Ausgewählte philosophische Werke von Moses Mendelssohn. Moses Mendelssohn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Moses Mendelssohn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207183
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Ein Beyspiel hievon siehet man, außer der Harmonie, auch an den Farben. Bringet zwo verschiedene Farben in einen so kleinen Raum zusammen, daß sie das Auge nicht unterscheiden kann: so werden sie in der Natur noch immer getrennet, und isolirt bleiben; aber unsere Empfindung wird sich gleichwohl aus derselben eine Dritte zusammensetzen, die mit jenen nichts gemein hat. Eine ähnliche Beschaffenheit hat es mit dem Geschmack, und, wo ich nicht irre, mit allen unsern Fühlungen und Empfindungen überhaupt. Sie können durch die Zusammensetzung und Verbindung zwar an und für sich nicht anders werden, als sie einzeln sind; wohl aber dem denkenden Wesen, das sie nicht deutlich auseinander setzen kann, anders scheinen, als sie ohne Verbindung scheinen würden. – Dieses kann zugegeben werden, sprach Simmias. – Kann also das denkende Wesen seinen Ursprung in einfachen Kräften haben, die nicht denkend sind? – Unmöglich! da wir vorhin gesehen, daß das Vermögen zu denken in keinem Ganzen, das aus vielen bestehet, seinen Ursprung haben könne. – Ganz recht! erwiederte Sokrates: das Zusammennehmen der einfachen Kräfte, aus welchen eine unähnliche Kraft des Zusammengesetzten entspringen soll, setzet ein denkendes Wesen zum voraus, dem sie in Verbindung anders scheinen, als sie sind; daher kann aus diesem Zusammennehmen, aus dieser Verbindung unmöglich das denkende Wesen entspringen. Wenn also das Empfinden und Denken, mit einem Worte, das Vorstellen eine Kraft des Zusammengesetzten seyn soll: müssen die Kräfte der Bestandtheile nicht der Kraft des Ganzen ähnlich und folglich gleichfalls Vorstellungskräfte seyn? – Wie wäre es anders möglich, nachdem es kein Drittes geben kann? – Und die Theile dieser Bestandtheile, so weit nur immer die Theilbarkeit reichen kann, müssen diese nicht auch dergleichen Vorstellungsthätigkeiten haben? – Unstreitig! da jeder Bestandtheil wieder ein Ganzes ist, das aus kleinern Theilen bestehet, und unsre Vernunftschlüsse so lange fortgesetzet werden können, bis wir auf Grundtheile kommen, die einfach sind und nicht aus vielen bestehen. – Sage mir, mein lieber Simmias! finden wir nicht in unsrer Seele eine fast unendliche Menge von Begriffen, Erkenntnissen, Neigungen, Leidenschaften, die uns unaufhörlich beschäfftigen? – Allerdings! – Wo wären diese in den Theilen anzutreffen? Entweder zerstreuet, einige in diesem, andere in jenem, ohne jemals wiederholt zu werden; oder es giebt wenigstens ein einziges unter ihnen, das alle diese Erkenntnisse, Begierden und Abneigungen, so viel ihrer in unsrer Seele anzutreffen, vereiniget und in sich fasset. – Nothwendig eines von beiden, gab Simmias zur Antwort, und wie mich dünkt dürfte der erste Fall unmöglich seyn: denn alle Vorstellungen und Neigungen unsers Geistes sind so innerlich verknüpft und vereiniget, daß sie nothwendig auch irgend wo unzertrennt zugegen seyn müssen. – Du eilst mir mit starken Schritten entgegen, mein lieber Simmias! Wir würden weder uns erinnern, noch überlegen, noch vergleichen, noch denken können, ja wir würden nicht einmal die Person seyn, die wir vor einem Augenblick gewesen, wenn unsere Begriffe unter vielen vertheilet und nicht irgend wo zusammen in ihrer genauesten Verbindung anzutreffen wären. Wir müssen also wenigstens eine Substanz annehmen, die alle Begriffe der Bestandtheile vereiniget, und diese Substanz wird sie aus Theilen zusammengesetzt seyn können? – Unmöglich, sonst brauchen wir wieder ein Zusammennehmen und Gegeneinanderhalten, damit aus den Theilen ein Ganzes werde, und wir kommen wiederum dahin, wo wir ausgegangen sind. – Sie wird also einfach seyn? – Nothwendig. – Auch unausgedehnt? denn das Ausgedehnte ist theilbar, und das Theilbare nicht einfach: – Richtig! – Es giebt also in unserm Körper wenigstens eine einzige Substanz, die nicht ausgedehnt, nicht zusammengesetzt, sondern einfach ist, eine Vorstellungskraft hat, und alle unsere Begriffe, Begierden und Neigungen in sich vereiniget. Was hindert uns, diese Substanz Seele zu nennen? – Es ist gleichviel, vortrefflicher Freund! erwiederte Simmias, welchen Namen wir ihr geben, genug daß mein Einwurf bey ihr nicht statt findet, und alle deine Vernunftschlüsse, die du für die Unvergänglichkeit des denkenden Wesens vorgebracht, nunmehr unumstößlich sind. – Lasset uns noch dieses in Erwägung ziehen, versetzte jener: Wenn viele dergleichen Substanzen in einem menschlichen Körper zusammen wären, ja wenn wir alle Grundelemente unsers Körpers für Substanzen von dieser Natur halten wollten, würden meine Vernunftgründe für die Unvergänglichkeit dadurch etwas von