HOUSE OF RAIN. Greg F. Gifune. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Greg F. Gifune
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350816
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bester Freund. Er kennt ihn seit fast fünfzig Jahren und ist für Gordon wie ein Bruder. Er ist das Beste von Gordon und gleichzeitig das Schlechteste.

       »War mir nicht sicher, ob du kommen würdest«, sagt Harry. Obwohl er seit über fünfzig Jahren in Amerika lebt, spricht er noch immer mit einem leichten britischen Akzent.

       »Ich hab dir doch gesagt, dass ich komme, oder nicht?«

       Harry nippt an seinem Scotch und Soda. »Kaffee um diese Uhrzeit?«

       »Mir ist kalt.«

       »Mir ist immer kalt.«

       »Dir und mir.«

       »Ist schrecklich, alt zu sein, nicht?« Harry grinst, wobei seine langen nikotinfleckigen Zähne hervorblitzen, aber viel mehr ist von ihm auch nicht zu sehen, da er im Dunkeln sitzt. »Was würde ich nicht dafür geben, noch mal zurück zu können und zwanzig, zehn – ach was, auch nur fünf Jugendjahre zu haben.«

       »Man kann nicht ewig leben, Harry.«

       »So heißt es. Aber die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war, nicht?«

       Gordon probiert seinen Kaffee. Er ist stark und bitter und so heiß, dass er ihm die Lippen verbrennt. »War sie das jemals?«

       Harry beantwortet das nicht. Nach einer Weile erzählt ihm Gordon von dem Obdachlosen, der vor seiner Wohnung angegriffen wurde.

       »Der mit dem geschniegelten Bart, der im Park lebt? Der muss zehn Jahre älter sein als wir.«

       »Auf jeden Fall mindestens fünf oder sechs Jahre älter.«

       »Abschaum. Die hätten ihn töten können.«

       »Haben sie vielleicht auch. Sie haben ihn im Krankenwagen weggebracht. Ich weiß es nicht.«

       Harry fährt sich mit einer von Arthritis verkrüppelten Hand durch sein dünnes graues Haar, das er von seinem kantigen Gesicht immer streng nach hinten kämmt.

       »Himmel auch.«

       »Ja.« Gordon trinkt einen weiteren Schluck Kaffee. Wärme beginnt, wieder in seine Gliedmaßen zurückzukehren. »Hätte genauso gut ich sein können.«

       »Oder ich, Gordo, meine Nachbarschaft ist auch nicht besser.« Er lächelt wieder, aber es sieht schmerzvoll aus und nicht freudig. »Du könntest dich wenigstens wehren.«

       »Vor Jahren vielleicht noch. Jetzt nicht mehr. Ich stehe mir andauernd selbst im Weg rum.«

       Harry schaut nach rechts, als würde er zwischen den benachbarten Tischen etwas über den Boden laufen sehen. »Ist mir ja peinlich es zuzugeben, aber es gibt Tage, an denen ich Angst hab, aus meinem Zimmer zu gehen.«

       »Das muss dir doch nicht peinlich sein. An manchen Tagen habe ich auch Angst.«

       Harry trinkt aus und unterdrückt ein Rülpsen. »Immerhin gab’s mal Zeiten, zu denen du hart drauf warst. Ich hab Kämpfe aber noch nie gemocht. Hab mich immer davor gedrückt. Hab mich an meine Bücher und meine Theaterstücke, meine Bilder gehalten. Ich war nie ein richtig harter Kerl.«

       »Niemand mit ein bisschen Verstand hat Spaß an Gewalt, Harry. Du hast immer über solchem Schwachsinn gestanden.«

       Er starrt in sein leeres Glas. »Vielleicht hatte ich bloß Angst.«

       »Wir alle hatten Schiss.«

       »Aber du warst in Vietnam, Gordo, du-«

       »Ich war bloß ein Soldat, nichts weiter. Außerdem ist das schon Ewigkeiten her.«

       »So lange nun auch wieder nicht.«

       »Es war ein völlig anderes Leben, glaub mir.«

       Harry lehnt sich vor, durchbricht die Dunkelheit. Mit seiner zerknitterten Hose, der Tweedjacke und dem Wollschal konnte er als alternder Collegeprofessor aus einem Kunstfilm durchgehen, aber seine fahle Haut, die das Kerzenlicht in ein unheimliches Rot taucht, gibt ihm ein fast dämonisches Aussehen.

