Ausgewählte philosophische Werke von Moses Mendelssohn. Moses Mendelssohn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Moses Mendelssohn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207183
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weit wunderbarer wäre es, wenn die Vorsteher eines Staats die Bürger weniger und schlechter machten, und dennoch nicht schlechte Vorsteher seyn wollten. Sie ließen ihn kommen, zeigten ihm das Gesetz, und verboten ihm mit jungen Leuten sich in Unterredung einzulassen. »Ist es erlaubt, versetzte Sokrates, eines und das andere zu fragen, das mir in diesem Verbote nicht deutlich genung ist?« – »O ja!« antwortete man. – »Ich bin bereit, erwiederte er, dem Gesetze zu folgen, und befürchte nur aus Unwissenheit dawider zu verstoßen: ich bitte daher um eine deutlichere Erklärung, ob ihr unter der Redekunst, eine Kunst recht zu reden, oder unrecht zu reden versteht? Ist jenes: so muß ich mich enthalten, jemanden zu sagen, wie er recht reden soll; ist aber dieses: so werde ich niemand unterweisen, wie er unrecht reden soll.«

      Charikles entrüstete sich, und sprach: »Wenn du dieses nicht verstehest, so haben wir dir es faßlicher gemacht, und schlechterdings verboten, mit jungen Leuten zu reden.« – »Damit ich aber auch hierinn wisse, wie ich mich zu verhalten habe, sprach Sokrates: so bestimmt mir die Zeit, wie lange ihr die Menschen für junge Leute haltet?« »So lange sie nicht im Rathe sitzen können, antwortete Charikles, das ist, so lange sie nicht zu reifem Verstande gekommen sind, nehmlich bis zu dreyßig Jahren.«

      »Wenn ich aber etwas kaufen will, erwiederte Sokrates, das ein junger Mensch unter dreyßig Jahren zu verkaufen hat, soll ich nicht fragen, wie theuer?« »Dieses ist dir nicht verboten, sprach Charikles; aber du fragst manchmal Dinge, die du gar wohl weißt: solcher Fragen enthalte dich ferner!« – »Und antworten? sprach Sokrates weiter. Wenn ein junger Mensch mich fragt, wo Charikles oder Kritias wohne? darf ich ihm hierauf antworten?« – »Ja, ja, sprach Kritias; aber enthalte dich der abgenutzten Beyspiele und Gleichniße von Riemenschneidern, Zimmerleuten und Schmieden.« »Vermuthlich, erwiederte Sokrates, auch der Begriffe, die ich durch diese Beyspiele zu erläutern pflege, von der Gerechtigkeit, Heiligkeit, Frömmigkeit, u.s.w.?« »Ganz recht! antwortete Charikles, und vor allen Dingen auch der Viehhirten. Merke dir das! oder ich befürchte, du wirst auch die Heerde kleiner machen.«

      Sokrates achtete ihre Drohungen so wenig, als ihr ungereimtes Gesetz, das sie, der gesunden Vernunft und dem Gesetz der Natur schnurstracks zuwider, keine Befugniß gehabt einzuführen. Er setzte seine Bemühungen zum Besten der Tugend und Gerechtigkeit mit dem unermüdetesten Eifer fort, und die Tyrannen unterstunden sich gleichwohl nicht, ihm so gerade auf den Leib zu kommen. Sie suchten Umwege, und wollten ihn mit in ihre Ungerechtigkeiten verwickeln: trugen ihm daher nebst vier andern Bürgern auf, den Leon von Salamin nach Athen zu bringen, um ihn hinrichten zu lassen. Die andern übernahmen den Auftrag; Sokrates aber erklärte sich, daß er niemals zu einer ungerechten Sache die Hände bieten werde. So willst du denn, sprach Charikles, Freyheit haben, zu reden, was du willst, und gar nichts dafür leiden? Alles mögliche Uebel, antwortete er, will ich dafür leiden, nur das nicht, jemanden Unrecht zu thun. Charikles schwieg, und die übrigen sahen sich einander an. Diese Freyheiten würden den Sokrates am Ende dennoch das Leben gekostet haben, wenn nicht das Volk, der Grausamkeit dieser Tyrannen müde, einen Aufstand erregt, ihre vornehmsten Anführer umgebracht, und die übrigen zur Stadt hinaus gejagt hätte.

