Rossi. Ulf Kramer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulf Kramer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783895338670
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ganz einfach, ist aber mit einem ungeheuren Aufwand verbunden.

      Das Leben in der Familie Roßkopf ist, wie erwähnt, vom Tischtennis geprägt. Die Eltern sind beide aktiv, der Vater spielt bis heute, und die Söhne treten bereits als Teenager in der zweiten Bundesliga an. Das bestimmt den Rhythmus der Familie. Die vielen Trainingseinheiten sowie die Spiele und Turniere am Wochenende sind mit einem großen logistischen Aufwand verbunden, denn Thomas und Jörg müssen viel gefahren werden und das kostet Zeit. Die Eltern haben das Talent ihrer Söhne schnell erkannt und wissen, was für eine Chance sich den beiden bietet, im Tischtennis nach oben zu kommen. Dem wollen sie nicht im Wege stehen. Nicht nur Jörg sticht dabei hervor, vorneweg geht der ältere Bruder Thomas, der 1984 deutscher Jugendmeister wird. Dennoch entscheidet sich Thomas nach der Schule für eine Ausbildung – ein rationaler Entschluss und scheinbar vernünftig. Tischtennis professionell zu betreiben, scheint damals keine echte Perspektive zu sein, denn noch sind die Verträge der meisten Spieler nicht besonders gut dotiert.

      Der jüngere Bruder geht einen anderen Weg, und heute ist Jörg Roßkopf froh über seine Entscheidung. Eine Ausbildung hätte ihn viel Zeit gekostet, Zeit, die er für das Training brauchte. Die Weichen werden so schon früh auf eine Karriere als Profisportler gestellt – eine mutige Entscheidung der ganzen Familie. Die Eltern sprechen natürlich auch mit Helmut Hampl über die Zukunft ihres Sohnes. Der Trainer hat eine klare Haltung. In seinen Augen ist es zu verschmerzen, wenn man nach dem Realschulabschluss zwei Jahre lang alles auf die Karte Profisport setzt. »Danach kann man immer noch sein Abitur machen, wenn es nicht funktioniert«, sagt Hampl überzeugt. Bei einer Karriere im Hochleistungssport dagegen ist das beste Lernalter, die Zeit zwischen dem 16. und 19. Lebensjahr, nicht zu kompensieren. Was man in dieser Zeit verpasst, ist im Sport nicht aufzuholen, auf der Schulbank schon. Eine Gewährleistung, ganz oben anzukommen, gibt es natürlich nie, das weiß Hampl. Schnell kann sich ein Spieler verletzen, krank werden oder der mentalen Belastung nicht gewachsen sein. Doch er ist sicher, in Roßkopf alle Voraussetzungen für eine Karriere als Tischtennisspieler zu entdecken.

      Nach einem Jahr in Frankfurt bekommt Roßkopf das Angebot, im Internat des neu eingerichteten Deutschen Tischtennis-Zentrums in Duisburg-Wedau zu leben und zu trainieren. Der bundesweite Trainingsstützpunkt soll vier Jahre vor der WM 1989 im eigenen Land die Förderung des Nachwuchses und die landesweite Sichtung verbessern. Die ausgewählten Jugendlichen sollen in der Kombination Schule, Sport und Wohnen ideal auf die Zukunft vorbereitet werden und die Perspektive für eine Karriere als Profi aufgezeigt bekommen. Bundestrainer Charles Roesch ist Mitinitiator des Projekts und verspricht sich durch die Zentralisierung schon kurzfristig Ergebnisse. Trainiert und gelebt wird in der Sportschule des Fußballverbands Niederrhein, wo dem Tischtennis-Zentrum zwei kleine Hallen und ein Wohntrakt zur Verfügung stehen. Dort zieht auch Roßkopf ein, um mit den anderen größten Talenten im Land, unter ihnen auch Steffen Fetzner und Nicole Struse, Tischtennis zu spielen und ganz nebenbei die Schulbank zu drücken.

      Der Wechsel ins Internat ist ein weiterer großer Schritt, denn Roßkopf muss sein Heimatland Hessen verlassen und ins Ruhrgebiet ziehen – eine andere Welt. Die Eltern sind vor dem Auszug ihres Sohnes zuerst skeptisch. Jörg selbst muss gar nicht überlegen. Sein Ehrgeiz ist ausgeprägt, er möchte unbedingt diesen Schritt gehen. Das Wort seiner Eltern ist ihm wichtig, doch sie hätten ihn niemals umstimmen können, etwas anderes zu machen. Natürlich geht er ein Risiko ein. In diesem Alter sein Elternhaus zu verlassen, alles auf die Karte Tischtennis zu setzen, die Schule eigentlich nur noch nebenbei zu machen – das weckt natürlich Sorgen. Der Verband mit Hans-Wilhelm Gäb und die Firma JOOLA erklären sich bereit, einen Beitrag zu den anfallenden Kosten des Internats zu leisten, um ein finanzielles Risiko für die Familie auszuschließen. Helmut Hampls Zuspruch dämpft mögliche Sorgen auf der sportlichen Seite, denn er ist von der Leistungsfähigkeit Roßkopfs überzeugt.

