Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst. Aristoteles. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aristoteles
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075834157
Скачать книгу

       Inhaltsverzeichnis

       a) Arten von Lust und Unlust

       b) Leidenschaft und Lust

       c) Grade der Willensstärke

       d) Böser Wille und schwacher Wille

       e) Wahre und falsche Willensstärke

      a) Arten von Lust und Unlust

       Inhaltsverzeichnis

      Damit hängt die Frage zusammen, ob es einen schlechthin seines Willens nicht mächtigen Menschen gibt, oder ob alle es nur in besonderer Beziehung sind, und wenn letzteres, in welcher Beziehung sie es sind.

      Ausgemacht ist, daß es die Lust und die Unlust ist, der gegenüber man sich enthaltsam oder willensstark und andererseits unenthaltsam und willensschwach zeigt. Von dem nun was Lust bereitet ist das eine notwendig, das andere an und für sich begehrenswert, aber so daß es ein Übermaß zuläßt. Notwendig ist was der Leib fordert; dahin gehört derartiges, wie das was die Ernährung und den geschlechtlichen Trieb angeht, und ferner solche leiblichen Genüsse, in bezug auf welche wir von Zügellosigkeit und von Erhabensein über dieselben gesprochen haben. Unter dem was nicht notwendig, aber doch an und für sich begehrenswert ist, verstehe ich solches wie Sieg, Ruhm, Reichtum und anderes Ähnliche, was wertvoll ist und Freude macht. Von denen nun, die sich auf dergleichen wider die rechte Vernunft, die ihnen doch innewohnt, im Obermaß richten, sagen wir nicht schlechthin, daß sie ihrer Begierden nicht mächtig seien, sondern mit dem Zusatz: sie seien ihrer Geld-, Gewinn-, Ruhmsucht oder ihrer Aufwallung nicht mächtig. Wir gebrauchen die Bezeichnung also nicht schlechthin, weil wir meinen, sie seien doch eigentlich anders geartet und würden nur nach Analogie so benannt, etwa so, wie man einen Mann namens »Mensch« näher als »den Mensch der in Olympia gesiegt hat« bezeichnet. Hier war der Unterschied zwischen der allgemeinen Bezeichnung »Mensch« und dem Namen für das Individuum gering, und gleichwohl war er vorhanden. So ersieht man dort den Unterschied daraus: die Genußsucht unterliegt dem Tadel nicht bloß als eine Verirrung, sondern geradezu als ein unsittliches Verhalten, entweder schlechthin oder in besonderer Beziehung; das aber gilt von keiner der oben bezeichneten Eigenschaften.

      Was das Verhältnis zu den leiblichen Genüssen anbetrifft, auf Grund dessen wir von einem darüber Erhaben- und einem ihnen zügellos Ergebensein sprechen, so heißt der, der nicht mit ausdrücklichem Vorsatz, vielmehr seinem Vorsatz und seiner Denkweise zuwider, dem Genuß im Übermaß nachjagt und der Unlust im Übermaß widerstrebt, etwa bei Hunger, Durst, Hitze, Frost und allen Affektionen des Tastsinns und des Geschmackssinnes: ein solcher also heißt willensschwach, und heißt so nicht mit einem besonderen Zusatz, in bestimmter Beziehung, wie in Beziehung etwa auf den Zorn, sondern ohne weiteres. Ein Zeichen, daß es sich dabei um eine bloße Analogie handelt, ist dies: auf Grund dieses letzteren Verhaltens wird einer willensschwach genannt, aber nicht mit Bezug auf irgendeine von den oben genannten Verhaltungsweisen. Das ist denn auch der Grund, weshalb man den Genußsüchtigen mit dem zügellos Ausschweifenden unter den gleichen Gesichtspunkt stellt und ebenso andererseits den der seiner mächtig ist und den der über die Begierden erhaben ist, aber keinen von denen, deren Begehren auf die vorher bezeichneten Dinge gerichtet ist, weil es sich bei den vorher genannten Klassen von Menschen im Grunde um dieselben Arten der Lust und Unlust handelt, nur daß, wenn auch die Gegenstände dieselben sind, doch die Art und Weise ihres Verhaltens zu den Gegenständen nicht dieselbe ist. Bei den einen ist das Verhalten ein grundsätzlich gewelltes, bei den andern nicht. Man wird also demjenigen einen höheren Grad zügelloser Gesinnung zuschreiben dürfen, der ohne von Begierden oder doch ohne von heftigen Begierden dazu getrieben zu werden, den Lüsten im Übermaß nachtrachtet und Unlust, auch mäßige, meidet, als denjenigen der es auf Grund allzu heftiger Triebe tut. Denn wie würde jener sich erst benehmen, wenn ihn jugendliche Leidenschaft ergriffe oder heftiger Schmerz über die Entbehrung des Unentbehrlichen ihn fortrisse!

