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Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Edition Aufatmen
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783417229998
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an die Oberfläche kommt, der tief im Inneren dieser Person verborgen war. So geschieht es auch mir. Im Vorfeld dachte ich: »Bei mir wird es keine Tränen geben. Dazu ist mein Thema viel zu nüchtern – und ich bin es auch.« Von wegen! Am Ende dieses Meetings hielt ein erschöpfter, von Gottes Berührung getroffener Thomas ein tränenfeuchtes Taschentuch in der Hand …

      Die Forderung nach dem besten Weg

      Oft zeigt sich bei solchen Klärungsmomenten noch etwas anderes: So sehr wir auch um den richtigen Weg ringen – es kann dabei nicht darum gehen, dass wir irrtumslos die allerbeste aller möglichen Optionen wählen. Dieser Anspruch ist irreführend. Unser bester Weg ist nicht die Folge unserer Wahl der besten Option. Besser als der beste Weg ist es, ein in Gott eingesunkenes Herz zu haben. Angewendet auf wichtige Entscheidungen heißt das: Wer die beste Entscheidung treffen will, macht womöglich den größten Fehler. Er überschätzt oder verkrampft sich. Meint womöglich, bei Gott zählten Fehler gleich wie Sünden und wären schwere Segensbremsen. Doch diese Vorstellung ist der Bibel fremd. Damit treffen wir schlechtere, nicht bessere Entscheidungen.

      Die Sache beschäftigt mich seit Langem: Wie treffen wir Christen gute Entscheidungen? Anlass dazu waren Momente der Ratlosigkeit vor verschiedenen Weggabelungen meines Lebens: Sollen wir den Lebensort wechseln? Ein Haus kaufen? Ein Jobangebot annehmen? Oder als Leitungsteam: Welchen Bewerber nehmen wir für diese Stellen? Sollen wir als Kirche einen zweiten Gottesdienst einführen? Eine Quartierarbeit beginnen? Immer wieder habe ich in solchen Momenten die Bibel studiert. Gebetet. Gute Bücher und Artikel gewälzt. Gerade kürzlich las ich bei einem geschätzten Autor, wie wichtig es für Christen sei, in solchen Fragen nicht bloß eine gute, sondern die beste Entscheidung zu treffen. Er setzte den Anspruch, dass wir uns niemals mit weniger als dieser einen besten Option zufriedengeben sollten.

      Ich respektiere diesen Mann. Diesen Anspruch aber halte ich für falsch, sogar gefährlich. Er setzt uns unter Druck: Was, wenn ich im Nachhinein feststelle, dass ich zwar keine schlechte, aber doch nicht die beste Entscheidung getroffen habe? Und wie frustrierend, wenn sich im Rückblick herausstellt, dass sie sogar falsch war? Dann habe ich mit dieser Grundhaltung ein echtes Problem. Wer in allen Lagen des Lebens von sich selbst und anderen die beste Entscheidung einfordert, pflegt ein überhöhtes Menschenbild. Er suggeriert, wir seien jederzeit fähig, eine ideale Entscheidung zu treffen.

      Entscheiden auf Sicht

      Die Realität ist eine andere. Spätestens seit der Corona-Epidemie ist es klar: Unser in vielerlei Hinsicht wohlgeordnetes Leben ist weit weniger gesichert als wir denken. Dieses Virus hat uns alle geschüttelt. Von heute auf morgen galt Homeoffice statt Geschäftsbüro. Isolation statt Enkel hüten. Zuwinken statt umarmen. Online-Predigten statt gemeinsamer Gottesdienst. Zu Hause bleiben statt Urlaub am Strand. Ich selber musste innerhalb 24 Stunden alle meine Vorlesungen, Vorträge und Begleitgespräche in digitaler Form weiterführen. Manches ging dabei schief. Die Qualität ließ zu wünschen übrig. Mitten in einem Führungsseminar, das ich leitete, streikte meine Internetverbindung. Ich war raus. Es war das reinste Abenteuer und manchmal purer Stress. Aber es ging ja allen so: Politikerinnen, Schulleiter, CEOs, Chefs, Lehrkräfte, Pastorinnen, Mediziner – alle mussten ihr Programm umstellen. Und auf die Schnelle folgenschwere Entscheidungen treffen, von denen keiner voraussehen konnte, ob es die richtigen waren. Es war (und ist bis heute) in vielen Momenten ein Führen, Handeln und Entscheiden auf Sicht. Im Sturm siehst du nicht weiter als knapp vor die eigene Nase, aber selten, wo der nächste Fels aus dem Wasser ragt. Wo links und rechts ist. Was morgen ist oder in einer Woche.

      Wir haben in unserem Entscheiden immer dann eine echte Wahl, wenn die Sicht klar ist. Wenn man genügend Zeit zum Abwägen, Beten, Prüfen hat. Wo aber alles durcheinanderwirbelt und heute nicht mehr gilt, was gestern noch verlässlich war, dort gibt es keine echte Wahl. Wer in solcher Lage Kapitän ist, muss trotzdem entscheiden. Muss sich ins Ungewisse wagen. Darf nicht tatenlos bleiben, denn damit wäre das Ende gewiss. Eine Wahl haben und entscheiden ist also nicht dasselbe. Manchmal muss man entscheiden – ohne die Voraussetzungen einer echten Wahl. Was für eine Last, wenn nun Christen von sich und anderen fordern, sie müssten auch jetzt die beste, also die zweifelsfrei richtige Entscheidung treffen. Der katholische Theologe Karl Rahner soll gesagt haben: »Zum Glück gibt es das nicht, was viele Christen für Gott halten.« Dasselbe lässt sich über gute Entscheidungen sagen – Bibel sei Dank.

