Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788726482881
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hat, wenngleich nicht vor der Gemeinde, des Ärgernisses wegen. ,Wohin wird die d’Estrées dich noch bringen, Sire, Sie betrügt dich, was du allerdings wissen könntest. Aber ihr Vater stiehlt, und das hat dir noch gefehlt.‘

      Agrippa: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod. Gut war die Zeit der Verfolgung. Ehrenhaft war das Exil. Die einsame Provinz im Süden, noch fern vom Thron, und wenn Sie für ein Ringelspiel kein Geld hatten, trugen Sie mir eine fromme Betrachtung auf, die unterhielt Ihren Hof kostenlos. Der Stern über unserer Hütte war indessen die Prinzessin, Ihre Schwester.“

      Henri: „Ich habe dich immer mit ihr im Verdacht gehabt.“

      Agrippa: „Sie setzte meine Verse in Musik, sie sang sie. Meinen vergeblichen Worten lieh sie den Klang, schlichte Frühlingsblumen band sie mit Gold und Seide.“

      Henri: „Mein Agrippa! Wir lieben sie.“

      Agrippa: „Wenn mir auch die Stimme versagt, gestehen will ich’s doch, ich habe sie wiedergesehen. So heimlich und schnell Sie die Prinzessin zurückschickten auf die lange Reise, ich hatte gewartet hinter der Waldecke.“

      Henri: „Verschweig nichts, was sagte sie?“

      Agrippa: „Sie sagte, im Hause Navarra herrsche das Salische Gesetz und gebe alles dem männlichen Erben — nur die Standhaftigkeit nicht.“

      Zuerst fielen dem König die Arme herab vom Schrecken über dieses Wort seiner Schwester. Hierauf verschlang er die Hände inständig und murmelte: „Bitt Gott für mich!“

      Ein geheimnisvoller Gatte

      Das tat Agrippa, und noch mehrere beteten zu dieser Zeit, jeder in seinem Herzen, für den König, da er ihnen von Gefahren bedrängt erschien: besonders an der Seele, aber leiblich auch. Rettung trat wirklich ein; wenigstens ein Anerbieten der Rettung widerfuhr dem König. Herr d’Estrées verheiratete seine Tochter.

      Ihr voriges Abenteuer in Coeuvres, mit dem König im Bett und dem Großstallmeister darunter, war ihm mehr oder weniger zu Ohren gekommen. Bellegarde konnte nicht schweigen. Überdies rächte der Eifersüchtige seine Erniedrigung, er verliebte sich in Fräulein von Guise aus dem Hause Lothringen; aber dies Haus strebt noch immer nach dem Thron, der Herzog von Mayenne liegt wie je im Krieg mit dem König. Daher verschwand Feuillemorte aus dem Bilde — wurde nicht gesehen weder vor Rouen in den Laufgräben noch bei den vielen Ritten des Königs durch das Land in militärischen Geschäften. Vater d’Estrées benutzte die Abwesenheit beider, um Gabriele mit Herrn de Liancourt zu verheiraten — ein Mann von unbedeutenden Körperverhältnissen, den er sich selbst ausgesucht hatte. Geist oder Charakter fanden sich ebensowenig bei ihm vor, aber er hatte vier Kinder gezeugt, und zwei davon lebten. Dies hielt der Vater Gabrieles ihr besonders vor Augen: wohin die Liebschaften geführt hätten, und daß sie bei ihrem künftigen Gatten sicher wäre, Mutter zu werden. Es war die vornehmste Sorge des Herrn d’Estrées. Gelegen kam ferner, daß der Auserwählte ein sechsunddreißigjähriger begüterter Witwer war, sein Schloß lag nahe, sein Adel genügte.

      Gabriele, den Tod im Herzen, leistete einigen hochfahrenden Widerstand, nur fehlte ihm von Anfang an die rechte Überzeugung. Von ihrem schönen Verführer fühlte sie sich aufgegeben, erwartete auch nicht die Hilfe ihres hohen Herrn, sonst hätte sie ihn herbeigerufen. Sie war noch froh, daß beide, hoher Herr und Herzensfreund, sich ärgern sollten. Mehr Umstände machte Herrn d’Estrées sein Schwiegersohn, der, schüchtern von Natur, nur mit Schrecken daran dachte, dem König eine noch ganz neue Eroberung streitig zu machen. Dies abgerechnet, wäre Fräulein d’Estrées ihm auf alle Fälle zu schön gewesen. Er begehrte sie zu heftig; was zusammen mit seiner Schüchternheit auf Enttäuschungen hinauslaufen mußte. Er kannte sich, obwohl andererseits gerade die schwache Ansicht, die er von sich hatte, ihm ein Gefühl der geistigen Überlegenheit eingab. So war Herr de Liancourt beschaffen, weshalb er sich beim Herannahen seines Ehrentages niederlegte und den Kranken spielte. Der Gouverneur von Noyon mußte mit Soldaten seinen Schwiegersohn zur Trauung abholen. Niemandem war wohl bei diesen Angelegenheiten, bis auf den Biedermann d’Estrées, der sich recht im reinen fühlte: das fehlte ihm sonst. Die Tante, Madame de Sourdis, hätte den großen Aufschwung der Familie verloren geben und beweinen müssen. Indessen kannte sie die Wechselfälle des Glückes.

