XIII
Die erste Nachricht von der Gefangensetzung des Junkers gelangte nach Ehrenberg durch einen Botenreiter, der nach dem nördlichen Spessart unterwegs war. Von ihm erfuhr es Wallork, der es nach seiner mürrisch-verschlossenen Art und weil ihn das Alter schon schwachsinnig gemacht hatte, für sich behielt. Weitere Botschaften, von Jägern und Landstreichern herzugetragen, ließen nicht lang auf sich warten. Der tauben Lenette wurde es vom Amtsschreiber von Randersacker mitgeteilt, der aufs Schloß kam, um die Viehsteuer einzuheben. »Auf Befehl des Bischofs wegen Zauberei in das Gefängnis bei der Münze verbracht.« Da war sicher nichts geflunkert oder übertrieben, wen verschonte denn der Bischof in seiner Angst und seinem Aberwitz. Die Lenette stand eine Weile da, als hätte sie der Schlag gerührt. Dann sagte sie trotzig: »Das glaub ich nicht.« Zu Mittag war noch kein Feuer im Herd. Zum Magister war das Gerücht auch bereits gedrungen, ihn konnte es nicht überraschen, wenn er sich die Worte und das Gehaben des Jesuiten in Erinnerung rief. Er verfaßte noch denselben Tag eine Epistel an seinen Freund, den Propst Lieblein in Würzburg und bat ihn um Hilfe bei der Angelegenheit. Den Brief schickte er durch einen Hirtenbuben in die Stadt. Am Abend bekam er die Antwort. »Ich kann Euch nicht helfen, amicus, ich kann Euch nicht einmal raten«, schrieb der Propst, »in unserer Welt geht alles drüber und drunter, will sagen die Unvernunft drüber und der Verstand drunter und bald werden wir am Ende sein, was wäre da noch für einen alten Mann zu erklecken? Rührt Euch nicht vom Fleck, das ist der beste Rat, den ich Euch zu erteilen vermag. So Ihr Euch aber doch auf den Weg und herüber begeben wollt in unsere bescheidene Behausung, will ich Euch mit dem Pater Spe zusammenbringen, einem klugen und frommen Mann, wie es wenige mehr gibt im heiligen römischen Reich, vielleicht kann der Euch nützen, er wird am Sonntag Peter und Paul bei mir zur Nacht speisen.« Die Mahnung, er solle sich nicht vom Fleck bewegen, fiel beim Magister Onno nicht auf unfruchtbaren Boden, das wars was er wollte, unbelästigt und ungeschoren bei seinen Folianten und Scripturen bleiben. Nach der Abreise des Junkers hatte sich niemand um ihn gekümmert, und trotzdem es hier kein Amt mehr für ihn gab, hatte er sich nicht entschließen können, Ehrenberg zu verlassen. Wohin hätte er auch gehen sollen, er wußte keinen Ort auf der weiten Erde, wo er Unterschlupf finden konnte. Aber da es nun um Wohl und Weh des Junkers ging, bemeisterte er seine Schwerfälligkeit und Weltscheu, und am Abend vor der Wanderung nach Würzburg vertraute er der Lenette an, was für einen Gang er vorhatte, auch daß er sich nicht eben viel davon versprach. Das grauhaarige alte Mädchen saß elend vor dem Herd, und ihr verrunzeltes Gesicht erhellte sich ein wenig; obschon sie die Person des Magisters ziemlich gering einschätzte, hegte sie doch einen dumpfen, dem Aberglauben ähnlichen Respekt vor seiner Gelehrsamkeit, man konnte ja nicht wissen, ob er nicht ihren Junker zu retten vermochte. Es war alles anders, seit der Junker Ernst fort war, die Treppen waren doppelt so schwer zu steigen, das Holz doppelt so schwer zu spalten, jede Nacht war wie ein Grab, der Wald wuchs überm Dach des Hauses zusammen. Ohne ihn fühlte sie sich als ein erbärmliches Stück Mensch, und wenn er gleich tagelang nicht nach ihr hingesehen hatte, er war doch da und ging und kam, man schürte Feuer für seine Suppe, wusch das Linnen für sein Bett, flickte das Hemd für seinen Leib, fast wie eine Mutter.
Und die Mutter, was machte die derweil? Sie wußte nicht einmal, wie es um den Sohn stand und was ihm drohte. Niemand hatte ihr was gesagt. Niemand außer Lenette hatte bei der Kunde an sie gedacht. Niemand sprach davon, daß sie die Mutter war, daß das Unglück am meisten sie anging. Niemand kam in ihre Nähe, und sie ihrerseits verlangte keinen Menschen zu sehen. Gestern hatte Lenette sich vorgenommen, ihr alles zu sagen, kaum hatte sie den Namen des Junkers ausgesprochen, so hatte ihr die Freifrau heftig zugewinkt, sie möge schweigen. Da schwieg sie. Doch überlegte sie sich, wie sie die Frau geliebt und wie sie ihr ein Leben lang gedient und wie sie zum traurigen Schatten geworden war, mannlos, sohnlos, gottlos, was sollte daraus werden. Sie ging, und diesen Abend, als der Magister mit ihr geredet, kam sie wieder. Kerzen flackerten im Gemach, die Freifrau schlief noch nicht, sie hatte ein Metallfigürchen zwischen den Händen, eine Diana mit dem Bogen, und liebkoste es, indes ihr Blick geistesabwesend ins Leere flatterte. »Was treibt Ihr da, Gnaden«, sagte Lenette, »Ihr tätet besser, Euch um Euer Kind umzuschauen, statt mit dem heidnischen Unzeug die Zeit zu vertändeln.« Die Freifrau, erloschenen Angesichts, murmelte: »Warum ist er von mir weggegangen?« Lenette glaubte nicht recht gehört zu haben, sie hielt die rechte Hand wie eine Muschel ans Ohr und beugte sich gegen das Bett der Herrin. Aber Theodata schüttelte langsam den Kopf, und zwischen ihren schöngeschwungenen Wimpern glänzten Tränen. Lenette stammelte: »Dauert es Euch, Gnaden? Wahrhaftig? Ist Euch das Herz im Leib erweicht worden und gedenkt Ihr seiner wie eine richtige Mutter?« Mit matter Geste wehrte die Freifrau die zudringlichen Fragen ab. »Magst mich immer nach deiner Weise verstehen«, sagte sie bitter vor sich hin, »wen hätt ich, der mich nach meiner verstünde? Wär ich Mutter, so wär ich Weib und hätt auch ein Herz und hätt nicht das Leben vertan und hätt ihn aufgezogen und besäß ihn für gewiß. Schlechtes Gewissen macht schlecht.« Da nahm Lenette, die jede Silbe aufgefangen hatte wie ein Dürstender das Wasser, ihren ganzen Mut zusammen und sagte: »Der Würzburger Henker hat ihn gefaßt, und er schmachtet im Kerker, Gnaden.«
Theodata sprang auf als sei das Laken unter ihr in Brand geraten. »Der Bischof?« fragte sie mit Mund, Augen, Händen. Lenette nickte. »Wessen klagt er ihn an?« – »Der Hexerei klagt er ihn an.« – »Und sie werden