      Mit Sorgfalt – und dennoch unvollkommen

      Gottes Wort ist voller Geschichten über unvollkommene Menschen des Glaubens, die teils gute, teils mittelmäßige und manchmal gänzlich verkehrte Entscheidungen getroffen haben. Gott aber ließ sich nicht davon abhalten, auch diejenigen mit zweifelhafter Trefferquote zu lieben, zu beschenken und an sein Ziel zu bringen. Wir könnten mit Abraham beginnen, der mal kurzerhand mit der falschen Frau ein Kind zeugte. Dann der Lügner Jakob, der Aufschneider Josef, der Ehebrecher David, der Auftragsverweigerer Jona, der Verleugner Petrus, der Verfolger Paulus, die lau gewordenen Epheser, die selbstbezogenen Korinther und all die anderen fragwürdigen Gestalten der Bibel. Wir könnten auch von uns selbst erzählen.

      Geben wir es zu: Wer in allen Dingen die beste Entscheidung treffen will, muss scheitern. Die Voraussetzungen dazu sind weder im normalen Leben noch bei uns selbst gegeben. Hinzu kommt: Wer kann mit letzter Sicherheit sagen, was in den gegebenen Umständen die zweifelsfrei beste Entscheidung ist? Am besten für wen? In welcher Hinsicht? Kaum zwei Menschen kommen bei ihrer Einschätzung dazu zur genau gleichen Schlussfolgerung. Wie viel weniger ein Team.

      Dies alles setzt nicht das Anliegen außer Kraft, das wir mit aller Sorgfalt an die großen Entscheidungen des Lebens herangehen sollen. Betend, um innere Freiheit ringend, hörend, sorgfältig die Möglichkeiten abwägend. Wir werden dabei aber nie alle Unsicherheiten klären können. Dennoch kommt der Moment der Entscheidung. Wir treffen sie nicht in der Meinung, wir wüssten dabei jedes Mal zweifelsfrei, welches die beste Lösung sei. Wir treffen sie im Wissen darum, dass allein Gott alles durchschaut und wir deshalb ganz und gar auf seine Gnade angewiesen sind. Manchmal ermöglicht uns diese Gnade eine richtig tolle Entscheidung. Oft aber ermöglicht sie uns etwas anderes, nämlich dass Gott uns angesichts einer nicht optimalen Entscheidung ein weiteres Mal vergibt und in Treue mit uns weitergeht.

      So erging es mir mit einer meiner inzwischen erwachsenen Töchter. Sie war etwa 16, als sie sich selbst in eine Situation manövrierte, welche uns mitten in der Nacht aus dem Bett holte und uns einen gehörigen Schrecken versetzte. Manche Teenager-Eskapaden können unser elterliches Selbst- und Gottvertrauen zünftig ins Wanken bringen. Ich war so erschrocken, dass ich meiner Tochter einen mehrwöchigen abendlichen Hausarrest verordnete. Jahre später (sie wohnte bereits nicht mehr bei uns) kam mir diese Strafe übertrieben vor. Schuldgefühle meldeten sich: Hast du dein Kind zu hart angefasst? Hättest du mehr mit ihr reden, die Sache verarbeiten sollen? Mehr Verständnis für ihre Situation aufbringen? Hinzu kamen zwei, drei weitere Ereignisse, von denen ich mir nachträglich wünschte, ich hätte ihr gegenüber anderes reagiert.

      Vor einigen Wochen trafen wir uns in einer Pizzeria zu einem unserer Vater-Tochter-Abende. Es war Zeit, noch einmal darüber zu sprechen. Gemeinsam gingen wir einige kritische Beziehungsmomente der letzten Jahre durch. Wieder so ein heiliger Moment. Ja, manche damalige Entscheidung erweist sich aus heutiger Sicht als falsch. An mancher Stelle meinte meine Tochter allerdings, dass mein Verhalten richtig gewesen sei und ihr geholfen habe. Dann aber nannte sie andere Momente der Irritation. Momente, von denen ich immer dachte, es sei damals alles bestens verlaufen und ich hätte alles richtig gemacht. Nun stellte sich heraus, dass ich sie, ohne es zu merken, verletzt hatte. Es wurde ein langer Abend in jener Pizzeria. Am Ende feierten wir eine bewegende Versöhnung. Für mich selbst war es nicht nur die Versöhnung mit meiner Tochter, sondern auch mit der Tatsache, dass Eltern niemals alles richtig machen. Selbst dann nicht, wenn sie sich genau das einbilden.

      Bonhoeffer und der Wille Gottes

      Mir helfen an dieser Stelle die Ausführungen von Dietrich Bonhoeffer. Sein unvollendetes Werk Ethik enthält zwei Kapitel mit den Titeln Die Liebe Gottes und der Zerfall der Welt und Struktur des verantwortlichen Lebens.