Das Erbe sind wir. Michael Meyen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Meyen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783869625768
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in unserem Kollektiv haben mir geholfen, die gegenwärtige Situation richtig zu verstehen und die entsprechenden Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Deshalb möchte ich mich mit Hilfe eines guten Genossen im Verlauf des ersten Studienjahres auf den Eintritt in die Partei vorbereiten«.

      Das Ganze hat sich dann doch ein bisschen gezogen, bis 1965, bis zur letzten Versammlung vor dem Diplom. Dazwischen lagen gute Zeiten und schlechte Zeiten. In unserem Interview nimmt das mehr Platz ein, was genervt hat. Das Zeitungsstudium unter Aufsicht, vor allem nach Parteitagen oder Plenartagungen der SED-Spitze. Die Dokumente durcharbeiten, das Wichtigste unterstreichen, diskutieren. Eine FDJ-Versammlung, noch im Herbst 1961, bei der eine Studentin zur Rede gestellt wurde, die sich ihre Pfennigabsätze bei der Großmutter in Westberlin hatte reparieren lassen. »Sie hatte Blinddarmbeschwerden und krümmte sich vor Schmerzen«. Ein Seminar im Wilhelm-Wolf-Haus in der Tieckstraße, auch im ersten Studienjahr, alle um einen langen Tisch, »jeder konnte jedem in die Augen sehen, eigentlich wunderbar für Diskussionen«. Der Seminarleiter zielte aber auf ein Bekenntnis: Warum wollt ihr Journalisten werden? »Ich glaube, wir haben alle Ähnliches geantwortet. Land und Leute kennenlernen, Interviews führen, beobachten, schreiben. Er war fassungslos, weil niemand gesagt hat, er wolle Parteijournalist werden«.

      Sigrid Hoyer ist sogar an der Fakultät in Leipzig geblieben, als das Studium vorbei war, eine Art persönliches Experiment, das sie heute auch mit der Frauenquote erklärt und mit einem Praktikum in der Wirtschaftsredaktion bei der Ostsee-Zeitung in Rostock, wo sie unter einem »dogmatischen Abteilungsleiter« litt und unter den »vielen Vorgaben«. »Dort keimte vielleicht erstmals der Gedanke, es möge mir erspart bleiben, nach dem Studium in so eine Redaktion delegiert zu werden«. So ähnlich wird es auch mir viele Jahre später gehen. Vom ersten Studientag an haben wir überlegt, was die Redakteure denken mögen, die 1990 verkünden werden, dass das Wohnungsbauprogramm erfüllt ist. Jedem eine Wohnung, warm, trocken, sicher: So hatte es der VIII. Parteitag der SED 1971 versprochen. Im Herbst 1988 musste man blind durch Leipzig laufen, um daran noch zu glauben. Warum also nicht länger an der Universität bleiben, zumal die Medienblase im ganzen Land von Glasnost und Perestroika blubberte und schwer vorstellbar schien, dass all die aufgeregten Geister um mich herum alles beim Alten lassen würden, wenn sie erst ausgeschwärmt waren in die Schreibstuben von Wolgast bis Suhl.

      WARUM AM ENDE ALLES ANDERS KAM, ALS ES DER GRÜNDUNGSDEKAN WOLLTE