenwirts verfinsterte sich.
»Aber das gebt Ihr doch zu,« sagte er mürrisch, »Frau Cresenz wird eine bessere Wirtin als die arme selige Beth.«
»Alle Leute im Dorf haben sie geliebt und verehrt, nur Ihr nicht. Sie war eine Frau wie ein Engel, sie hat nur das Unglück gehabt, da sie Euern hochfahrenden Plänen nicht hat folgen können und nicht hat wollen. Sie war eine, wie wir alle im Dorfe sind: einfach und fromm, stets auf den Frieden im Leben und die Seligkeit im Himmel bedacht. Ihr aber gleicht von jeher mehr den Leuten draußen in der Welt, hastig und unruhig seid Ihr immer voll Pläne, habt Ihr immer eine ganze Menge Dinge umzutreiben. Da wird Euch allerdings Cresenz besser verstehen als Beth!«
Der Presi lächelte überlegen: »Handel und Wandel, mein' ich, giebt dem Leben das Salz und« – er klopfte dabei auf den Tisch – »mit Frau Cresenz wage ich es. Der Bären soll ein Fremdengasthof werden, ich nehm's mit dem Pfarrer und euch allen auf.« »Presi!« Das Blut war dem Garden in den Kopf geschossen. »Presi, das thut Ihr nicht!«
»Ihr werdet's schon erleben.« Die Augen des Bärenwirtes blitzten übermütig und unternehmungslustig.
»Der Pfarrer wird Euch von der Kanzel angreifen und alle werden mit ihm gegen Euch sein!«
»Der hochwürdige Herr soll das Geistliche besorgen, das Weltliche besorgen wir schon.« Der Presi lachte und fuhr dann fort: »Ich will Euch verraten, warum er keine Fremden will. Es sind jetzt vierzig Jahre, daß er nach St. Peter gekommen ist. Da stieg über die Schneelücke herunter der erste Fremde, ein berühmter Naturforscher, der mit seinen Führern die Krone erklettert hatte. Die Leute von St. Peter erstaunten darüber so sehr, daß sie den Pfarrer riefen, vielleicht sind's Gespenster!' sagte er und ordnete eine Prozession an, damit man ihnen entgegenziehe. Als der Bergsteiger, seine Führer und Träger kamen, spritzte er ihnen Weihwasser entgegen und schrie: ›Apage, apage Satanas‹. Auf dieses Zeichen trieben die von St. Peter die Fremden um das Dorf herum und jagten sie den Stutz abwärts. Glaubt, Garde, wegen der Schande von damals will der Pfarrer nichts von Fremden missen, er fürchtet, die Geschichte, wegen der wir von St. Peter in den Büchern als ein rauhes und dummes Volk verschrieen sind, werde dadurch frisch!«
Der Garde hatte sich beruhigt: »Der Pfarrer ist gegen den Fremdenverkehr, weil er von ihm das Verderben des Dorfes fürchtet. Er hat recht. In Grenseln, wo jetzt auch zwei Gasthöfe sind, hat erst diesen Frühling ein Mädchen, das im einen diente, ein Uneheliches bekommen. Denkt die Schande!« »Ja, aber die Forellen aus meiner Fischenz in der Glotter und den Hospeler aus meinen Bergen würde ich gern etwas besser verkaufen, als es bis jetzt geschehen ist.«
»Werdet nicht zum Fluch von St. Peter, Presi. dafür hat Euch wahrlich die Gemeinde Euer Amt nicht gegeben. – Ich muß jetzt von etwas sprechen, wovon man eigentlich nicht reden soll, so wunderbar heilig ist es. Hat je eine Lawine das Dorf St. Peter getroffen? Nie! Und doch wohnen wir unter den Firnfeldern der Krone und sie hätten freien Weg.«
»Ich weiß schon, wohin Ihr zielt, aber ich bin nicht abergläubisch; die armen Seelen kommen in die Hölle, nicht auf die Gletscher. Das sagt ja der Pfarrer selbst,« höhnte der Wirt, »der wird's wissen!«
In diesem Augenblick schaute ein etwa fünfzehnjähriger Junge blöd durch die halbgeöffnete Thüre.
»Nur hinein, Eusebi!« Lustig schob Binia den ungelenken schwächlichen Burschen mit beiden Händen vom Flur in die Stube.
»Was willst, Eusebi?« fragte der Garde freundlich.
»S–s–sollst h–h–heim–k–k–ommen, V–v– vater. Ei– ein R–rind ist k–k–kr–rank auf d– d–er Alp.«
Der Stotterer schämte sich seines Uebels, er wußte nicht wohin blicken.
