GUARDIANS - Der Verlust. Caledonia Fan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Caledonia Fan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9789403613871
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die Gruppenbildung.

      Sadik seufzte. "Ja, es ist fast drei. Die Meute wartet schon und ich will vorher noch mal schnell rübergehen ins Kutscherhaus. Und irgendwann muss ich mit Gaz über Ethan reden. Der Kerl ist ein Pulverfass und die Lunte scheint schon zu brennen."

      La'ith öffnete den Mund, um dem Teamchef von seiner Beobachtung in der Umkleide zu berichten, doch er schwieg. Es war ein sehr privater Moment gewesen und er würde vorher allein mit dem jungen Mann sprechen.

      3. Juni 2024, Montag, 19:00 Uhr

      Im Haus herrschte vorabendliche Stille. Die jüngeren Schüler waren mit Hausaufgaben beschäftigt oder genossen die knappe Freizeit und eine Gruppe Guardians trainierte mit Gaz im Schießkeller.

      Von dem offenen Küchenfenster unter dem Büro drangen Geschirrklappern und lachende Frauenstimmen bis zu ihr herauf. Die zwei Hausmädchen, die sich trotz ihres gegensätzlichen Wesens bestens verstanden, waren dabei, das Geschirr für das Abendessen in den Speisesaal zu bringen. Eine von ihnen begann zu singen und Tamira lächelte.

      Sie forschte vorerst allein im Internet weiter, denn als Lehrerin an der städtischen Grundschule war Tiana tagsüber außer Haus und kam nicht vor vier Uhr zurück. Und heute wollte sie nach dem Unterricht eine Freundin besuchen und erst abends wieder da sein. Bis dahin hoffte Tamira, mit ihrer Recherche einen Schritt weiterzukommen.

      "Dann mal los", ermunterte sie sich selbst. Zuerst ließ sie den Computer nach den Namen der zwei anderen Schüler suchen, die ihr Tiana gestern Abend noch gegeben hatte. Doch zu beiden gab es keine Vermisstenanzeige. Die Absage von deren Eltern musste also andere Gründe gehabt haben. Tiana lag richtig mit ihrer Vermutung.

      "Und jetzt schauen wir mal, ob du wieder zu Hause bist, junge Dame." Sie nannte dem Computer Clarices Namen und begann ungeduldig auf der Unterlippe zu kauen. Gleich das erste, was aufpoppte, war die Meldung, dass die vermisste Jugendliche auf demselben Rastplatz aufgefunden worden war, an dem ihr abgestellter Pick-up entdeckt wurde. Und zwar abends. Damit waren exakt drei Tage vergangen, auf die Stunde genau. Sie war unverletzt und es ging ihr gut. Weitere Einzelheiten gab es nicht.

      Tamira lehnte sich zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und kaute auf ihrer Unterlippe. Leider ließen sich keine Angaben über den Grund von Clarices Verschwinden finden. War sie entführt worden oder ausgerissen?

      Sie nahm sich die anderen beiden Anzeigen mit den Meldungen, dass die vermissten Jugendlichen wieder zu Hause waren, noch einmal vor. Doch sie brachten keine neuen Erkenntnisse.

      Tamira begann aufzuschreiben, was sie bisher in Erfahrung bringen konnten. Drei Teenager, die eine besondere Fähigkeit besaßen und zur Aufnahme an ihrer Schule vorgesehen waren, verschwanden. Es gab keine Lösegeldforderungen. Die Familien meldeten sie als vermisst und drei Tage später tauchten sie unversehrt wieder auf. Das war alles.

      An der ganzen Sache war etwas faul, sie wusste nur nicht, was. Irgendetwas übersah sie.

      Sie nahm sich die Liste mit den Namen der geplanten Neuzugänge und prüfte sie. Doch es gab keinen Anhaltspunkt. Wonach suchte sie? Sollte sie auf den nächsten vermissten Schüler warten, um herauszufinden, ob das mysteriöse Zeitschema von drei Tagen beibehalten wurde?

      Beibehalten wurde?

      Das setzte die Aktion einer Person voraus und der Gedanke einer Entführung verfestigte sich immer mehr. Aber Tian-Ti lebte in der Mongolei, Romaru in Guatemala und Clarice in Kanada. Immense Entfernungen ohne jeglichen geografischen Zusammenhang.

      Es war zum Verrücktwerden.

      Pünktlich um acht hockten sie zu viert im Medienraum. Tiana setzte die Männer ins Bild, indem sie erklärte, auf was sie da gestoßen war und was Tamira inzwischen heraus­gefunden hatte.

      Sadik und La'ith lauschten aufmerksam und als sie fertig war, herrschte einen Moment Ruhe.

