HOUSE OF RAIN. Greg F. Gifune. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Greg F. Gifune
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350816
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Wolke von Marihuana füllt. Er fragt sich, wie viele Stunden er wohl schon in diesem abstoßenden Möbelstück aus dem Secondhandladen verbracht hat. Egal, wie groß die Summe sein mag – er ist sich sicher, dass es zu viele sind. Als Katy noch am Leben und gesund gewesen war, hatte er nicht so viel Sitzfleisch gehabt. Ging auch gar nicht anders mit solch einer aktiven Frau. Und dann kam die Krankheit … Was fehlt dir denn, Sweetheart? Ich fühl mich nicht gut. Irgendwie fühl ich mich nicht gut. Bin immer so müde, und dann dieser Husten. Du bist in letzter Zeit sehr blass. Hol dir besser einen Termin beim Arzt. Hab ich schon. Es ist bestimmt nichts Ernstes.Katy ist seit über einem Jahr tot, aber an den meisten Tagen fühlt es sich an, als sei es erst Wochen her. Gordon hat alles versucht. Er hat Bücher über Verlust und Trauerbewältigung für Hinterbliebene gelesen – sogar die, die extra für Witwer gedacht sind –, er hat mit den Frauen von der Sozialberatung geredet und ist kurzzeitig sogar bei einem Psychologen gewesen, einem Mann mittleren Alters mit leiser Stimme namens Spires. Ab und zu ruft dessen Sekretärin an und fragt, ob er nicht wieder einen Termin haben möchte, aber er lehnt immer höflich ab und erklärt, dass es ihm jetzt viel besser geht. Das glaubt ihm niemand – warum auch –, und so kommen die Anrufe weiter. Er hat stattdessen angefangen, zu einer Selbsthilfegruppe für Hinterbliebene zu gehen. Die Gruppe trifft sich ein Mal pro Woche, wird von einer anderen Psychologin japanischer Abstammung namens Amaya geführt und hat keine Regeln, was die Beteiligung angeht. Gordon gefällt das. Er ist zweimal da gewesen, aber hat bisher noch nichts gesagt. Niemand zwingt ihn zum Reden, und so schweigt er. Er hört einfach zu. Das scheint etwas zu helfen. Oder vielleicht lenkt es ihn auch nur ab. Er ist sich noch nicht sicher. Vielleicht ist es ihm egal. Gordon schließt die Augen. Er durchschwimmt die Dunkelheit, lässt sich von seinem High tragen, und erinnert sich einen kurzen Augenblick daran, wie es sich anfühlt, jung und stark und beweglich zu sein. Er erinnert sich daran, Joggen zu gehen oder Fahrrad zu fahren. Er erinnert sich daran, zu leben. Und Katy, immer ist seine Katy dabei und mahnt ihn, wie schnell das Leben zu etwas werden kann, dass es wert ist, gelebt zu werden – etwas Berauschendes und Magisches wie ein Märchen – und dann genauso schnell … das hier. Er öffnet die Augen, legt die Pfeife weg und stemmt sich auf die Beine. Langsam schlurft er auf dem Weg zur Küche durchs Wohnzimmer, und seine abgewetzten Mokassins schleifen über den kahlen Holzfußboden. Ihm ist kalt, bevor er in der Küche ankommt. Immer ist ihm jetzt so gottverdammt kalt. Er wickelt sich die Strickjacke enger um sein Pyjamaoberteil. Scheiße, denkt er, ich kann von einem Ende dieser Absteige zum andern spucken. Warum fühlt es sich an, als ob ich grad einen Marathon gelaufen bin? Wenn er lange genug in die Stille horcht, kann er hören, wie Katy ihm antwortet. Weil du ein alter Sack bist. Darum.Seine Lippen kräuseln sich mit so was wie einem Lächeln. Er verbannt es und nimmt sich sein Müsli aus dem Schrank. Normalerweise tut ihm die Schulter weh, aber das Haschisch ist ein natürliches Schmerzmittel und daher fühlt er nichts. Was nicht ganz stimmt. Kichern. Er fühlt sich, als würde er gern kichern. Und so tut er es auch. Als er sein Product 19 mit Milch übergossen hat, ist das Lachen weg. Seltsam, dass er nur lacht, wenn er richtig high ist – und selbst dann ist es ein seelenloses, leeres Lachen. Ohne jegliche Bedeutung. Trotzdem fängt er wieder an zu kichern. Er kann sich nicht dagegen wehren. Elender Idiot. In deinem Alter noch eine völlig zugekiffte Birne.»Sind Sie auf Drogen?«, fragt er laut in seiner besten autoritären Stimme. Gordon zieht seinen Stuhl vor und setzt sich an den kleinen Tisch. Noch ein tolles Schnäppchen von der Salvation Army, denkt er. Manchmal fragt er sich, wem diese Dinge früher gehörten und erinnert sich, wie einmal während seines Einkaufs dort ein junges Pärchen an ihm vorbeigegangen war und der Mann moserte, dass er aus dem Laden rauswollte, da »dieser ganze Schrott, die Klamotten und Möbel und alles hier gelandet sind, weil irgendwer gestorben ist. Du stöberst in den Sachen von toten Leuten rum.