XII
Er folgte dem Bischof in dessen Gemach, dort blieb er nah an der Wand stehen, zu Boden schauend, hager und stumm. Die Arme hingen schwarz am schwarzen Kleid herab, aus den Ärmeln kamen die Hände hervor wie zwei große bleiche fleischige Früchte. Er schwieg, weil er die Rede des Bischofs abwartete, obwohl er besser wußte, was in dessen Brust vorging als dieser selbst. War er doch dazu erzogen, Menschen zu erraten und sie nach seiner Wissenschaft zu lenken, dadurch hatte er die Sicherheit gewonnen, die den Unsichern willfährig macht, und die Kälte, die den Lauen schreckt. Seine Verstandesschärfe hielt der düstern Erfahrung die Waage, die Schwärze, in der er sich bewegte, kannte kein Gesetz als das des blinden Gehorsams, und Leben bedeutete wenig, Geburt und Tod, gegen die Regel und ihre Einhaltung. Doch kann sich niemand seiner Menschenart entziehen, kann nicht ohne geheimes Selbstsein die Kreatur von unsichtbaren Hegern und Befehlern werden, die ihn in eine fertiggezimmerte Welt pferchen, damit er diene und schweige, so ist es nicht, immer bleibt der Kreis, den er außen abschreiten kann, so weit wie der Raum in seiner Seele, sonst hätte es nicht einen Mann wie Friedrich Spe geben können, Jesuitenpater wie der bischöfliche Kanzler, doch so verschieden von ihm wie unirdischer Stoff von irdischem, der zur selben Zeit trostbringend und leidheilend (so gut ers eben vermochte) als Hexenbeichtiger durch die Städte der fränkischen Bistümer wanderte und den Ketzerrichtern ein Dorn im Auge, dem Pater Gropp aus vielen Gründen ein Dorn im Herzen war.
Lossagung vom Junker war es, was der Pater Gropp zuvörderst vom Bischof verlangte. Der Bischof begehrte auf, sein Zappeln und Schelten verbarg nur schlecht die Furcht, die er vor dem Jesuiten empfand, der seinerseits so unerregt sprach, als läse er die Titel von einem Index ab. Bereits in dieser ersten Unterredung fiel das Wort Zauberei. Daß der Junker sich des todeswürdigen Delikts schuldig gemacht, litt keinen Zweifel, es handelte sich nicht mehr um Verdacht, da war Tatbestand und Beweis, wenn anders sich die Pestilenz, von der alles im Schloß und die Jugend in Stadt und Landschaft angesteckt war, aus dieser Quelle herleitete. Offensichtlich war der eingerissene Verderb, die Aufgelockertheit, die Wortlüsternheit, der Wahn und Rausch, in den er sie versetzte, das Schalksnarrentum, die Verminderung des Wohlanstands und der respektvollen Distanz, die Verkettung ihrer Gedanken mit den verruchten Gebilden, die seit der Anwesenheit des Junkers sogar in die Sinne der Ehrenfesten Eingang gefunden, wodurch das gemeine Wesen in Gefahr der Auflösung geriet. Dergleichen hatte sich schon ereignet. Hundert Jahre wars her seit den Böhaimischen Unruhen, die das Volk im Tauberkreis und Maingau ergriffen hatten; der Herr Bischof hatte nie davon gehört, Pater Gropp zögerte nicht mit der Belehrung. Ein schwärmerischer Jüngling, Hans Böheim, Bauernsohn aus Helmstadt im Taubergrund, zog mit Pauke und Sackpfeife auf Kirchweihen und Tanzfesten umher und verwirrte die Bauern mit Weissagungen und Predigten; die Reichen sollten sich ihres Reichtums entäußern, damit die Armen satt zu essen bekämen, Wald, Wasser und Luft, Wild, Fische und Vögel sollten jedem zur Benutzung frei sein, kirchliche wie weltliche Herrschaft werde enden, keiner werde mehr besitzen als der andere und Fürsten und Herren würden um Tagelohn arbeiten wie der Knecht. Die Dorfbewohner kamen mit Gaben zu ihm, Wachskerzen spendeten sie für die Kirche von Nicklashausen, wo er seinen Sitz hatte, Scharen von Pilgern strömten herzu, und sobald der Narr erschien, warf sich die Menge vor ihm nieder und flehte um seinen Segen. Heiliger Jüngling, bitt für uns, schrien sie, den Jüngling nannten sie ihn schlechtweg, das Hänselein, und die Frauen schnitten ihre Zöpfe ab, rissen die Brusttücher und spitzen Schuhe herunter, die Männer opferten ihre Brettspiele und Karten auf einem großen Feuer, wenn er sie nur anredete, waren sie verzückt, denn auch er war mit dem Schein der Unschuld und Schönheit ausgerüstet wie viele seinesgleichen, und wäre der Bischof Rudolf von Scherenberg, der dazumal regierte und ein schwacher Herr war, nicht vom Erzbischof Diether von Isenburg zu richterlichem Einschreiten gedrängt worden, die aufgewiegelten Horden hätten die Mauern von Würzburg erstürmt, die Stadt geplündert und ihn selber erschlagen, so aber bemächtigte man sich rechtzeitig des zauberischen Buben, der noch auf dem Scheiterhaufen sein Satanswerk vollführte, indem er Hymnen zum Preis der Jungfrau sang, bis der Rauch seine Stimme erstickte. »Jetzt habt Ihr das nämliche Unheil vor Euch«, schloß der Pater, »auch über den Junker von Ehrenberg hat der Böse sein lockendes Kleid gebreitet, hat ihm Reiz und angenehme Gebärde verliehen, Schelmerei und das schmeichlerische Wort. Handelt sonach, wie es Euch Euer Gewissen und Euer Seelenheil vorschreibt.« Der Bischof jammerte: »Laßt mir Zeit, ich wills bedenken, laßt michs überschlafen, was rechtens ist, soll geschehn.« Der Pater hatte gegen eine Frist nichts einzuwenden; mit Verhaft und Verhör konnte er erst vorgehen, wenn der Bischof die Bewilligung erteilt, aber deren war er gewiß, und es verschlug ihm nichts, zu warten. Der Bischof lag stundenlang im Gebet und enthielt sich der Speise, ihm dünkte, die Luft sei dick von dämonischem Atem, er verbot, daß der Junker zu ihm komme, er verbot es sich selbst, dann spürte er Reue und Verlangen, zeigte sich rastloser denn je und wurde vor den Augen seiner Leute zum Türenhorcher. »Vielleicht kann man es bei der Exorzierung bewendet sein lassen«, schlug er am Abend dem Pater vor. Der Pater lächelte, was ihm übel zu Gesichte stand. »Feilscht Ihr mit mir um seine Seele, Herr Bischof?« fragte er mit kaum sich öffnenden Lippen. »Und wenn ichs täte?« rief der Bischof in furchtsamem Ärger. »So wärs ein schlechter Handel«, gab der Pater trocken zurück, »am Ende würdet Ihr zu Euerm großen Schaden draufzahlen.« Der Bischof sann abermals auf Zeitgewinn. »Laßt ihn selber kommen, hört ihn selber«, murmelte er. Der Pater schüttelte in verächtlicher Melancholie den Kopf. «Worauf hofft Ihr?«