Incels. Veronika Kracher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Veronika Kracher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783955756093
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als »Happy Merchant« bekannt gewordene Meme stammt ursprünglich aus der Feder des amerikanischen Neonazis Wyatt C. Kaldenberg und zeigt die antisemitische Karikatur eines grinsenden Juden, der sich die Hände reibt. Auch der »Happy Merchant« fand seine Verbreitung durch 4chan und wird verwendet, um jüdische Verschwörungen zu suggerieren. Hierzu zählen der »Große Austausch«, Feminismus, der Holocaust als jüdische Propaganda oder auch die Idee eines »Zionist Occupied Government«. In der Incel-Subkultur wird das Meme vor allem verwendet, um den Feminismus als jüdische Erfindung zu denunzieren oder die jüdische Kontrolle über die Medien zu untermalen. Wir haben uns entschlossen, das Bild aufgrund seines extrem antisemitischen Inhaltes nicht abzubilden.

      Von der Selbsthilfeseite zum misogynen Terror: Eine kurze Geschichte der Incel-Bewegung

      Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass der Begriff »Incel« von einer queeren Frau eingeführt wurde. Auch wenn das erste Forum für Menschen mit Schwierigkeiten bei der Partner*innensuche die bereits 1988 entwickelte Newsgroup alt.support.shyness war, etablierte Alana, die ihren Nachnamen lieber anonym belassen möchte, den Begriff in einer 1993 gegründeten Mailingliste, die später zu der Webseite Alana’s Involuntary Celibacy Network wurde. Solche frühen Incel-Foren wie Alanas Projekt oder alt.support.shyness stehen in starkem Kontrast zu dem, was sich heute als Incel-Community bezeichnet. Alana gründete die Seite, nachdem sie ihre erste Partnerin gefunden hatte, um einen Ort des Austauschs und der Reflexion zu schaffen und anderen, die sich in einer ähnlichen Situation befanden, eine Perspektive zu geben. Der »Involuntary Celibate«-Zustand wurde in diesem Kontext nicht als etwas die Identität vollständig Konstituierendes und Unabänderliches verstanden, sondern als etwas Temporäres, das überwunden werden kann. Eines ihrer Postings lautete: »Mein schwierigster Kampf war es, die Wahrheit darüber zu erkennen, was ich wahrnehme und was ich fühle. Ich konnte nicht mit Dating beginnen, bevor ich mir nicht selbst die Wahrheit vor Augen hielt: dass ich eine Partnerin wollte und dass ich eine liebenswerte und attraktive Person war. Dann musste ich das Risiko auf mich nehmen und anderen die Wahrheit erzählen: dass ich mich zu ihnen hingezogen fühlte. Jetzt, da ich meine Gefühle wahrnehmen und anderen darüber berichten kann, habe ich wesentlich mehr Kontrolle über mein Leben und meine Zukunft. Falls Du denkst, dass Du niemals eine*n Partner*in haben wirst, obwohl Du eine*n möchtest – ich hoffe, meine Geschichte hat gezeigt, dass es möglich ist. Und andererseits: vielleicht hast auch Du Schwierigkeiten überwunden, Beziehungen zu beginnen. Je mehr wir miteinander teilen, desto besser können wir einander helfen!«14 Dies ist meilenweit entfernt von dem weinerlichen und anklagenden Tenor, der heutzutage auf Incel-Foren herrscht.

      Der Begriff des »Invcels«, der kurze Zeit später zu »Incel« wurde, sollte ursprünglich vorurteilsbelastete und mit dem Bild des »Losers, der im Keller seiner Mutter wohnt«, assoziierte Vorstellungen des Wortes »Jungfrau« vermeiden, wie Alana in einem sehr hörenswerten Interview mit dem Podcast Gimlet ausführt.15 Auf ihrer Mailingliste waren insgesamt ungefähr 100 Männer und Frauen unterschiedlicher sexueller Orientierungen vertreten. Die Seite war auf solidarischen Austausch und Selbstreflexion angelegt und verwies auf professionelle Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen und Sozialängsten. Alana spricht in dem Podcast davon, dass es zwar »viel Empathie, aber wenig Lösungsansätze« gab, wie man das Problem, keine Beziehungen führen zu können, adäquat angehen konnte. Alana verließ die Gruppe 1997, da die Mitglieder weniger Interesse daran hatten, ihre Position durch (Selbst-)Reflexion zu überwinden, als vielmehr in Alana eine Therapeutin suchten – eine Aufgabe, der sie sich nicht gewachsen fühlte.

