Die Jugend des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788726482874
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Gegenstand, an dem mir persönlich mehr gelegen ist.‘ Dies sann Margot, indessen Jeanne das eine ihrer Knie mit der Hand umspannte. Es war wie eine Besitzergreifung, hatte aber zugleich etwas Flehendes.

      „Komm zu uns!“ Das war ihre seltene Glockenstimme. „Nimm den wahren Glauben an! Du wirst glücklicher werden, als du je gedacht hättest. Dies Land wird die Einigkeit und den Frieden kennenlernen.“

      „Auf wessen Kosten?“ fragte die Schwester Karls des Neunten hinter ihren noch immer nicht geöffneten Augen. — ,Das geht natürlich nicht‘, entschied sie für sich. Gleichzeitig bemerkte sie allerdings, daß diese merkwürdige Frau im Begriff stand, sich unmöglich zu benehmen. ,Ihre Hand, die um mein Knie liegt, macht eine Anstrengung: kein Zweifel, sie stützt sich, und ihr eigenes Bein fängt an zu gleiten. Wenn ich nicht sogar eingreife, wird sie mir zu Füßen fallen.‘ Schnell erfaßte sie Jeanne beim Handgelenk.

      „Madame, Sie denken von mir zu hoch. Ich bin vielleicht nur, was Sie ein getünchtes Grab nennen. Jedenfalls aber ist mein Bruder der König von Frankreich. Mein Vater war dasselbe — beide katholisch, und dies ist auch mein Glaube. Wir können es nicht ändern, selbst wenn ich möchte. Ich, die Tochter all der katholischen Könige, sehe mich nicht bei eurer Predigt. Deshalb aber muß Ihr Sohn noch nicht zur Messe gehen: ich werde duldsam sein.“

      „Du willst mit ihm an diesem sittenlosen Hof bleiben?“ Jeanne sprach ernüchtert, kalt, und bei dem Du ließ sie es diesmal aus bloßer Geringschätzung. Den aufsteigenden Haß unterdrückte sie um ihrer höheren, unveräußerlichen Zwecke willen. Wer war dies Mädchen, das so aufdringlich nach Moschus roch? Was konnte ihr böser Wille aufhalten oder ändern?

      „Oh!“ hauchte Margot, voll Nachsicht und sogar Mitleid für diese unglückliche Frau. „Ihr Sohn wird es gewiß bald lernen, sich am Hof zu bewegen. Ich bin ganz bereit, ihn zu beschützen. Zwar kann ich keine Protestantin werden, aber mit einem einfachen, rauhen Protestanten werde ich mich gut vertragen, das fühle ich.“ Sie sprach noch weiter, denn die Prinzessin von Valois beherrschte die Rede. Jedes ihrer Worte war unglücklich und erbitterte die Mutter Henris gegen sie; das konnte sie nicht wissen. Dagegen fiel ihr, einmal im Zuge, sogar die kleine Schwester ihres Verlobten ein, das unbedeutende Kind, an das sie sonst niemals dachte. Allerdings entsann sie sich seiner auch deshalb, weil die Tür nach dem Nachbarzimmer, oder vielmehr der gewirkte Vorhang über der Tür, sich leise ein wenig bewegte. Mit erhobener Stimme sagte Margot:

      „Wenn ich nicht Ihren Sohn für meinen Freund und Herrn ansähe, Madame, dann würde doch sicher Ihre reizende. Tochter mich für ihn einnehmen. Wir haben kein solches Mädchen hier, zum erstenmal begegne ich einem Wesen ihresgleichen, und verzeihen Sie mir die gelehrte Erinnerung, eine der königlichen Hirtinnen des Altertums erscheint vor meinen Augen in der zarten Gestalt Ihrer Catherine.“

      Worauf Catherine denn pünktlich und in Wirklichkeit eintrat. Ihre Mutter Jeanne, die den Florentiner Teppich und sein Schwanken nicht beachtet hatte, erschrak, ja, einen Augenblick glaubte sie an wunderbare Fähigkeiten ihrer Schwiegertochter, besonders, weil Catherine barfüßig ging und ihre aufgelösten Haare über ein weißes Nachtgewand fielen. Blond wie sie war und unschuldig von Gesicht, konnten die durch Margot berufenen Hirtinnen nicht anders aussehen. Margot ihrerseits stellte sich überrascht, wenn auch mit Geschmack und ohne Übertreibung. Sie stand nur auf und öffnete zum Empfang ein wenig die Arme, weil dieses Kind so lieblich war.

      Die Königin Jeanne erkannte ein getünchtes Grab und sah entrüstet fort, weil sie es fast hätte bis zur Täuschung kommen lassen — indes ihre Tochter sich der bewunderten Margot vertrauensvoll mitteilte. „Ich huste etwas, heute muß ich im Bett liegen und Eselinnenmilch trinken. Madame, wenn Sie meinen Milchbruder, den kleinen Esel sähen, wie lieb er ist!“

      „Und erst du, meine Kleine!“ rief Madame, umarmte ihre Schwägerin und gab ihr viele harmlose, für sie passende Worte. Vielleicht, daß Catherine sich freute. Jeanne jedenfalls hörte nicht mehr hin, sondern durchmaß mit ihren Blicken dies fremde gleichgültige Zimmer. Genau dies war überall! Dieselben bilderreichen Wandbekleidungen, geschnitzten Truhen, schwer herabdrückenden Decken, und das mit Himmel und Vorhang verdunkelte Bett und die Fenster am Rande tiefer Nischen: alles geheim, voll von Verstecken, unter Prunk und Zierat unheildrohend, wenn man es ein einziges Mal recht ansah — und so die Menschen! So die Menschen, fühlte Jeanne, schaudernd, sie wußte nicht warum.

