Hinderlich ist das Festhalten an gewachsenen Strukturen dann, wenn eklatante Verstöße gegen Planungsgrundsätze vorliegen, die Leistungsfähigkeit der Feuerwehr gefährdet ist und offensichtliche Optimierungspotenziale ungenutzt bleiben. Im Zweifel und Rechtsstreit muss der Feuerwehrbedarfsplan einer gerichtlichen Überprüfung standhalten.
3.4 Variantenplanung
Durch den bedarfsplanerischen Handlungsspielraum (vgl. Kapitel 2.3) und der Vielzahl an Wechselbeziehungen und Einflussgrößen bei der Feuerwehrbedarfsplanung (vgl. Kapitel 2.2) sind häufig mehrere Wege zur (Planungs-)Zielerreichung geeignet. In vielen Fällen gibt es nicht nur »die einzig richtige« Lösung, auch nicht bei objektiv fachgerechter Planung. So können beispielsweise auch Fachleute, die sich hauptberuflich mit Parks, Schulen und Verkehr befassen, über die Trassenführung einer bestimmten Straße uneins sein (Naßmacher/Naßmacher, 2007).
Kommt die für die Feuerwehrbedarfsplanung zuständige Arbeitsgruppe nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, der im Konsens von allen Beteiligten mitgetragen wird, ist eine Variantenplanung mit Handlungsalternativen aufzustellen, zwischen denen entweder die Lenkungsgruppe des Projekts oder der entsprechende Ausschuss bzw. der Rat der Gemeinde politisch zu entscheiden hat. Die Anzahl der Varianten ist dabei möglichst gering zu halten und in einer Vorauswahl bereits auf die realistischen Optionen zu reduzieren. Dabei ist den politisch Verantwortlichen gleichzeitig eine Entscheidungshilfe an die Hand zu geben, auf dessen Basis eine Abwägung der Vor- und Nachteile der jeweiligen Varianten vorgenommen werden kann. Ein möglicher Ansatz hierfür ist beispielsweise die Varianten hinsichtlich ihrer monetären Auswirkungen für die Kommune zu bewerten (vgl. Lindemann, 2013).
Die Varianten selbst sollten jedoch nicht im Feuerwehrbedarfsplan, sondern in den entsprechenden Sitzungsunterlagen aufgeführt werden. Im rechtsgültig verabschiedeten Enddokument des Feuerwehrbedarfsplans ist nur das ausgewählte SOLL-Konzept mit den dazugehörigen Handlungsmaßnahmen aufzunehmen. In Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung (vgl. Kapitel 3.3) können die vorgestellten Varianten mit ihren dazugehörigen Beschlüssen im Sitzungsprotokoll, in einem Aktenvermerk, in einem etwaigen Projekthandbuch zur Bedarfsplanung oder als Anhang im Feuerwehrbedarfsplan dokumentiert werden.
Beispiel für Varianten einer strategischen Entscheidung:
Eine an die Einwohnerschwelle zur Großstadt grenzende große kreisangehörige Gemeinde unterhält im Innenstadtbereich eine in Gruppenstärke (9 Funktionen) hauptamtlich besetzte Feuerwache. In den peripheren Ortsteilen, die einst selbstständige Kommunen waren und im Zuge von Gebietsreformen eingemeindet wurden, stellt traditionell die Freiwillige Feuerwehr im Erstangriff den abwehrenden Brandschutz und die Hilfeleistung sicher.
Während in dieser Kommune der Kernstadtbereich innerhalb einer Eintreffzeit von acht Minuten in Gruppenstärke abgedeckt werden kann, benötigen die ehrenamtlichen Einheiten der Freiwilligen Feuerwehr in den peripheren Ortsteilen bis zu zwölf Minuten, um zuverlässig mit einer Gruppe an der Einsatzstelle einzutreffen. Bei der Fortschreibung des Feuerwehrbedarfsplans ist nun über die zukünftigen Planungsziele zu entscheiden. Hierbei stehen zwei Varianten zur Diskussion23 :
Variante 1: Für die Bedarfsplanung wird weiterhin für die städtisch und ländlich strukturierten Bereiche des Stadtgebiets ein differenziertes Planungsziel angesetzt, in dem für die erste Gruppe eine Eintreffzeit von acht Minuten für den Innenstadtbereich (durch Berufsfeuerwehr abgedeckt) und von zwölf Minuten für die ländlichen Bereiche vorgesehen werden (durch Freiwillige Feuerwehr abgedeckt), siehe Bild 13. Das Planungsziel ist mit der grundsätzlichen IST-Struktur der Feuerwehr zu erreichen, die im Rahmen der üblichen SOLL-Maßnahmen zu optimieren ist.
Variante 2: Es wird ein gleich (hohes) Planungsziel mit einer Eintreffzeit von acht Minuten für die erste Gruppe für das gesamte Gemeindegebiet festgelegt. In diesem Fall ist die Einrichtung einer zweiten hauptamtlich besetzten Feuerwache erforderlich, da mit der verringerten Fahrzeit in den ländlichen Bereichen dieselbigen nicht mehr von den Standorten der Freiwilligen Feuerwehr abgedeckt werden können.