      "Das hört sich wirklich seltsam an", meinte der Teamchef. "Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Verschwinden und diesem … Stealer?"

      "Anfangs dachten wir, dass jemand der Schule schaden will", erklärte Tamira, "aber obwohl wir nicht wissen, ob den Jugendlichen ihre Gabe gestohlen wurde, vermute ich, dass die beiden Sachen miteinander in Verbindung stehen. Die Eltern haben schließlich die Anmeldung für die Schule rückgängig gemacht, die logische Konsequenz, wenn der Sprössling keine Gabe mehr hat."

      Sie stand auf und schaltete den Computer ein. Nach wenigen Sekunden zeigte der große Hologrammbildschirm an der Wand des Medienzimmers eine Weltkarte.

      "Wir wissen von Romaru", sie setzte mit dem Zeigefinger einen farbigen Punkt in das Hologramm, "und wir wissen von Clarice", ein Punkt für Vancouver folgte. "Einer für …"

      "Tian-Ti", half die Freundin aus.

      "Richtig, aus der Mongolei. Ich mach den Punkt mal in die Hauptstadt. Das wären die drei potentiellen Schüler. Wer sind die bestohlenen Leute?"

      La'ith berichtete von zwei Personen aus Kuba, einem aus Mexiko und zweien aus Chile, und Tamira markierte die betreffenden Länder.

      "Und was hat Trajan gesagt? Von welchen Fällen hat er gehört?" Sadik wandte sich fragend zu La'ith um.

      Der zuckte die Schultern. "Er hat nichts Genaues geäußert. Aber wir können ihn ja fragen. Er müsste da sein."

      Im selben Moment, wie Sadik sein Handy hervorholte, um Trajan anzurufen, klingelte das von Tamira.

      Einen Augenblick lauschte sie, bevor sie langsam aufstand und zur Tür ging. "Si, Señora Vermosa", konnten die anderen noch hören, dann war sie verschwunden.

      Verwundert runzelte Tiana die Stirn. Nanita Vermosa war die Mutter von Romaru, dem Jungen aus Guatemala. Was konnte sie wollen?

      "Trajan kommt." Sadik steckte sein Handy weg. "Wir warten so lange, Tamira telefoniert ja auch."

      "Sie hat Romarus Mutter am Telefon", erklärte Tiana.

      Minuten später kündigten Schritte im Korridor die Ankunft ihres Bruders an. Die Tür wurde geöffnet und der Polizist kam herein. Er umarmte kurz seine ein Jahr ältere Schwester, die er um einen ganzen Kopf überragte. Mit den Männern tauschte er den unter den Guardians üblichen Fauststoß gegen die Schulter.

      "Mit wem telefoniert denn Tamira auf Spanisch?", fragte er und deutete mit dem Daumen zur Tür.

      "Mit der Mutter von einem Jungen, der für die Aufnahme am Internat vorgesehen war."

      Sadik wollte Trajan eben erklären, warum sie hier zusammensaßen, da kam Tamira wieder herein. Ihr Gesicht zeigte, dass es Neuigkeiten gab.

      "Das war die Mutter von Romaru. Sie hat mich heimlich von einem Laden in ihrem Dorf aus angerufen, weil ihr Mann es ihr verboten hat. Eigentlich wollte sie sich nur noch einmal entschuldigen, dass Romaru nicht kommen wird. Aber als ich sie fragte, wie es ihm geht und ob alles in Ordnung ist mit ihm, da fing sie plötzlich an zu weinen und konnte sich gar nicht beruhigen. Sie dürfe mit niemandem darüber sprechen, meinte sie, aber sie müsse es einfach jemandem erzählen. Romaru kann sich nämlich an nichts erinnern. Alles, was vor dem Ereignis war, ist aus seinem Kopf ausradiert und seine Gabe ist weg. Komplett. Er weiß nicht mal mehr, dass er je eine hatte und dass sie ihm genommen wurde. Er weiß gar nichts mehr und er ist sehr unglücklich, denn er lebt in einer ihm unbekannten Welt und seine Familienmitglieder sind Fremde für ihn."

      "Autsch", entfuhr es Trajan.

      "Seine Gabe ist weg? Damit dürfte feststehen, dass es einen Zusammenhang gibt, oder?" Sadik verschränkte die Arme vor der Brust.

      "Amnesie?" La'ith hatte die Frage gestellt. "War das bei den anderen auch?"

      Der Chef wiegte den Kopf. "Keine Ahnung, aber möglich wäre es. Vielleicht verursacht der Gaben-Diebstahl Schäden am Gehirn oder zumindest am Verstand. Man müsste den Jungen mal sehen und untersuchen."

      "Dann fliegen wir hin und schauen ihn uns an." Tamira sagte das, als wäre es die einfachste Sache der Welt.

      "Was,