      Der Prinzessin Margot war mehr bekannt als ihr. Sie hatte manches erlauscht bei Hof und damit die Gesichter ihrer Mutter und ihres königlichen Bruders verglichen, wenn die beiden miteinander flüsterten. Während sie jetzt die unschuldige Catherine umarmt hielt, fühlte sie wunderbarerweise etwas sich regen, es konnte ihr Gewissen sein. Vielleicht war es im Gegenteil ein Stolz und Hochsinn, der nichts Tückisches kennen will. Catherine sang mit ihrem schwankenden Stimmchen, den hohen erschreckten Endsilben: „Sie sind so schön, Madame, heute müßte mein Bruder Sie sehen. Werden Sie ihm auch wohlgesinnt sein?“

      „Ja, ja“, erwiderte Margot, dachte aber dabei mit ansteigender Empörung: ,Das darf nicht sein. Ich muß ihnen die Wahrheit sagen.‘

      „Wo haben Sie Ihren kleinen Hund, Madame? Es ist der hübscheste kleine Hund, den ich kenne.“

      „Ich schenke ihn dir.“ Margot ließ das Mädchen los. ,Ich muß sie warnen!‘

      „Ich will Ihnen einen Rat geben.“ Margot neigte sich vor, um Jeanne dringend ins Auge zu fassen. Zum erstenmal verließen sie, bei ihrem außerordentlichen Vorhaben, die Gewandtheit und Ruhe. Sie setzte vergebens an, ihr Atem wurde hörbar, die Nase sogar erschien länger. „Aber Sie dürfen keinem sagen, daß ich es war!“

      Geheim und unheildrohend unter Zierat — fühlte Jeanne. Sie sprach: „Ich weiß schon, daß ich hingehalten werde und daß man mich betrügen möchte.“

      „Wenn es das nur wäre! Reisen Sie ab, Madame!“ rief Margot, schon kreischte sie, das war nicht Seelengröße mehr, wie sie gewollt hatte, nur noch nacktes Entsetzen. Plötzlich tonlos: „Hört uns auch niemand? Nehmen Sie dies süße Geschöpf, fliehen Sie nach Süden, wenn Sie es noch können! Um irgend etwas für sich zu erreichen, dürfen Sie nicht hier sein — und erst recht Ihr Sohn nicht!“

      Eigensinn und Unglauben waren alles, was Margot in ihrem ehrlichsten Augenblick bei Jeanne fand. Jeanne hatte beschlossen, den Drohungen nicht zu glauben. Dies alte Gesicht konnte Margot nicht bewegen, daher tastete sie mit unsicheren Händen nach der andern Jungen, damit diese ihr helfe. Ihr Blick verließ Jeanne, er ging zu Catherine, blieb aber für Jeanne bestimmt. Die sollte sehen, wie Margot mit der Schwere ihrer schwarzen Augen in den hellen des Mädchens etwas hervorbrachte: es war Erkennen. Jetzt war es auch Erschrecken!

      Indessen blieb Jeanne bei ihrer Ablehnung, und sie geriet vollends in Zorn, weil ihre Tochter erblaßt und auf den Füßen unsicher geworden war. „Genug!“ befahl sie. „Kehr in dein Bett zurück, mein Kind!“ Nachher erst, als die Tür sich hinter Catherine geschlossen hatte und der Florentiner Teppich nicht mehr schwankte, antwortete Jeanne auf den Rat und die Warnung der Prinzessin von Valois.

      „Madame, ich habe alles verstanden. Sie sollen mich wankend und ängstlich machen, der Auftrag kommt von der Königin, Ihrer Mutter. Berichten Sie ihr, ob Sie mich niedergeschmettert gefunden haben! Meinerseits will ich Ihnen melden, daß der Herr Admiral beim König alles erreicht hat, was wir Protestanten wollten. Sie selbst brauchen hinsichtlich Ihres Glaubensbekenntnisses keine endgültigen Beschlüsse zu fassen, bevor Sie gesehen haben, daß dieser Hof den Krieg an Spanien erklärt. Sie werden sehen! Mein Sohn jedenfalls, Ihr Verlobter, wird hier erst eintreffen, wenn unsere Partei ganz groß dasteht.“

      „Gewiß, Madame“, sagte Margot. Die arme Brust der Königin von Navarra bebte und rang bei ihren stolzen Worten; aber die Schwester Karls des Neunten, so kühl wie je, fand keinen Grund mehr, weder zu Gewissensregungen noch zum Edelsinn. Sie dachte, wie am Anfang dieser Unterredung: ,Gefährlich! Sie sind eine große Gefahr; meine Mutter hat recht, etwas Entscheidendes muß gegen sie unternommen werden. Aber sie verderben sich selbst: hier ist Schicksal im antiken Sinn!‘ dachte die Gelehrte.

      „Gewiß, Madame“, sagte Margot. „Ich werde Ihre Worte