Da in eine Mokkatasse gerade mal zwei oder drei kleine Schlucke passten, waren sie rasch geleert.
»Seid ihr ganz sicher, dass ihr in den Park gehen wollt?«, fragte ich. »Hier ist es so schön gemütlich.«
Um die Wahrheit zu sagen: Ich war diejenige, die keine Lust hatte, mich durch den Park zu quälen. Nicht nach diesem reichhaltigen Mittagessen. Aber keine Chance – die Schwestern waren unerbittlich. Und wenn ich heute noch herausfinden wollte, was sie mir zu sagen hatten, musste ich wohl oder übel in den sauren Apfel beißen.
Sie zogen sich warme Jacken an, und dann schlenderten wir über die gewundenen Wege. Ich verkniff mir weitere Aufforderungen, endlich auszupacken. Sonst plapperten sie zwar immer wie zwei hyperaktive Kanarienvögel, aber wenn sie nichts sagen wollten, war halt Funkstille. Noch.
»Setzen wir uns in den Pavillon, dort sind wir ganz ungestört«, sagte Käthe und deutete in Richtung der kleinen, verschnörkelten Laube, die hinter einigen rot belaubten Büschen zu erahnen war.
Nun, das wären wir in ihrer Wohnung doch auch gewesen, oder? Dennoch: Ich ahnte, dass sie einen triftigen Grund dafür hatten, unser Gespräch nach draußen zu verlegen. Meine Neugier stieg allmählich ins Unermessliche.
Die verblichenen Korbsessel knarrten, als wir uns setzten. Die Sonne schien, und es duftete zart nach den letzten Rosenblüten an den Ranken, die den Pavillon schmückten.
Cäcilie nickte Käthe zu. Die beugte sich zu mir und raunte: »Hier gehen Dinge vor sich, Loretta.«
Aha. »Was für Dinge? Spukt es etwa in dem alten Gemäuer?«
Ich hatte einen Witz machen wollen, aber Cäcilie zuckte nicht mit der Wimper. »Keinen Schimmer, ob Heriberts ruheloser, rachsüchtiger Geist hier spukt. Würde mich aber nicht wundern. Ich an seiner Stelle würde es tun.«
Heriberts … rachsüchtiger Geist?
»Wer ist Heribert?«, fragte ich. »Und warum sollte sein Geist rachsüchtig sein?«
Käthe atmete tief durch. »Heribert wohnte in Suite C. Vor drei Wochen ist er ganz plötzlich gestorben. Über Nacht. Abends haben wir noch zusammen Bridge gespielt, und am nächsten Morgen lag er tot im Bett.«
Du musst zugeben: Das ist seltsam, sagte ihr Blick, und ich wusste, jetzt war ein gewisses Maß an Diplomatie gefragt.
»Mädels, ich will euch nicht zu nahe treten, aber es soll vorkommen, dass ein alter Mann stirbt, auch mal über Nacht«, erwiderte ich also. »Wisst ihr zufällig, was als Todesursache festgestellt wurde?«
»Angeblich Herzstillstand.« Cäcilie schnaubte verächtlich. »Also echt, wat sagt dat schon aus? Bleibt die olle Pumpe etwa nicht immer stehen, wenn einer stirbt?«
»Das ist schon richtig, aber …« Mich fröstelte plötzlich. Während des Spaziergangs war mir warm genug gewesen, aber mittlerweile … »Sagt mal, warum sitzen wir eigentlich hier und nicht in eurer Wohnung?«
Sie wechselten einen Blick. »Damit man uns nicht belauschen kann«, erwiderte Cäcilie leise.
Jetzt kapierte ich gar nichts mehr. Was ging hier ab? Galoppierende Paranoia? Die Schwestern waren fasziniert von Kriminalfällen, wie ich wusste, und deshalb waren sie auch regelrecht aus dem Häuschen gewesen, als sich vor einigen Monaten in ihrem Lieblingscafé direkt vor ihrer Nase ein Todesfall ereignet hatte. Die gesamte Kavallerie war aufmarschiert, sie hatten ihr Glück kaum fassen können. Mit diesem Erlebnis hatten sie in ihrer Seniorenresidenz sogar zwei oder drei unterhaltsame Vortragsabende gestaltet, die sie dort zu Superstars gemacht hatten.
Ich roch die Gefahr, dass sie nun dazu neigten, vermeintlich Kriminelles in völlig harmlosen Vorgängen zu suchen, und da kam ich ins Spiel. Da ich besagten Todesfall aufgeklärt hatte, hielten sie mich nun für eine oberschlaue Super-Detektivin, die der Polizei mal eben zeigte, wo der Frosch die Locken hatte. Obwohl ich mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hatte, ließen sie sich nicht von ihrer Meinung über mich abbringen.