      Nach unserer obigen Einteilung gibt es nun auch solche Begierden und solche Genüsse, die unter der Gattung des Edlen und Wertvollen einzureihen sind. Denn das was Lust bereitet ist zum Teil auf Grund der menschlichen Natur Gegenstand des Begehrens, während anderes dazu im Gegensatz steht, wieder anderes, wie Geld, Gewinn, Sieg und Ruhm, eine mittlere Stelle einnimmt. Wo es sich um die erstgenannte und um die dritte, die mittlere Klasse handelt, da erfährt man keine Mißbilligung bloß aus dem Grunde, weil man von dergleichen affiziert wird, es begehrt und liebt, sondern nur wegen der Art und Weise wie man es begehrt und wegen des Übermaßes darin. Es kann jemand einem seiner Natur nach edlen und wertvollen Gegenstande gegenüber die Selbstbeherrschung verlieren oder ihm nachtrachten wider das Gebot der Vernunft; er kann z.B. mehr als recht ist sich dem Streben nach Ruhm hingeben oder seine Kinder, seine Eltern im Übermaß lieben. Denn auch diese zählen zu den Gütern, und wer sich um sie angelegentlich bemüht, gewinnt sich Beifall, und dennoch gibt es ein Übermaß auch darin, wenn z. B, jemand wie Niobe sich mit den Göttern selbst in den Wettstreit einläßt, oder wenn er es macht wie Satyros, der von seiner Liebe zu seinem Vater seinen Beinamen erhielt, und die Liebe zum Vater übertreibt; denn Satyros ging doch, so meinte man, darin allzuweit bis zu wirklicher Torheit. In alledem nun kommt sicher niedrige Gesinnung nicht zur Erscheinung, und zwar aus dem angegebenen Grunde, weil jeder dieser Gegenstände an und für sich genommen und seiner Natur nach zu dem gehört was ein würdiges Ziel des Strebens bedeutet, und nur die Übertreibung als Verirrung verwerflich und zu meiden ist. Aus dem gleichen Grunde kann man hier also auch nicht von Mangel an Selbstbeherrschung sprechen. Denn solcher Mangel ist nicht nur etwas was man meiden soll: er ist geradezu verwerflich. Nur weil die Empfindungsweise eine gewisse Verwandtschaft zeigt, spricht man hier von Mangel an Selbstbeherrschung, aber mit einem Zusatz, der ausdrückt, daß es sich um ein bestimmtes einzelnes Gebiet des Verhaltens handelt. Es ist das gerade so wie man einen auch einen schlechten Arzt oder einen schlechten Schauspieler nennt, den man doch nicht ohne weiteres einen schlechten Menschen nennen würde. Wie wir nun hier den Ausdruck schlecht nicht im eigentlichen Sinne meinen, weil es sich nicht um eine schlechte Charaktereigenschaft, sondern nur um eine Ähnlichkeit des Verhältnisses handelt, so muß man offenbar auch dort annehmen, daß Mangel an Selbstbeherrschung und andererseits Willensfestigkeit in Wirklichkeit allein da zur Erscheinung kommt, wo es sich um dieselben Gegenstände handelt wie bei der Erhabenheit über die Lüste und bei der sinnlichen Zügellosigkeit, daß aber da, wo es sich bloß um eine lebhafte Aufwallung handelt, das Wort nur eine Ähnlichkeit des Verhältnisses bezeichnet. Und darum drückt man sich auch so aus, daß man hinzusetzt: Mangel an Selbstbeherrschung gegenüber der lebhaften Aufwallung wie der Ruhmsucht und Gewinnsucht.

      Es gibt also Lustempfindung, die in der Natur der empfindenden Wesen begründet ist, darunter teils solche die es schlechthin, teils solche die es nur für bestimmte Arten von Tieren und von Menschen ist. Es gibt aber auch solche, die nicht natürlich, sondern nur auf Grund von krankhafter Entartung oder von Angewöhnung oder schlimmer Naturanlage sich herausbildet. Auch in bezug auf jede dieser Erscheinungen kann man ein entsprechendes Verhalten beobachten. Ich denke dabei an solche nahezu bestialischen Neigungen, wie bei jener Megäre, die die Schwangeren aufgeschlitzt und die Kinder gefressen haben soll, oder wie bei manchen unter den verwilderten Völkerstämmen am Schwärzen Meere, die mit Vergnügen rohes Fleisch oder auch Menschenfleisch fressen, oder die sich gegenseitig die Kinder zum Schmause schenken, oder an das, was man sich von Phalaris erzählt. Dergleichen ist tierisch brutal; es kommt aber auch vor als Folgeerscheinung von Krankheiten, zuweilen auch von Wahnsinn, wie bei dem Menschen, der seine Mutter als Opfer schlachtete und aufaß, oder bei dem anderen, der die Leber seines Mitsklaven verschlang. Oder es sind krankhafte oder aus Angewöhnung stammende Ausartungen, wie wenn man sich die Haare ausrupft und an den Nägeln kaut oder Kohlen und