Wenn die Zeitworte rein für sich ausgesprochen werden, so sind sie Hauptworte und bezeichnen zwar etwas (denn der Sprechende hält dabei sein Denken an und der Hörende verharrt dabei), aber sie sagen nicht, ob dieses Etwas ist oder nicht ist; denn sie bezeichnen weder das Sein, noch das Nichtsein des Gegenstandes und dies gilt selbst dann, wenn man das Wort: Seiendes ohne Zusatz für sich ausspricht, denn als solches ist es noch nichts, vielmehr deutet es nur eine Verbindung im Voraus an, die man aber ohne das damit Verbundene sich noch nicht vorstellen kann.
Viertes Kapitel
Eine Rede besteht aus Worten, welche in Folge Uebereinkommens etwas bedeuten und wo auch die einzelnen Theile der Rede etwas besonderes bezeichnen; sie ist aber nur eine Aussage, und nicht schon eine Bejahung oder Verneinung. Ich meine, dass z.B. »Person« zwar etwas bedeutet, aber nicht, ob sie ist oder nicht ist; wenn aber noch etwas hinzugefügt würde, so würde es eine Bejahung oder Verneinung werden. Dagegen bedeutet die einzelne Sylbe von Person nichts; auch in dem Worte: Maus, bezeichnet das »aus« nichts, sondern es ist da nur ein Laut.
In den zusammengesetzten Worten haben die Theile zwar eine Bedeutung, aber nicht für sich, wie ich schon gesagt habe.
Die Rede bedeutet zwar etwas, aber nicht wie ein Werkzeug, sondern, wie gesagt, vermöge Uebereinkommens. Nicht jede Rede enthält aber einen Ausspruch, sondern nur die, in welcher das Wahr-oder Falsch-sein enthalten ist, was nicht bei jeder Rede der Fall ist. So ist z.B. das Gelübde zwar eine Rede, aber es ist weder wahr, noch falsch. Ich lasse nun die übrigen Arten der Rede bei Seite, da deren Betrachtung mehr zur Beredtsamkeit und Dichtkunst gehört und nur die aussagende Rede der Gegenstand meiner jetzigen Untersuchung ist.
Fünftes Kapitel
Die ursprünglich als eine auftretende aussagende Rede ist die Bejahung und dann die Verneinung; alle andern aussagenden Reden sind nur durch Verknüpfung eine. Jede aussagende Rede muss nothwendig ein Zeitwort oder die Beugung eines Zeitworts enthalten; denn die Rede »der Mensch« wäre ohne Hinzufügung des ist, oder des war, oder des wird sein, keine aussagende Rede. Deshalb ist auch das »auf dem Lande lebende zweifüssige Geschöpf« eines und nicht vieles (denn es wird nicht dadurch eines, dass die Worte unmittelbar nach einander gesprochen werden). Indess gehört dies zu einer andern Untersuchung.
Die aussagende Rede ist eine, wenn sie Eines bezeichnet oder wenn sie durch Verbindung eine ist; dagegen sind die Reden viele, wenn sie nicht Eines, sondern Vieles bezeichnen oder wenn sie unverbunden sind. Das blosse Hauptwort, oder das blosse Zeitwort sind nur ein Ausgesprochenes; denn man pflegt nicht so zu sprechen, wenn man etwas mittheilen will, sei es, dass Jemand gefragt hat, oder dass man ohne Frage von selbst etwas mittheilen will. Die Reden sind entweder eine einfache Aussage, wenn sie etwas von Etwas aussagen, oder wenn sie etwas von Etwas verneinen oder sie bestehen aus mehreren solchen einfachen Aussagen, wie z.B. die zusammengesetzte Rede. Die einfache Aussage ist ein Sprechen, was etwas bedeutet in Bezug auf das Sein oder Nichtsein von etwas und zwar mit Unterscheidung der Zeiten.
Sechstes Kapitel
Bei der Bejahung wird etwas einem Gegenstande beigelegt; bei der Verneinung wird etwas einem Gegenstande abgesprochen. Da man nun ein Seiendes auch als ein Nicht – Seiendes aussagen kann und ein Nicht-Seiendes als ein Seiendes und ferner ein Seiendes als ein Seiendes und ein Nicht-Seiendes als ein Nicht-Seiendes und dies auch für Gegenstände ausserhalb der gegenwärtigen Zeit gilt, so ist es auch möglich, alles, was Jemand bejaht, zu verneinen, und alles, was er verneint, zu bejahen. Hieraus erhellt, dass jeder Bejahung eine Verneinung gegenüber steht und jeder Verneinung eine Bejahung.