»Sei nur ruhig, Eusebi, ich komme!« Der Garde stand auf und der Presi gab ihm bis auf die Freitreppe das Geleit.
Dort säumten die Männer noch einen Augenblick.
»Also wir müssen auf alles gefaßt sein, die Wildleutlaue kann jede Stunde gehen,« sagte der Presi ernst. »Ja, aber noch einmal gesagt, die Machenschaft mit Seppi Blatter ist nichts,« erwiderte der Garde. »Im übrigen hoffe ich, daß ich bei der Wassertröstung das Amt niederlegen kann. Ich bin der Geschichte satt.«
»Das nicht, das nicht; über Seppi Blatter aber reden wir im Gemeinderat.«
Die Männer schüttelten sich die Hände.
»Nichts für ungut!« sagte der Garde, »ich rede frei von der Leber, anders hab' ich's nicht gelernt.«
Binia aber rief: »Nicht wahr, Eusebi darf noch bei mir bleiben.«
»Gewiß,« lächelte der Garde wohlgefällig, »ich habe nichts lieber, als wenn er bei anderer Jugend ist.« Da riß die wilde Binia den scheuen Jungen mit sich.
Der Garde, der ganz aus Eisen zusammengesetzt schien, ging langsamen Schrittes durch die kleinen Aecker zur Hütte des Wildheuers Seppi Blatter. Er hatte schwer zu denken und wiegte den mächtigen Kopf: Was für ein merkwürdiger Mann ist doch der Presi! St. Peter ist zu klein für seine rastlose Betriebsamkeit. In allem hat er die Hand. Er hat seine Schuldscheine auf Aeckerchen und Alpen, er beherrscht als Vermittler zwischen den Sennen und den fremden Händlern den Käse- und Viehhandel, er ist Posthalter und hat damit den Einblick in allen Verkehr und nun will er noch Fremdenwirt werden.
Dazu die schlechte voreilige Anbändelei mit Seppi Blatter! – Was hat er für einen Zweck dabei? Keinen! Eine Laune ist's, ein Stück sträflichen Uebermutes. Da war er bei der Hütte angekommen.
»He, fleißige Vroni, wo ist der Vater?«
Vroni saß auf dem moosüberwachsenen Block, der das Häuschen schirmte, sie flocht mit flinken Fingern an einem jener Strohbänder, woraus die Glotterthalerinnen die zierlichen Hüte machen, die sie tragen. Nebenbei überwachte sie die drei Ziegen, die, mit den Schellen klingelnd, zwischen hohen roten Enzianen und blauem Eisenhut sich ihr Futter naschten.
»Vater, Mutter und Josi wildheuen an den Bockjeplanken; kann ich dem Vater etwas ausrichten, Pate?«
»Er soll unter Licht bei mir vorbeikommen. Guten Abend, artiges Kind –«
Damit stoffelte er den Berg hinan. Vroni hatte aber von ihm einen Blick aufgefangen, der ihr zu denken gab. In seiner Freundlichkeit war ein sorglicher Ton gewesen, der ihr in den Ohren nachklang.
Wie gestern rollte auch heute in einem fort Lawinendonner in stärkeren und schwächeren Schlägen vom Gebirg, und plötzlich fiel ihr der Vater ein. Sie wußte nicht warum. Doch! Er war am Morgen so blaß gewesen, er hatte gesagt, er habe die ganze Nacht kein Auge geschlossen wegen des Donners.
Vroni bemerkte es in ihrem Sinnen nicht, daß eine behende Gestalt wie ein Wiesel über die Felsen hinaufgeklettert kam, sie erschrak ordentlich, als Binia ihren Arm um sie schlang. Und dann sah sie den scheuen Eusebi unten stehen.
»Komm, Sebi, komm!« Er kletterte, setzte sich zutraulich zu den zwei Mädchen, seine Augen glänzten in stiller Freude. »Vroni und Bini wissen, daß ich nicht so einfältig bin, wie die Leute meinen,« dachte er.
»Vroni, wie geht die Geschichte von den heligen Wassern weiter, mir hat die ganze Nacht von der Wildfrau Gabrisa geträumt, sie war aber nicht schwarz, sondern blond wie du!« scherzte Binia.
Vroni lachte, dann mahnte sie: »Du, von Josi darfst du keinen Kuß mehr bekommen!«
Eusebi riß die Augen auf: »K–k–kuß,« stammelte er verwundert.
»So!« Lustig stellte Binia die weißen Zähne. »Erzähle jetzt nur, Vroni. Josis Kuß war ja nur Spiel.«
Da