Liebe kennt keine Logik. Sima G. Sturm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sima G. Sturm
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956093227
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ihre Schüchternheit, die sie einfach wie einen Mantel an der Tür abgestreift hatte, oder ihr feuriges Temperament besser gefiel. Ich vermutete mal beides.

      Noch darüber nachdenkend griff ich nach dem Radiowecker, der auf meinem Schreibtisch stand, und hielt ihn in die Höhe. »Der hier ist nicht kaputt, zumindest nicht, dass ich wüsste. Blöd nur, dass er im Rucksack Ihrer Tochter gelandet war, ohne bezahlt worden zu sein.«

      Kirsten Kramer machte ein langes Gesicht. Die Augen geweitet starrte sie den Wecker an, als hätte sie etwas Derartiges noch nie in ihrem Leben gesehen. »Was soll das sein?«, fragte sie mich verständnislos.

      Wie, was soll das sein? Will die Frau mich etwa veräppeln? Okay, das Gerät war noch im Karton verpackt, aber da stand doch drauf, was es ist, und ein Bildchen gab es auch noch dazu. Vielleicht brauchte Mama Kramer ja eine Brille. Das war immerhin möglich. »Ein elektronischer Radiowecker?«, antwortete ich süffisant.

      »Oh«, sagte sie nur.

      War das etwa alles, was die reizende Dame dazu zu sagen hatte? Ich war schon fast geneigt, mit ihr genauso zu schimpfen wie mit ihrer Tochter. Alternativ lag mir noch auf der Zunge, dass der Apfel offenbar nicht weit vom Stamm fällt, aber das wäre ungerecht gewesen. Die Mutter hatte ja nicht geklaut. Zumindest hatte ich sie dabei nicht erwischt.

      Ich musste mir das Grinsen verkneifen und kämpfte gegen das Zucken meiner Mundwinkel an. »Ich war gerade dabei, die Polizei zu informieren. Leider muss ich Strafanzeige erstatten.«

      »Die Polizei?«, kreischte Kirsten Kramer fast schon hysterisch. »Wegen eines blöden Weckers? Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst! Lotta ist erst zwölf!«

      »Tja.« Ich zuckte die Schultern. »Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie sich hier überall kostenlos bedienen kann.«

      Natürlich wusste ich, dass das Mädchen noch nicht strafmündig war. Außerdem hatte ich die Personalien von der Kleinen, und ihre äußerst attraktive Mama war ebenfalls zur Stelle. Es bestand also kein Grund für mich, die Polizei ins Kaufhaus zu beordern. Die Anzeige konnte ich genauso gut per Post weiterleiten.

      »Also ehrlich mal«, ereiferte sich Kirsten Kramer weiter. Sie klopfte sich mit den Fingerkuppen gegen die Stirn. »Finden Sie das nicht ein bisschen übertrieben? Gewiss gibt es eine einfache Erklärung dafür. Aber das verstehen Sie natürlich nicht. Wahrscheinlich, weil Sie keine Mutter sind.«

      Zugegeben, das hatte mich ein wenig getroffen. Allmählich fand ich das nicht mehr lustig. Und außerdem . . . Hatte die Frau mir gerade etwa einen Vogel gezeigt? Auch wenn sie richtig vermutet hatte. Ich hatte keine Kinder, weil ich mit diesen kleinen Quälgeistern noch nie viel anfangen konnte. Und da ich ein Einzelkind war, kam ich auch nie in den Genuss eines Geschwisterchens oder später eines Neffen oder einer Nichte. Aber wie kam Kirsten Kramer denn dazu, mir das zum Vorwurf zu machen?

      Zum wiederholten Male holte ich tief Luft. Ich nahm mir vor, mir meine Verärgerung nicht zu sehr anmerken zu lassen. »Es spielt keine Rolle, ob ich das übertrieben finde oder nicht«, sagte ich dann. »Mein Arbeitgeber besteht darauf, dass jeder Diebstahl zur Anzeige gebracht wird. Und Sie sollten sich lieber mal ernsthaft mit Ihrer Tochter unterhalten. Oder wollen Sie mich dafür verantwortlich machen, dass sie geklaut hat? Bin ich daran vielleicht auch noch schuld, nur weil ich keine eigenen Kinder habe?«

      Mist. Das wollte ich gar nicht sagen. Es war mir einfach so rausgerutscht.

      Kirsten Kramer öffnete und schloss mehrmals den Mund, bevor die ersten Silben über ihre ausgesprochen schönen Lippen kamen. »Also . . . das ist ja . . . « Offensichtlich fand sie nicht das passende Wort, das sie mir als Nächstes an den Kopf klatschen konnte. Stattdessen kramte sie hektisch in ihrer Handtasche herum und zerrte einen Zwanzigeuroschein heraus, den sie mir vor die Nase hielt. »Mehr habe ich im Moment nicht«, grummelte sie.