       »Es geht doch darum, dass du die Erfahrung gemacht hast.«

       »Welche Erfahrung?«

       »Na, du hast Menschen … getötet. Vorher, im Einsatz, hast du-«

      »Harry, das ist was, über das ich nicht gern rede.« Ein scharfer Schmerz durchsticht Gordons Schläfe. Er verzieht das Gesicht und schiebt seine Kaffeetasse beiseite. »Und das weißt du.«

       »Tut mir leid.« Er lehnt sich zurück, erlaubt der Dunkelheit, ihn besser zu verbergen. »Ich habe nicht das Recht zu …«

       Gordon winkt dem Bartender, bestellt Harry noch einen Scotch mit Soda und sich selbst auch einen. »Pass auf«, sagt er mit unbewegter Miene, »du weißt selbst, dass das schon Jahre hinter mir lag, als ich Katy kennengelernt habe, aber ich war immer noch wie verloren. Sie hat das alles geändert. Sie hat den ganzen Schmerz und die Angst und Schuld vertrieben und irgendwann ist es zu etwas anderem geworden, anders als Erinnerungen oder die Vergangenheit. Es ist in gewissem Sinne gestorben.«

       »Die Liebe hat es besiegt.« Harry zieht eine Augenbraue hoch, angetan von seiner Einschätzung.

       »Ja«, sagt Gordon. »Das hat sie wohl.«

       Der Bartender kommt mit ihren Drinks, bietet ihnen an anzuschreiben und überlässt sie dann wieder sich selbst.

       Harry hebt sein Glas. »Auf Katy.«

       »Auf Katy.«

       Sie stoßen an und trinken. Harry tut Gordon leid. Im Gegensatz zu ihm und Katy war Harry zweimal verheiratet gewesen und beide Male hatte es in Scheidung geendet. Seine erste Frau war vor ein paar Jahren gestorben und seine zweite hatte wieder geheiratet und schon seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr mit ihm. Er hat zwei erwachsene Kinder, die er ebenfalls seit Jahren nicht gesehen hat, sowie eine ganze Anzahl von Enkelkindern, die er überhaupt nicht kennt. »Es ist schön, dich zu sehen, Harry. Ich … musste dich sehen.«

       »Gleichfalls. Ich hatte angefangen, mir Sorgen zu machen; hatte ja schon eine Weile nichts mehr von dir gehört. Auf die Gefahr hin, wie der pathetische alte Narr zu klingen, der ich bin – ich befürchte, du bist mein einziger Freund, Gordon.«

       »Dann sind wir beide pathetische alte Narren, weil du auch der einzige Freund bist, den ich habe. Außer Katy bist du der einzige richtige Freund, den ich je gehabt habe.«

       Die beiden Männer trinken eine Weile, ohne zu reden. Der Bartender sitzt auf einem Hocker und liest ein Taschenbuch, ein eselohriges Exemplar von Ira Levins Rosemarys Baby. Draußen lässt der Regen nicht nach. Sie können es nicht sehen, aber hören, wie er gegen die Wände peitscht, als sei er wütend, dass er nicht hereinkommen kann.

      »Seit ich meine Katy verloren habe«, sagt Gordon zögernd, »sind seltsame Dinge passiert, Harry.«

       »Was denn?«

       »Manchmal könnte ich abends, wenn alles still ist, schwören, dass mir im Schlafzimmer jemand zuflüstert. Aber dann mache ich das Licht an und es ist niemand da.«

      »Was sagt die Stimme denn?«

       »Meinen Namen. Immer wieder meinen Namen.«

       »Und kennst du die Stimme?«

       »Nein«, sagt er, und seine Augen werden feucht. »Aber ich weiß, wer es ist.«

       »Unsinn.« Harry wedelt mit der Hand, als wolle er die Luft zwischen ihnen klären. »Du musst aufhören, so viel zu kiffen. Du bist kein Teenager mehr.«

       Irgendwo in weiter Ferne oder vielleicht auch nur tief in Gordons Kopf erklingt der himmlisch zarte Ton eines Saxofons, das eine langsame, sinnlich verträumte Melodie spielt. Er nippt wieder an seinem Drink und schließt die Augen.

       Weiße und schwarze Luftballons fallen … Festlich gekleidete Menschen feiern und lachen, der Champagner fließt … und dort, auf der anderen Seite des Raums … eine Vision … die schönste Frau, die er je gesehen hat … Sie schaut … schaut ihn an … bevor sie mit einem scheuen Lächeln wegsieht …Er öffnet die Augen und es ist verschwunden, alles wieder weg. Seine Hände zittern. »Es tut mir leid, Harry. Alles. Ich – es tut mir leid.« »Hör auf. Du bist immer für mich