Ein Widerspruch ist also dann vorhanden, wenn die Bejahung und Verneinung sich entgegenstehen. Unter Entgegenstehen verstehe ich aber, dass beide Aussagen in derselben Bestimmung desselben Gegenstandes sich entgegenstehen und dass die Worte dabei nicht zweideutig gebraucht werden und was sonst noch in dieser Hinsicht gegenüber den sophistischen Belästigungen näher zu bestimmen ist.
Siebentes Kapitel
Da nun die Gegenstände theils allgemeine, theils einzelne sind; (allgemein nenne ich, was von mehreren Gegenständen ausgesagt werden kann und einzeln, wo dies nicht geschehen kann; so ist z.B. Mensch ein Allgemeines, Kallias aber ein Einzelnes), so muss man bei der Aussage, dass etwas ist, oder nicht ist, dies entweder von einem Allgemeinen oder einem Einzelnen aussprechen. Wenn man nun von einem Allgemeinen allgemein aussagt, dass etwas in ihm enthalten ist und dass es nicht, in ihm enthalten ist, so werden diese Aussagen einander entgegengesetzt sein. Ich meine unter: »von einem Allgemeinen etwas allgemein aussagen« es so, wie z.B. jeder Mensch ist weiss, und: kein Mensch ist weiss. Wenn aber die Aussagen zwar von einem Allgemeinen, aber nicht allgemein geschehen, so sind sie einander nicht entgegengesetzt, obgleich das Ausgesagte mitunter entgegengesetzt sein kann. Von einem Allgemeinen etwas nicht allgemein aussagen, meine ich so, wie z.B.: der Mensch ist weiss, oder: der Mensch ist nicht weiss; denn: der Mensch ist zwar ein Allgemeines, aber er wird in der Aussage nicht als ein solches behandelt; denn der Zusatz »jeder« bezeichnet nicht das Allgemeine des Gegenstandes, sondern dass das von ihm Ausgesagte allgemein gelten soll.
Wollte man einem allgemein ausgesagten Allgemeinen etwas allgemein beilegen, so wäre dies nicht richtig; denn keine Bejahung ist wahr, wo von dem allgemein genommenen Allgemeinen etwas allgemein ausgesagt wird, z.B. wenn man sagte: Jeder Mensch ist jedes Geschöpf.
Eine Bejahung steht einer Verneinung dann widersprechend entgegen, wenn jene dem Gegenstande etwas allgemein beilegt und diese nicht-allgemein; z.B. die Aussagen: Jeder Mensch ist weiss, und: nicht-jeder Mensch ist weiss; ferner: kein Mensch ist weiss; und: ein einzelner Mensch ist weiss. Gegentheilig stehen sich die allgemeine Bejahung und die allgemeine Verneinung gegenüber; z.B.: jeder Mensch ist weiss, und: kein Mensch ist weiss; ferner: kein Mensch ist gerecht, und: jeder Mensch ist gerecht. Deshalb können diese gegentheiligen Urtheile nicht beide zugleich wahr sein, während bei den, einem allgemeinen Urtheile widersprechend entgegen stehenden Urtheilen es vorkommen kann, dass mehrere davon gleichzeitig wahr sind; wie z.B. die Urtheile; nicht-jeder Mensch ist weiss, und: ein einzelner Mensch ist weiss.
So weit nun widersprechende Urtheile über ein Allgemeines allgemein lauten, muss eines von beiden Urtheilen wahr und das andere falsch sein und dies gilt auch für widersprechende Urtheile von einem Einzelnen; z.B. Sokrates ist weiss, und: Sokrates ist nicht – weiss. Wenn aber solche Urtheile zwar über ein Allgemeines, aber nicht allgemein lauten, so ist nicht immer das eine wahr und das andere falsch, denn man kann in Wahrheit gleichzeitig sagen, dass der Mensch weiss und der Mensch nicht weiss ist, und dass der Mensch schön und der Mensch nicht schön ist; da, wenn er hässlich ist, er nicht schön ist und wenn er erst schön wird, er noch nicht schön ist. Auf den ersten Blick könnte wohl dergleichen widersinnig erscheinen, weil die Aussage: der Mensch ist nicht-weiss, zu bedeuten scheint, dass kein Mensch weiss sei; allein diese Aussage bedeutet dies nicht