Und jetzt hatte ich den Salat.
»Wer soll uns denn eurer Meinung nach nicht belauschen können?«, fragte ich sanft.
»Wissen wir nicht.« Käthe zuckte mit den Schultern. »Wir sind allerdings ganz sicher, dass die Wohnungen verwanzt sind. Vielleicht nicht alle. Aber zumindest diejenigen, in denen was zu holen ist.«
Sag ich doch: galoppierende Paranoia. Dennoch schien es mir geboten, sensibel damit umzugehen und sie nicht etwa auszulachen.
»In Ordnung«, sagte ich. »Ihr habt bestimmt einen sehr guten Grund für eure Vermutung.«
Erneut warfen sie sich einen dieser Blicke zu und nickten synchron. Dann winkte Käthe mich näher zu sich und raunte: »Heribert besaß eine sehr kostbare antike Kaminuhr aus Porzellan, die stets auf seinem Vertiko gestanden hat. Seit seinem Tod ist sie verschwunden. Stattdessen hat man dort ein billiges, ähnliches Modell platziert, damit das Fehlen des Originals nicht auffällt. Auch sein persischer Teppich wurde ausgetauscht. Weiß der Himmel, was noch alles geklaut worden ist.«
»Könnte es nicht sein, dass irgendwelche Verwandten, also seine Erben, die Uhr und den Teppich genommen haben?«
Vehement schüttelte Käthe den Kopf. »Nie und nimmer. Der Heribert hatte keine Familie mehr. Außerdem: Warum sollten Erben die austauschen? Wenn sie die Sachen doch sowieso erben?«
Das stimmte natürlich.
»Sein Besitz sollte nach seinem Tod einem guten Zweck zugutekommen«, fuhr Käthe fort, »das hat er uns erzählt. Einem Hospiz oder einem Waisenhaus oder dergleichen. Genau hat er sich dazu nicht geäußert.«
»Verstehe. Seid ihr sicher, dass diese Gegenstände wirklich so überaus wertvoll waren? Oder hat er vielleicht nur ein bisschen … Ihr wisst schon.«
»Auf dicke Hose gemacht?«, fragte Cäcilie amüsiert. »Nee. Er hatte dafür sogar Expertisen, die hat er uns gezeigt. Irgendein Zar hat die Uhr irgendeinem von Heriberts Vorfahren geschenkt; für besondere Verdienste oder so. Und der Teppich war ein uraltes Stück aus einem Königspalast. Er hatte uns mal auf eine Tasse Tee eingeladen, dat war kurz vor seinem Tod. Eigentlich lebte er sehr zurückgezogen und lud niemals zu sich ein, aber«, sie kicherte kokett, »ich glaube, der alte Knabe hatte sich in mich verguckt. Ich habe – aus reiner Höflichkeit – die Uhr bewundert, die ich in Wirklichkeit potthässlich fand. Der Teppich war allerdings sehr hübsch, muss ich zugeben. Ich hab ihn gefragt, ob er diese Sendung kennt, die mit diesem kleinen Kerl mit dem Zwirbelschnäuzer. Da kann man hingehen, wenn man Sachen begutachten und schätzen lassen will. Außerdem sind da noch ein paar Antiquitätenhändler, die auf die Gegenstände bieten können.«
Sie blickte mich fragend an, und ich schüttelte den Kopf. Der Tag, an dem ich mich für Antiquitäten interessierte – seien es echte oder vermeintliche –, musste erst noch kommen.
»Nicht? Da hast du was verpasst. Käthe und ich raten immer, was die Sachen wohl wert sein könnten. Wie auch immer: Mein Vorschlag hat den guten Heribert sehr amüsiert«, fuhr Cäcilie fort. »Alle Händler zusammen hätten nicht genug Geld für seine Uhr dabei, und für den Teppich auch nicht, sagte er. Zack, schon hatte er die Expertisen aus dem Sekretär gezaubert und hielt sie uns unter die Nase. Der war stolz wie Oskar, sag ich dir. Und wat ich da gelesen hab, hat mich glatt aus den Socken gehauen: Die Uhr wurde auf 30.000 Euro geschätzt, der Teppich auf 55.000. Na, wat sagst du jetzt?«
Ich sagte gar nichts. Erst mal musste ich diese unglaublichen Summen verkraften. So etwas hatte ich nicht im Traum erwartet.
Käthe erzählte weiter. »Außerdem besaß er wohl noch eine Sammlung antiker Taschenuhren, die mal irgendwelchen Persönlichkeiten gehört hatten: Zaren, Königen und Politikern. Die sollen ein kleines Vermögen wert sein.«
»Und diese kostbaren Dinge hatte er einfach so in seiner Suite?«, fragte ich ungläubig. »War das nicht sehr