      Was soll das denn werden? Kurz dachte ich daran, dass sie mit dem Geld womöglich den Wecker bezahlen wollte. Aber den hatte ich ja bereits eingezogen. Und er war ja auch als Geschenk von ihrer Tochter gedacht und nicht, weil sie ihn sich explizit ausgesucht hatte. Vielleicht wollte Kirsten Kramer auch gar keinen Radiowecker.

      Während ich darüber grübelte, kam mir plötzlich ein ganz anderer Gedanke, der sich in mir festsetzte. »Wollen Sie mich etwa bestechen?« Ich merkte, dass sich eine gewisse Fassungslosigkeit in mir breitmachte.

      »Nein, ich . . . ich dachte . . .« Sie schüttelte verwirrt den Kopf, sodass ihre blonde Haarpracht wild umherflog. »Ihnen steht doch bestimmt eine Fangprämie zu«, quetschte sie schließlich mühsam hervor.

      Nun musste ich wirklich an mich halten. »Eine Fangprämie? Wie kommen Sie denn darauf?«

      Sie hob unschlüssig die Schultern. »Hab irgendwo mal davon gehört oder darüber gelesen.«

      So, so. Allmählich fehlten mir wirklich die Worte. Wäre es einfach nur eine Geste von Dreistigkeit, dann hätte ich der Dame – attraktiv oder nicht – ordentlich den Marsch geblasen. Doch die Hand, in der sie den Geldschein hielt, zitterte, als hätte sie Angst. Das hielt mich zurück.

      Ich blickte zu ihrer Tochter hinüber, die in den letzten Minuten noch kleiner geworden zu sein schien und stumm vor sich auf den Boden starrte. »Lotta, du hast bis auf weiteres Hausverbot hier«, sagte ich, um überhaupt irgendetwas zu sagen. »Und den . . .«, ich wandte mich wieder ihrer Mutter zu und tippte auf den Schein, »stecken Sie besser wieder ein.«

      Sie nickte, halb schuldbewusst, halb wütend. Dann streckte sie ihren Rücken durch, stopfte das Geld in ihre Jackentasche und sagte: »Lass uns gehen, Lotta.«

      Das Mädchen stand langsam auf. Mit gesenktem Blick schlich es an mir vorbei.

      »Moment«, hielt ich Mutter und Tochter, die schon fast an der Tür waren, auf. »Frau Kramer, ich brauche auch noch Ihre Personalien und Ihre Adresse.«

      Als sich Lottas Mutter zu mir umdrehte, lächelte sie abschätzig. »Das war ja klar.« Sie zog ihren Ausweis hervor und pfefferte ihn auf den Tisch.

      Während ich die Daten abschrieb, spürte ich ihre Blicke in meinem Rücken. Sie gingen mir durch und durch. Es war nicht unangenehm, nein, das konnte ich wirklich nicht behaupten. Weiß der Teufel, warum ich das eher als Genuss empfand, obwohl die Frau mich wahrscheinlich am liebsten erwürgen würde.

      Schließlich gab ich ihr den Ausweis zurück. Ich hatte das Bedürfnis, ihr noch etwas zu sagen, etwas Nettes vielleicht zum Abschied. Ich konnte nicht leugnen, dass die Frau eine nicht mit Worten zu beschreibende Anziehungskraft auf mich ausübte, was mich völlig aus dem Konzept brachte. Ich verhielt mich irgendwie atypisch.

      Doch ich kam gar nicht dazu, weil sie es mit dem Abschiednehmen deutlich eiliger hatte. »In der Hoffnung, Sie nicht so schnell wiederzusehen, wünsche ich Ihnen schon mal ein schönes Weihnachtsfest«, sagte sie mit einem schnippischen Unterton.

      Und noch ehe ich antworten konnte, schob sie ihre Tochter zur Tür hinaus, und schon waren sie beide verschwunden. Nur der betörende Duft ihres Parfüms blieb zurück und stieg mir in die Nase.

      2

      Ich schob es auf den leckeren Duft nach Glühwein und Plätzchen, der mich auf den überfüllten Weihnachtsmarkt zog. Normalerweise bevorzugte ich in meiner Freizeit die Ruhe und Entspannung, die ich zu Hause auf meiner Couch bei einem guten Buch fand. Wenn es mich nicht gerade in die Natur zum Wandern oder Klettern trieb, dann fühlte ich mich in meiner kleinen, aber schicken Wohnung ziemlich gut aufgehoben. Doch heute wollte ich nicht allein sein. Die Weihnachtszeit machte mich melancholisch.

      Mit einem dampfenden Becher Heidelbeerglühwein in der Hand suchte ich nach einem freien Platz an einem der runden Stehtische. Ich hatte mein Ziel noch nicht erreicht, als mich ein Rempler in den Rücken aus dem Tritt brachte. Die heiße Flüssigkeit ergoss sich über meine Hand. Ich stieß einen erschrockenen Schrei aus. Fast hätte ich die Tasse fallenlassen. Meine Haut brannte unangenehm.

      »Herrgott noch mal«, fluchte ich. Wütend knallte ich die nur noch halbgefüllte Tasse auf den nächstbesten Tisch und rieb mir übers Handgelenk.