« Womit das kleine Arschloch recht gehabt hatte.Als Katy starb und er sich die schöne große Wohnung, die sie jahrelang bewohnten, nicht mehr leisten konnte, verkaufte oder verschenkte er das meiste an die Salvation Army. Jetzt saßen fremde Menschen auf Katys Möbeln, benutzten ihr Besteck, trugen sogar ihre Kleidung. Und er macht dasselbe mit den Sachen von jemand anderes. Gordon findet das gruselig, aber denkt trotzdem über diese Art von Dingen nach, während er sein Müsli isst; hier in diesem winzigen Apartment in diesem heruntergekommenen Wohnbezirk – denn als Katy starb, sind auch ihr gemeinsames Leben und ein großer Teil von Gordon gestorben. Er isst sein Müsli auf, lässt den Löffel in die Schale fallen und schiebt sie beiseite. Die Lust auf etwas Süßes stellt sich ein. Brownies. Er will Brownies. Warum zum Teufel hat er keine Brownies? Kann er welche backen? Wäre es den Aufwand wert, zum Laden an der Ecke zu gehen und sich welche zu holen? Haben sie dort überhaupt Brownies? Die Backmischung vielleicht, aber die wird in so einem Laden ein Vermögen kosten. Oder diese einzeln verpackten Dinger mit den Nüssen drin? Werden die noch hergestellt? Vielleicht Kuchen. Er könnte sich Kuchen holen, wenn er keine Brownies finden kann. Eine Obstschnitte wäre gut. Eine von Hostess, Blaubeere würde – nein, Moment – Kirsche – ein Stück Kirschtorte. Und Chips. Klar, in dieser Wohnung braucht es Pringles. Gordon steht auf und nimmt seine Brieftasche von der Anrichte: zerknautschtes und abgenutztes schwarzes Patentleder. Er schaut nach Bargeld. Achtzehn Dollar. Er sieht auf den kleinen magnetischen Kalender an der Kühlschranktür, einen, der umsonst war – von irgendeiner Maklerfirma, die den Kalender an ihn und vermutlich jeden anderen Bewohner der Stadt verschickt hatte. Es ist fast Monatsende. Sein Sozialhilfescheck kommt erst in zwei Wochen. Müde wirft er seine Brieftasche und seine achtzehn Dollar zurück auf die Anrichte und durchquert die Wohnung zum Schlafzimmer. Vor dem einzigen Fenster ist der Rollladen unten – da es auf eine Ziegelwand schaut, ist er meistens runtergezogen – und wirft das Zimmer in Dunkelheit. Er knipst eine Lampe auf seiner Kommode an, geht dann zu einem kleinen Schreibtisch an der anderen Wand und zieht eine Schublade auf. Unter einigen Papieren findet er sein Scheckbuch und sein Sparbuch. Obwohl er sie gerade erst vor ein paar Tagen durchgesehen hat, als er seine Monatsrechnungen bezahlte, überprüft er sie trotzdem noch mal. In seinem Scheckkonto sind zweihundertvier Dollar und in seinem Sparkonto knapp fünfhundert. Zweiundsiebzig Jahre alt, und ich besitze ganze siebenhundert Dollar. Heilige Scheiße. Diesen Monat gibt’s kein Geld für Extras, kein Geld für diese … Moment. Wofür brauche ich das Geld jetzt? Da war doch was, dass ich kaufen wollte, aber ich weiß nicht mehr, was zum Teufel es war. Das verdammte Gras lässt mich Sachen vergessen, ich …Sein Magen rumort. Torte! Das war’s. Verdammt, ich hab mehr als genug für ein paar Kirschtorten. Ich kann –Ein lauter Knall auf der Straße lenkt ihn ab. Es ist definitiv das Geräusch von zersplitterndem Glas, vermutlich von einer Flasche. Dann sind gedämpfte Stimmen zu hören. Wütende, aggressive Stimmen, denen ein Schrei folgt – der Schrei eines Mannes – und dann noch mehr Gebrüll. Gordon geht zurück ins Wohnzimmer und schaut aus dem Doppelfenster an der Vorderfront, das zur Straße zeigt. Seine Wohnung ist im ersten Stock, also über der Straße gelegen, aber immer noch nahe genug, um ihn deutlich sehen zu lassen, was unter ihm vor sich geht. Ein Obdachloser, den er oft im Park auf der gegenüberliegenden Straßenseite gesehen hat, liegt ausgestreckt auf dem Gehweg. Er ist wohl um die sechs oder sieben Jahre älter als Gordon. Er liegt auf dem Bauch und es scheint, als ob er aus großer Höhe gefallen und dort gelandet ist – sein abgewetzter langer Mantel liegt um ihn ausgebreitet auf dem Boden. Nicht viel weiter, knapp außerhalb seiner Reichweite, sind die zerbrochenen Überreste einer Weinflasche. Glassplitter bedecken seinen Rücken und Blut rinnt aus einer langen Schnittwunde an seiner Kopfseite, wird zu einem Heiligenschein, der über die Bordsteinkante und in den Gully tropft. Ein paar Teenager umringen ihn wie eine Horde Todesengel, lachen und springen herum, halten ab und zu inne, um dem Mann in die Seite zu treten. Er versucht wegzukriechen, aber sie stürzen sich wieder auf ihn, kicken und treten, bis er aufhört, sich zu bewegen. Menschen wechseln die Straßenseite oder hasten vorbei, wollen nicht darin verwickelt werden. Autos fahren vorbei. Niemand hält an. Gordon erkennt die kleinen Arschlöcher. Sie kommen aus der Nachbarschaft, den Sozialwohnungen um die Ecke. Er spürt, wie sich seine Hände zu Fäusten ballen, als Wut in ihm hochsteigt. »Kleine Arschlöcher«, grummelt er. Aber er weiß, dass er diese Wut nicht zulassen kann; er muss sie zurück in die Dunkelheit stoßen, wo sie hingehört. Aber irgendwas sollte ich doch tun, ich – irgendwas, verdammt noch mal!»Scheiß Penner!«, brüllt einer der Jungs laut genug, dass es durchs geschlossene Fenster zu hören ist. »Besorg dir mal ‘nen Job, du bettelndes Stück Scheiße!« Die andern lachen und feuern ihren Freund an, während der obdachlose Mann erneut wegzukriechen versucht. Sie lassen