ihrer Bindigkeit verlieren? oder würde uns eine solche Voraussetzung nicht vielmehr nöthigen, statt Eines unvergänglichen Geistes, viele zu gestatten, und also mehr einzuräumen, als wir zu unserm Vorhaben verlangten? Denn eine jede von diesen Substanzen würde, wie wir vorhin gesehen, den ganzen Innbegriff aller Vorstellungen, Wünsche und Begierden, des ganzen Menschen in sich fassen, und also, was den Umfang der Erkenntniß betrifft, würde ihre Kraft nicht eingeschränkter seyn können, als die Kraft des Ganzen. – Unmöglich eingeschränkter. – Und wie an Deutlichkeit, Wahrheit, Gewißheit und Leben der Erkenntniß? Setze viele verworrene, mangelhafte und schwankende Begriffe neben einander, wird dadurch ein aufgeklärter, vollständiger und bestimmter Begriff hervorgebracht? – Es scheinet nicht. Wo nicht ein Geist hinzu kömmt, der sie vergleichet, und durch Nachdenken und Ueberlegen sich eine vollkommnere Erkenntniß aus derselben selbst bildet: so hören sie in Ewigkeit nicht auf viele verworrene, mangelhafte und schwankende Begriffe zu seyn. – Richtig! – Die Bestandtheile des Menschen würden also Vorstellungen haben müssen, die eben so deutlich, eben so wahr, eben so vollkommen sind, als die Vorstellungen des Ganzen; denn aus weniger deutlichen, weniger wahren u. s. w. läßt sich keiner durch Zusammensetzen herausbringen, der einen größern Grad von diesen Vollkommenheiten haben sollte. – Dieses ist nicht zu leugnen. – Heißt aber dieses nicht, statt Eines vernünftigen Geistes, den wir in jeden menschlichen Körper setzen wollten, ganz ohne Noth eine unzählige Menge derselben annehmen? – Freylich! – Und diese Menge der denkenden Substanzen selbst wird sich wahrscheinlicher Weise an Vollkommenheit einander nicht gleich seyn; denn dergleichen unnütze Vervielfältigungen finden in diesem wohl geordneten Weltall nicht statt. – Die allerhöchste Vollkommenheit ihres Schöpfers, antwortete Simmias, läßt uns dieses mit Zuverläßigkeit schließen. – Also wird eine unter den denkenden Substanzen, die wir in den menschlichen Körper gesetzt, die vollkommenste unter ihnen seyn, und folglich die deutlichsten und aufgeklärtesten Begriffe haben: Nicht? – Nothwendiger Weise! – Diese einfache Substanz, die unausgedehnt ist, Vorstellungsvermögen besitzt, die vollkommenste unter den denkenden Substanzen ist, die in mir wohnen, und alle Begriffe, deren ich mir bewußt bin, in eben der Deutlichkeit, Wahrheit, Gewißheit, u. s. w. in sich fasset, ist dieses nicht meine Seele? – Nichts anders, mein theurer Sokrates! – Mein lieber Simmias! nunmehr ist es Zeit, einen Blick hinter uns auf den Weg zu werfen, den wir zurück gelegt. Wir haben voraus gesetzt, das Denkungsvermögen sey eine Eigenschaft des Zusammengesetzten, und, wie wunderbar! aus dieser Voraussetzung selbst bringen wir, durch eine Reihe von Vernunftschlüssen, den schnurstracks entgegengesetzten Satz heraus, daß nehmlich das Empfinden und Denken nothwendig Eigenschaften des Einfachen und nicht Zusammengesetzten seyn müßten: ist dieses nicht ein hinlänglicher Beweis, daß jene Voraussetzung unmöglich, sich selbst widersprechend, und also zu verwerfen sey? – Niemand kann dieses in Zweifel ziehen. – Ausdehnung und Bewegung, fuhr Sokrates fort, in diese Grundbegriffe läßt sich, wie wir gesehen, alles auflösen, was dem Zusammengesetzten zukommen kann; die Ausdehnung ist der Stoff, und die Bewegung die Quelle, aus welchen die Veränderungen entspringen. Beyde zeigen sich in der Zusammensetzung unter tausend mannigfaltigen Gestalten, und stellen in der körperlichen Natur die unendliche Reihe wundervoller Bildungen dar, vom kleinsten Sonnenstäublein, bis zu jener Herrlichkeit der himmlischen Sphären, die von den Dichtern für den Sitz der Götter gehalten werden. Alle kommen darinn überein, daß ihr Stoff Ausdehnung, und ihre Wirksamkeit Bewegung ist. Aber Wahrnehmen, Vergleichen, Schließen, Begehren, Wollen, Lust und Unlust empfinden, erfodern eine von Ausdehnung und Bewegung ganz verschiedene Bestandheit, einen andern Grundstoff, andere Quellen der Veränderungen. In einem einfachen Grundwesen muß hier vieles vorgestellet, das Außereinanderseyende zusammen begriffen, das Mannigfaltige gegeneinander gehalten, und das Verschiedene in Vergleichung gebracht werden. Was in dem weiten Raum der Körperwelt zerstreuet ist, dränget sich hier, ein Ganzes auszumachen, wie in einem Punkt zusammen, und was nicht mehr ist wird in dem gegenwärtigen Augenblick mit dem, was noch werden soll, in Vergleichung gebracht. Allhier erkenne ich weder Ausdehnung noch Farbe, weder Ruhe noch Bewegung, weder Raum noch Zeit, sondern ein innerlich wirksames Wesen, das Ausdehnung und Farbe, Ruhe und Bewegung, Raum und Zeit sich vorstellet, verbindet, trennet, vergleichet, wählet, und noch tausend anderer Beschaffenheiten fähig ist, die mit Ausdehnung und Bewegung nicht die