      Anders als die Incel-Szene in ihrer aktuellen Form stellten frühere Seiten tatsächlich Selbsthilfegruppen dar. Vor allem auf der Seite IncelSupport, die 2004 zu IncelSite umbenannt wurde, war die Analyse des Incel-Zustandes wesentlich differenzierter als das heute vorherrschende »Ich bin hässlich und habe deswegen keinen Sex«. »Incel« beschrieb hier keine unausweichliche Identität, sondern einen temporären Zustand – auch Personen, die sich in einer sexlosen Ehe befinden, könnten sich laut der Seite als »Incels« bezeichnen; statt von einem objektiv unansehnlichen Äußeren wurde von einer negativen Selbstwahrnehmung gesprochen. Generell war die Herangehensweise an den Incel-Status eine eher analytische, die sowohl äußere Umstände (Umzug in eine andere Stadt, finanzielle Probleme) als auch persönliche Erfahrungen (toxische Familienbeziehungen und daraus resultierende Bindungsängste, schlechte Erfahrungen in vorherigen Beziehungen, Angst vor Dating) als mögliche Gründe für das Incel-Dasein benannte. Die Seite IncelSupport fokussierte sich darauf, Mittel und Wege aufzuzeigen, dem Incel-Dasein durch – manchmal etwas neoliberal anmutende – Selbstoptimierung zu entkommen.

      Die User*innen sollten erlernen, wie man andere Menschen ansprechen und kennenlernen kann, ohne in die toxischen Aufreiß-Mechanismen von Pick-up-Artists zu verfallen. Im Gegenteil, es wurde explizit erwähnt, dass es wichtig ist, die Grenzen anderer Personen zu respektieren. Es fanden sich dort zahlreiche profeministische und patriarchatskritische Analysen sowie Verweise auf Therapiestellen. Gleichzeitig war IncelSite ein Ort, an dem man von eigenen Erfahrungen sprechen konnte. Er bot auch zahlreichen frustrierten Durchschnittsmännern Raum, allerdings wurde zum Beispiel User*innen auch empfohlen, ihrer Unsicherheit durch einen Besuch im Stripclub Herr zu werden. Es steht außer Frage, dass eine Objektivierung von Frauen kein adäquater Weg ist, im Umgang mit ihnen selbstsicherer zu werden und sie als Subjekte wahrzunehmen.

      Viele der Probleme, sich auf zwischenmenschliche Beziehungen einlassen zu können, wurden als in früheren Erfahrungen begründet erkannt. IncelSupport postulierte zudem »Sieben Todsünden«, denen die User*innen sich verweigern sollten, um ihr unfreiwilliges Zölibat überwinden zu können: Apathie, Ausflüchte und Rechtfertigungen, Überanalysierungen des eigenen Elends, Naivität, Angst, Wut und Scham. Eine Umfrage auf der Seite, wieso man Incel sei, verorteten die Ursache hier in äußeren Umständen wie »Stress« oder »soziale Isolation«, und noch nicht in der eigenen Unattraktivität und weiblicher Oberflächlichkeit.16

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      Umfrage der Seite IncelSupport, wieso man Incel sei.

      Wenn sexuell frustrierte Männer über ihre sexuelle Frustration sprechen, ist Misogynie jedoch nie weit. Es ist Teil einer patriarchalen Sozialisation, vermittelt zu bekommen, man hätte ein irgendwie geartetes Recht auf weibliche Aufmerksamkeit. Und es ist wesentlich einfacher, dem Feindbild Frau die Schuld für die eigene Sexlosigkeit in die Schuhe zu schieben, anstatt hegemoniale Geschlechtervorstellungen oder die eigene Persönlichkeit zu hinterfragen. User, denen die Moderation auf IncelSupport zu viel Wert auf respektvollen Umgang und antisexistisches Verhalten legte, emigrierten auf die 2003 gegründete Seite love-shy.org. Die Seite, die wie alle frühen Incel-Seiten im Vergleich zu den heutigen relativ harmlos erscheint, wurde nach einigen Jahren von einem User namens »Rammspieler« übernommen. Auf einem noch bei IncelSupport veröffentlichten Posting artikulierte er seine Begeisterung für den frauenfeindlichen Mörder George Sodini und die beiden Schützen des Columbine-Massakers und bezog sich, ebenfalls positiv, auf den kroatischen Blogger Marjan Siklic, der, lange bevor der Incel-Begriff »government-assigned girlfriend« an Bekanntheit gewann, verlangte, dass die Regierung allen Männern Partnerinnen zur Verfügung stellt.17

      Diese Ideologie sollte den Tenor von Love-shy vorgeben. Ein anderer Einfluss kam aus dem inzwischen zur Brutstätte der Alt-Right-Bewegung verkommenen Imageboard 4chan, vor allem von dem 4chan-Board /r9k/, kurz für »Robot 9001«, auf dem User sich über ihr mangelndes Sozialverhalten austauschten und gehässige Kommentare über das Sexleben anderer verfassten. Während die Incel-Szene zu Beginn nicht inhärent toxisch war, basierten später viele der chan-Boards auf emotionaler Kälte, Zynismus, vermeintlich ironisch zelebrierter Menschenfeindlichkeit und infantilem Provokationsgehabe. Laut dem Kulturwissenschaftler Tim Squirrell entwickelte sich 4chan zu »einer Community, in der die extremsten Dinge gesagt wurden, um mit der eigenen Traurigkeit umzugehen. Und weil sie nie gelernt haben, die eigenen Emotionen rational zu verarbeiten [...], externalisieren sie die Schuld auf alle,