      Unter der wiederhergestellten demokratischen Regierung fanden die alten Feinde des Sokrates, die Sophisten, Priester und Redner, die längst erwünschte Gelegenheit, ihn mit besserm Glück zu verfolgen, und endlich gar aus dem Wege zu räumen. Anytus, Melitus und Lykon, sind die drey zu ihrer Schmach unvergeßliche Namen derer, die sich zur Ausführung dieses schändlichen Vorhabens haben brauchen lassen. Sie brachten die Verläumdung unter das Volk: Sokrates habe dem Kritias die Grundsätze der Tyranney beigebracht, die er neulich mit so unerhörter Grausamkeit ausgeübt hätte. Wer die Leichtgläubigkeit und Unbeständigkeit des Pöbels kennt, wird sich nicht verwundern, daß die Athenienser einer so offenbaren Falschheit Gehör gegeben, ob gleich jedermann wußte, was zwischen dem Sokrates und den Tyrannen vorgefallen. Einige Jahre vorher hatte Alcibiades, der große Talente, aber einen sehr wilden Charakter hatte, in Gesellschaft andrer muthwilligen Jünglinge, die Bildsäule des Merkurs zerschlagen, die Eleusinischen Geheimnisse öffentlich verspottet, und wegen dieses Uebermuths aus seiner Vaterstadt entweichen müssen. Anjetzo wurde diese Geschichte wieder rege gemacht, und von den Feinden des Sokrates ausgestreut, er habe dem jungen Menschen die Verachtung der Religion beigebracht. Nichts war den Lehren und der Aufführung des Sokrates mehr zuwider, als ein solcher Frevel. Den öffentlichen Gottesdienst, so abergläubisch er auch seyn mochte, hat er allezeit in Ehren gehalten; und was die Eleusinischen Geheimnisse betrifft, so rieth er allen seinen Freunden, sich in denselben einweihen zu lassen; ob er gleich selbst seine Ursachen haben mochte, es nicht zu thun. Man hat sehr guten Grund, zu glauben, daß die größern Geheimnisse zu Eleusis nichts anders waren, als die Lehren der wahren natürlichen Religion, und eine vernünftige Auslegung der Fabeln. Wenn Sokrates sich weigerte, die Einweihung anzunehmen, so geschah es, wahrscheinlicher Weise, um die Freyheit zu behalten, diese Geheimnisse ungestraft ausbreiten zu dürfen, die ihm die Priester durch die Einweihung zu entziehen suchten.

      Als die Verläumder das Volk durch dergleichen boshafte Ausstreuungen genugsam vorbereitet zu haben glaubten, brachte Melitus eine förmliche Anklage wider den Sokrates an die Obrigkeit der Stadt, welche alsofort dem Volk davon Nachricht gab. Das Gericht der Heliäa wurde zusammen berufen und die gewöhnliche Anzahl der Bürger durch das Loos bestimmt, die den Angeklagten richten sollten. Die Anklage war: Sokrates handelt wider die Gesetze, indem er, 1) die Götter der Stadt nicht verehrt und eine neue Gottheit einführen will, und 2) die Jugend verderbet, der er eine Verachtung alles dessen, was heilig ist, beybringet. Seine Strafe sey der Tod.

      Seine Freunde brachten ihm wohlausgearbeitete Reden zu seiner Vertheidigung. »Sie sind sehr schön, sprach er, aber für mich alten Mann schicken sich dergleichen Künste nicht.« »Willst du nicht selbst etwas zu deiner Vertheidigung aufsetzen?« fragten sie ihn. »Die beste Vertheidigung die ich machen kann, antwortete er, ist, daß ich in meinem Leben niemanden Unrecht gethan. Ich habe zu verschiedenen Malen angefangen auf eine Schutzrede zu denken, bin aber allemal von Gott daran verhindert worden. Vielleicht ist es sein Wille, daß ich in diesen Jahren, bevor das hinfällige und einer Krankheit ähnliche Alter kömmt, eines leichtern Todes sterben, und weder meinen Freunden noch mir selbst zur Last werden soll.« In diesen Worten hat jemand vor einiger Zeit den Beweis finden wollen, daß Sokrates feigherzig gewesen, und die Unbequemlichkeiten des Alters, mehr als den Tod, gefürchtet habe. Es gehöret nicht wenig Herzhaftigkeit dazu dem Leser so was einbilden zu wollen!

      An dem zu dieser Untersuchung öffentlich anberaumten Tage, erschienen Melitus, Anytus und Lyko, der erste für die Dichter, der zweyte für das Volk, und der letzte für die Redner, bestiegen einer nach dem andern den Rednerstul, und hielten die giftigsten und verleumderischsten Reden wider den Sokrates. Er betrat nach ihnen den Platz, ohne zu zittern oder zu zagen, ohne, nach der damaligen Gewohnheit auf Gerichtsstuben, seine Richter durch einen jämmerlichen Anblick zum Mitleiden bewegen zu wollen; sondern mit dem gesetzten und zuversichtlichen Wesen, das seiner Weisheit anständig war. Er hielt eine zwar ungekünstelte und unvorbereitete, aber männliche und sehr nachdrückliche Rede, in welcher er alle Verleumdungen und boshaften Gerüchte, die man zu seinem Nachtheil ausgestreut, ohne Bitterkeit wiederlegte, seine Ankläger beschämte und in ihren eigenen Beschuldigungen Widersprüche und Ungereimtheiten zeigte. Seinen Richtern begegnete er zwar mit der erfoderlichen Ehrerbietigkeit, sprach aber in einem so festen und seines Vorzugs sich bewußten Tone, daß seine Rede öfters durch unzufriedenes Murmeln unterbrochen ward. Er beschloß mit folgenden Worten:

      »Werdet nicht ungehalten, Athenienser! daß ich, wider die Gewohnheit der Verklagten, nicht in Thränen zu euch rede, oder meine Kinder, Verwandten und Freunde in einem kläglichen Aufzuge erscheinen lasse, um euch zum Mitleiden zu bewegen. Nicht aus Hochmuth oder Trotz habe ich dieses unterlassen; sondern weil ich es für unanständig halte, einen Richter anzuflehen, und ihn anders, als durch die Rechtmäßigkeit der Sache, einnehmen zu wollen. Der Richter hat sich durch einen Eid verpflichtet, nach Gesetz und Billigkeit zu urtheilen, und sein Mitleiden so wenig als seinen Zorn den Ausspruch thun zu lassen. Wir Angeklagten handeln also wider Recht und Billigkeit, wenn wir euch durch unsre Klagen eidbrüchig zu machen suchen, und wider die Achtung, die wir euch schuldig sind, wenn wir euch fähig halten,