Bild 13: Beispiel einer Variantenplanung zu strategischen Fragestellungen: Festlegung eines differenzierten (links) oder stadtweit einheitlichen Planungsziels (rechts)
Aus fachlicher Sicht sind beide Varianten des dargestellten Beispiels vertretbar und liegen innerhalb des bedarfsplanerischen Gestaltungskorridors. Hier handelt es sich um eine politische Entscheidung darüber, ob das gleiche Versorgungsniveau der Feuerwehr unabhängig vom Wohnort innerhalb der Gemeinde zugesichert werden soll oder eine (zweckmäßige) Differenzierung angesetzt wird. Im gleichen Zuge hat die Entscheidung für die eine oder andere Variante Auswirkungen darauf, ob sich die Feuerwehr dieser Stadt in ihrer strukturellen Aufstellung weiterhin als »Freiwillige Feuerwehr mit hauptamtlichen Kräften« (Schwerpunkt liegt auf dem Ehrenamt mit hauptamtlicher Unterstützung) oder als »Berufsfeuerwehr« (Schwerpunkt liegt auf der hauptamtlichen Aufgabenerledigung mit ehrenamtlicher Unterstützung) versteht. Die Entscheidung greift damit nicht nur tief ins Organisations-, sondern gegebenenfalls auch Motivationsgefüge des Haupt- wie auch des Ehrenamts ein (vgl. »Spirale der Hauptamtlichkeit« in Kapitel 9.3.4).
Jedoch greift nicht jede Entscheidung, die einer Variantenplanung bedarf, so tief in die strategische Ausrichtung der Feuerwehr ein. In manchen Fällen sind es auch Detailentscheidungen, die sich im Prozess der Feuerwehrbedarfsplanung nicht lösen lassen.
Beispiel für Varianten einer Detailentscheidung:
Eine Feuerwehr in einem Ortsteil mit 700 Einwohnern und ohne nennenswertem Gefahrenpotenzial verfügt im IST-Zustand über ein TSF, welches aufgrund seines Alters ersatzbeschafft werden muss und das in einem Feuerwehrhaus mit bereits beengten Platzverhältnissen untergebracht ist. Aus bedarfsplanerischer Sicht wäre für diese Ortsfeuerwehr ein aus einem TSF-W sowie ein MTF bestehender Fuhrpark ideal, da sie eine ausreichende Personalstärke für den Einsatz einer Löschgruppe (9 Kräfte) alarmverfügbar aufweist. Sowohl im Übungsbetrieb als auch im Einsatzfall soll diese Löschgruppe jedoch ohne die Nutzung von Privat-Pkw an die Übungs- bzw. Einsatzstelle gebracht werden, was mit einem TSF-W mit sechs Sitzplätzen alleine nicht realisierbar ist. Die Beschaffung eines zusätzlichen MTF erfordert jedoch für das bestehende Feuerwehrhaus einen Neu- oder Anbau. Alternativ könnte die Beschaffung eines LF 10 in Erwägung gezogen werden, welches zwar nicht für das örtliche Gefahrenpotenzial erforderlich ist, aber über eine Gruppenkabine mit neun Sitzplätzen verfügt. Ein LF 10 passt mit seinen Abmessungen jedoch nicht in die bestehende Fahrzeughalle und würde daher ebenfalls Baumaßnahmen erfordern.
Bild 14: Beispiel einer Variantenplanung für Sach- und Detailentscheidungen
Aus rein sachlicher Sicht lässt sich dieser Sachverhalt kaum befriedigend lösen: Das LF 10 in der SOLL-Variante 3 ist größer dimensioniert als für diesen Ortsteil zwingend notwendig und im Anschaffungspreis rund doppelt so teuer wie ein TSF-W. Zudem fallen Kosten für Neu- oder Umbaumaßnahmen zur Unterstellung des LF 10 an. Es würde jedoch den Anforderungen zum Transport einer Mannschaft in Gruppenstärke mit nur einem Fahrzeug gerecht werden und damit den Fahrzeugpark quantitativ nicht »aufblähen« (Betriebskosten für nur ein Fahrzeug in SOLL-Variante 3 statt für zwei Fahrzeuge in SOLL-Variante 2). Aus einsatztaktischer Sicht wäre die Beschaffung von einem TSF-W und einem MTF die beste Lösung (SOLL-Variante 2), welche jedoch ebenfalls Neu- oder Anbaukosten mit sich bringt. Die »kostengünstigste« Variante, nur die Ersatzbeschaffung eines TSF-W vorzunehmen (SOLL-Variante 1), stößt möglicherweise auf Unzufriedenheit der Mitglieder der Ortsfeuerwehr. An dieser Stelle werden die im Kapitel 2.2 beschriebenen Wechselbeziehungen zwischen Personal-, Fahrzeug- und Standortplanung besonders deutlich.
Kann