      Von diesen wichtigen Akteuren unterstützt, lassen die Eltern ihren Schützling ziehen. Sie geben ihm emotionalen Rückhalt, vermitteln ihm wichtige Werte und Moralvorstellungen. Er weiß, dass er immer zu seinen Eltern zurückgehen kann, wenn es mit dem Tischtennis wider Erwarten doch nicht klappen sollte. Und Roßkopf ist wichtig zu erwähnen, dass er immer seinem eigenen Antrieb folgte, seine Eltern niemals Druck auf ihn ausübten und gute Ergebnisse verlangten. Er ist keines dieser Kinder gewesen, die stellvertretend die Träume ihrer Eltern von einer Sportlerkarriere verwirklichen sollte. Den Ehrgeiz dafür hat er ganz allein, er will es nicht anders. Training, Turniere, Lehrgänge, Spiele – all das bestimmt Jörg Roßkopfs Leben, seit er ein kleiner Knirps war. Er ist ein Kind dieser speziellen Tischtennis-Gesellschaft und wurde schnell zu deren Aushängeschild. Auch rückblickend ist er noch froh über die Unterstützung seines gesamten Umfelds, denn er ist sich bewusst, wie groß der Schritt nach Duisburg für einen Jugendlichen seines Alters war. »Ich weiß nicht, ob ich das meinen Kindern heute ohne Weiteres erlauben würde«, sagt er nachdenklich. »Das war schon mutig damals, und ich würde gucken, ob ich nicht eine Lösung finden könnte, die näher an der Heimat läge.«

      Trotz der räumlichen Distanz zwischen Duisburg und Frankfurt läuft er weiterhin für die FTG in der zweiten Bundesliga auf, in der Saison 1985/86 im oberen Paarkreuz. Die Hessen können sich glücklich schätzen, denn Roßkopfs Leistungen in der zweiten Liga sind anderen neugierigen Augen nicht verborgen geblieben. Im Frühjahr 1985 war der ATSV Saarbrücken mit Manager Georg Rebmann an Roßkopf herangetreten. Die Mannschaft aus dem Saarland ist damals in der Bundesliga eine große Nummer, genießt die Unterstützung des Bürgermeisters und späteren Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine, hat unter anderem Jan-Ove Waldner unter Vertrag und ist von 1983 bis 1985 dreimal in Folge Deutscher Meister geworden. »Die haben für damalige Verhältnisse ordentlich Geld auf den Tisch gelegt«, erinnert sich Michael Bachtler. »Aber nach einem langen Gespräch hat Jörg akzeptiert, dass dieser Schritt in die erste Liga, in dieses Haifischbecken, zu früh käme.«

      Zu dieser Zeit waren die spielerische Entwicklung und das Training noch wichtiger als der Wettkampf und womöglich ein erster Titel mit einer Vereinsmannschaft. Zudem ist die Begeisterung in der Mannschaft um Helmut Hampl nach wie vor groß. Die Spieler halten zusammen und treten gern für die FTG an. Die Mannschaft ist stark und spielt um den Aufstieg in die erste Liga mit. Auch seine persönliche Karriere geht immer weiter bergauf. Echte Rückschläge gibt es nicht. Tatsächlich sollte es lange dauern, bis Roßkopf seine erste echte sportliche Krise überstehen muss. 1986 gewinnt er die Jugend-Europameisterschaft an der Seite von Steffen Fetzner und wird Zweiter beim Europäischen Top 12 in derselben Klasse – übrigens vor Jean-Michel Saive und Jean-Philippe Gatien. Er hat sich in seiner Generation auch außerhalb Deutschlands schnell einen Namen gemacht. Nur dass ein großer Titel im Einzel ausbleibt, wurmt ihn ein wenig. Viele spätere Größen der Szene treten früh in Erscheinung. Waldner, Persson, Appelgren, Kalinic, Mazunov oder Kreanga tauchen alle in den Siegerlisten der europäischen Nachwuchswettbewerbe auf. Allerdings stößt man in den Annalen auch auf viele Namen von Talenten, die den Sprung in den Profisport nicht geschafft haben und im Niemandsland des Tischtennis verschwunden sind.

      Im Internat von Duisburg bieten sich Roßkopf ideale Möglichkeiten. Die Gemeinschaft passt, und zu Beginn ist Roßkopf auch in der Schule noch motiviert. Das Training leiten Martin Ostermann und Li Xian Ju, von den Spielern Mister Li genannt. Auch Charles Roesch, Istvan Korpa, Eva Jeler und Klaus Schmittinger sind immer wieder in Duisburg, um den Nachwuchs zu beobachten und zu unterstützen. Montags und dienstags kommen die Spieler von Borussia Düsseldorf nach Duisburg, um dort als Sparringspartner zu fungieren. Andreas Preuß, damals Spieler und später Manager und Trainer der Borussia, erinnert sich gern an diese Zeit zurück. Schnell hatte er einen guten Draht zu Roßkopf. Ab und zu geht man auch mal zusammen feiern, doch diese Gelegenheiten sind neben Training und Spielen selten. Schnell überflügelt Roßkopf auch altgediente Spieler. »Er konnte mir immer ein paar Punkte vorgeben«, sagt Preuß heute schmunzelnd, »aber meinen Vorhandaufschlag hat er immer schlecht angenommen.«

      Das Programm in Duisburg ist hart. Die Schüler im Internat sind im positiven Sinne besessen von Tischtennis. Das erste Mal gehen sie von halb sechs bis halb sieben Uhr morgens in die Trainingshalle, drücken anschließend die Schulbank, trainieren dann am Nachmittag und Abend erneut. Irgendwann reicht es den Lehrern,