Emma erbt. Armand Amapolas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Armand Amapolas
Издательство: Bookwire
Серия: Emma auf Teneriffa
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9788494342998
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sie und Herr Seidenschuh gemeint. Der in diesen Berichten nur anfangs als »Herr Seidenschuh« vorkam oder auch als »mein Nachbar«. Später war immer nur von Pedro die Rede. Offensichtlich hatte sich Herr Seidenschuh entschieden, dass Hans-Peter zu teutonisch klang. Er war Lehrer in Duisburg gewesen, das wusste Emma noch, und dass er aus irgendeinem Grund frühpensioniert war und seit langem ganzjährig auf der Insel lebte. Wegen Kinderallergie, hatte Oma Ilse mal gesagt. Ein Ausgewanderter. Pedro eben. Señor Seidenschuh hatte den Hans-Peter abgelegt.

      Gesehen hatte Emma den legendären Pedro noch nie. Sie hatte sich gegen die Vermutung gestemmt, Oma Ilse könne mehr mit Pedro verbinden als kollegiale Nachbarschaft. Die Idee, dass ihre Oma mit einem anderen Mann als Opa Heinrich – und selbst mit dem – also das war Emma zu wenig omahaft – obwohl sie natürlich wusste, wie unsinnig das war. Dass auch Senioren noch Sex haben, wurde einem ja neuerdings in jedem zweiten deutschen Fernsehfilm nahegebracht. Trotzdem wollte Emma den Gedanken nicht an sich herantreten lassen, jedenfalls nicht, wenn ihre Oma Ilse darin eine Rolle spielen sollte.

      Ilse Schneider war Jahrgang 1925 und gut über 80, als sie starb.

      Der Mann, der jetzt auf Emma strahlend zueilte, sah halb so alt aus. Wie satte vierzig vielleicht, oder wie ein gut konservierter 50er. Einen Frührentner hatte sich Emma anders vorgestellt, aus welchem Grund auch immer. Er war braungebrannt, ohne prollig zu wirken, hatte volles, dunkles, nur dezent an den Schläfen angegrautes Haar. Seine nackten Füße steckten in Wildleder-Slippern. Er trug gutsitzende Jeans und ein sattgelbes Polo-Shirt: die globale Kluft der Junggebliebenen. Hätte da nicht ein Goldkettchen um seinen Hals gebaumelt, Emma hätte Pedro auf Anhieb durchaus sympathisch gefunden. Aber Goldkettchen-Männlein waren ihr zuwider. Warum, das hätte sie nicht zu erklären vermocht. Es war einfach so.

      »Pedro«, stellte er sich vor. »Also eigentlich Hans-Peter. Aber ich nehme an, Ilse hat Ihnen mehr von Pedro erzählt als von Hans-Peter.«

      »Das ist wahr. Aber ich habe Sie mir ganz anders vorgestellt.«

      »Hoffentlich nicht sympathischer. Ich habe Sie jedenfalls gleich erkannt. Sie sehen genauso aus und bewegen sich genauso, wie Ilse Sie geschildert hat.«

      »So? Wie trete ich denn auf? Und wie bewege ich mich?«

      »Selbstbewusst. Wie eine junge Frau, die genau weiß, was sie will – aber ohne diese Hoppla-hier-komm-ich-Manier, mit dem Geschäftsfrauen heute die Bühne zu betreten pflegen, ohne nach rechts und links zu blicken, diese Frauen in den bauhausmäßigen Business-Kostümen. Sie, Emma, wirken natürlich und so, als würden Sie sich für Ihre Umgebung interessieren. Kein bisschen Düsseldorf. Ich darf doch Emma zu Ihnen sagen? Ich habe das Gefühl, wir kennen uns schon lange.«

      »Klar. Emma. Pedro! Oder ist Ihnen Hans-Peter lieber?«

      »Nein, nein, Pedro passt schon. Hans-Peter wäre zu intim.«

      Pedro schmunzelte, Emma auch. Vielleicht hatte er das Goldkettchen ja geerbt und trug es nur aus Pietät? Jedenfalls konnte Emma verstehen, warum ihre Oma von Pedro angetan gewesen war. Er schien Witz zu haben.

      Wie selbstverständlich hatte Pedro ihren Koffer übernommen. Wie selbstverständlich hatte sie es zugelassen. Gemeinsam hatten sie die Ankunftshalle durch eine Glastür verlassen. Emma atmete tief durch. Der Himmel war jetzt wolkenlos blau. Am Straßenrand stand eine Reihe Palmen, deren Kronen sich sacht im Wind wiegten.

      »Was für eine Luft!« entfuhr es Emma: »Und das nach diesem Nieselregen der letzten Tage und dem niederrheinischen Nebel.«

      »Tja, und das ist hier fast immer so. Grund Nummer Zwei dafür, dass ich irgendwann keine Lust mehr auf den deutschen Trübsinn hatte.«

      »Und was war Grund Nummer Eins?«

      »Der Trübsinn selbst. Die ewige Hast, das ständige Jagen nach Mehr, der Neid, der wie Nebel auf den deutschen Seelen liegt. Die Sucht, alles immer korrekt machen zu wollen. Die Paragrafenreiterei.«

      »Und das gibt es hier nicht?«

      »Nein. Klar, hier sind die Menschen nicht besser oder schlechter als irgendwo sonst, aber sie genießen das Hier und Jetzt. Sie verschwenden weniger Gedanken an morgen. Vielleicht, weil es hier kaum Jahreszeiten gibt. Im Grunde ist ein Tag wie der andere. Womit wir wieder bei Grund Nummer Zwei angekommen wären. Und bei meinem Auto.«

      Pedro streckte den rechten Arm aus und drückte auf eine Taste an seinem Autoschlüssel, wie ein Magier, der seinen Zauberstab schwingt. Ein weißer Subaru-SUV reagierte mit dezentem Plopp. Sie hatten keine fünfzig Meter laufen müssen.

      »Ein schöner Flughafen. Den gab es, glaube ich, noch nicht, als ich das letzte Mal hier war.«

      »Das muss dann im letzten Jahrhundert gewesen sein. Ursprünglich gab es in der Tat nur den alten Nordflughafen, und der sah aus, als hätte ihn Generalissimo Franco persönlich gebaut. Die Gebäude stehen übrigens immer noch, aber daneben ist auch im Norden schon seit ein paar Jahren ein ganz modernes Terminal im Einsatz. Spanien hat einen gewaltigen Sprung in die Moderne hinter sich, und die Tinerfeños waren so klug, vor allem ihre Infrastruktur enorm aufzurüsten. Die Autobahn hat es bei Ihrem letzten Besuch vermutlich auch noch nicht gegeben. Bald soll sie um die ganze Insel führen. Wenn wieder Geld aus Madrid und Brüssel fließt. Zur Zeit ist ja Flaute.«

      Pedro wuchtete Emmas Patagonia-Koffer auf die Ladefläche des Subaru und bat Emma einzusteigen. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss, zögerte aber, den Wagen anzulassen, sah Emma an: »Emma und Sie: das klingt mir zu hanseatisch. Wie wäre es, wenn wir uns duzen? Das machen auf der Insel ohnehin fast alle so.«

      »Klar, warum nicht.« Emma ergriff Pedros ausgestreckte Hand und drückte sie. Die beiden lächelten sich an.

      Die Zubringerstraße zur Autobahn hinauf war zu Emmas Überraschung auf beiden Seiten abwechselungsreich mit Palmen, blühenden Büschen und Kakteen bepflanzt. Pedro nahm die Auffahrt Richtung Santa Cruz. Zehn Minuten später atmete Emma gut hörbar aus:

      »Ja, so hab ich die Insel in Erinnerung. Ich dachte schon, ich hätte was in meinem Kopf durcheinander gebracht. All die gepflegten Rabatten vorhin, am Flughafen! Das Grün! Der Süden der Insel, das war in meiner Erinnerung nur Stein und Staub. Oma Ilse hat immer gesagt; der Süden sei Gottes Mülldeponie. Da habe er den Abraum abgelegt, der übrigblieb, als er das Orotavatal im Norden schuf.«

      Links und rechts der Autobahn wechselten sich schmutzig-beige Geröllfelder mit wasserlosen Canyons ab, hier und da dekoriert mit schmucklosen, dafür schrillbunten Siedlungen.

      »Da, ein Windpark!« Wie aus dem Nichts tauchten Windräder auf, locker zu Gruppen geschart wie Pilze im Wald.

      »Hier sehen Windräder ja richtig gut aus«, fand Emma. »Sie dekorieren die Landschaft. Von wegen Verspargelung. Wo sonst nichts wächst, kann man auch nichts ver-irgendwassen! Außerdem scheint es sich zu lohnen.«

      Fast alle Räder waren in kräftiger Bewegung.

      »Die Insel will energie-autark werden. Neuerdings. Ist ja auch eigentlich naheliegend. Öl und Kohle gibt es hier nicht. Öl wird teuer importiert. Aber die Sonne scheint ganzjährig, und der Wind bläst auch nachts. Aber die meiste Kraft steckt im Meer. Wenn es gelänge, die richtig zu ernten, könnte Teneriffa Energie sogar exportieren. Erst recht, wenn der Vulkan mal wieder ausbräche. Der Teide.«

      »Ist das denn möglich?«

      »Sicher. Jederzeit. Das letzte Mal liegt nur einen Augenaufschlag zurück, geologisch gesehen. Aber heute sind wir sicher, glaube ich. Der Teide sieht ganz friedlich aus.«

      Die nächste halbe Stunde sprachen beide wenig. Emma sah nach rechts aus dem Fenster und behielt das Meer fest im Blick. Sie registrierte jedes Ausfahrt-Schild. Das war immer ihre Gewohnheit gewesen: alles um sie herum genau zu beobachten. Daran erkenne man die geborene Journalistin, hatte Paul Bärkamp zu ihr gesagt, anerkennend. Sie war mächtig stolz darauf gewesen. Bei dem Gedanken an Paul und die Redaktion und ihre steile, aber kurze Karriere war ihr, als steige Säure aus dem Magen in die Speiseröhre. Sie musste schlucken.

      Der Verkehr nahm zu. Pedro verließ die Überholspur und ordnete