      Als sie, drei Tage nach der Hochzeit, eigens die Reise von Chartres her machte und auf Schloß Liancourt vorsprach, was erfuhr Dame de Sourdis? Vielmehr, sie selbst legte es der Nichte mit Anstand in den Mund und holte es geschickt wieder heraus. Zuletzt war nicht mehr festzustellen, wie die Tatsache herbeigeführt worden war; nur diese selbst blieb unbestritten: Herr und Madame de Liancourt schliefen getrennt. Dies hören, der empörte Vater der jungen Frau ritt den ganzen Weg im Galopp — traf indessen verlegene Gesichter an und erlangte kein rechtes Ja so wenig wie ein klares Nein. Erst unter vier Augen gestand die Tochter ihm, daß ihre Ehe bis jetzt nicht wirklich vollzogen wäre, und nach ihren Erfahrungen mit Herrn de Liancourt bestände wenig Hoffnung. Der Biedermann mit seiner Glatze, rot vom Zorn, stürzte zu dem pflichtvergessenen Schloßherrn. Vater von vier Kindern, und wagt eine solche Beleidigung! Herr de Liancourt entschuldigte sich mit einem Huftritt, den ein Pferd ihm leider inzwischen versetzt habe. „Dann verheiratet man sich nicht!“ schnob der Biedermann.

      „Ich habe mich nicht, Sie haben mich verheiratet“, erwiderte leise der Bedrängte. Er gab sich allerdings schüchtern, gleichzeitig aber war er einer Art von wolkiger Entrücktheit fähig. Man wußte nicht mehr, mit wem man zu tun hatte: ein Ungeheuer an Hinterhältigkeit, ein Geistesschwacher, ein Gespenst. Herrn d’Estrées entsank auf einmal der Mut, und er floh dieses Schloß.

      Gleich darauf traf in Noyon der König ein, infolge erhaltener Nachrichten. Nicht allein den jähen Verlust der geliebten Gabriele, auch den schrecklichen Tod ihrer Mutter vernahm er um dieselbe Zeit. Issoire ist eine Stadt, weit fort in der Auvergne; ohnedies pflichtvergessen, hatte Madame d’Estrées sich nicht entschließen können, den Marquis d’Alègre allein zu lassen, lieber fehlte sie sogar bei der Hochzeit ihrer Tochter. Wäre sie doch gereist! Die Alternde wollte von der Liebe zuletzt noch den ganzen Rest, erließ ihrem Gefährten aber auch in Geldsachen nichts. Der Gouverneur von Issoire mußte die Bevölkerung unerbittlich auspressen, um den Ansprüchen seiner Geliebten zu genügen. Beide wurden den Leuten endlich bis zum Mord verhaßt — und der geschah. Er wurde verübt in einer Juninacht von zwölf Männern, darunter zwei Schlächter. Sie überrannten die Wachen, erbrachen das Schlafzimmer und schlachteten das Paar. Der Edelmann hatte sich tapfer verteidigt, dennoch wurden beide nackt zum Aas geworfen.

      Der König sagte zu dem Gouverneur von Noyon: der von Issoire wäre fürchterlich umgekommen. „Und vergessen Sie seine Konkubine nicht“, bemerkte Herr d’Estrées, wobei er nickte wie jemand, dessen berechtigte Erwartungen erfüllt sind. Der König hätte bemerken müssen, wie die Gebete seiner Freunde ihn umwehten: die angebotene Rettung, er hätte sie heraushören können. Die Mutter seiner Geliebten war den Weg vorausgegangen und an sein Ende gelangt. Nach menschlichem Ermessen wäre die Tochter davon nicht abzuhalten; der König aber unternahm gerade dies. Gabriele stand jetzt unter dem Schutz eines Gatten: Henri freute sich nur, daß es nicht Feuillemorte war, der hätte ihm mehr Arbeit gemacht. Unverweilt suchte er seine schöne Liebe heim und schwur ihr, was sie nur wollte, aber fortkommen sollte sie, mit ihm leben sollte sie, er ertrage es nicht anders. Sie auch nicht — gestand Gabriele endlich und schluchzte an seiner Brust, vielleicht flossen Tränen, Henri sah sie nicht. Jedenfalls seufzte sie den Namen des Herrn de Liancourt und noch ein Wort, von dem das Herz ihm stockte. „Das sollte wahr sein?“ fragte er.

      Gabriele nickte. Dennoch seufzte sie, daß sie bei diesem Gatten aushalten wolle trotz seinem Versagen. „Ich bin schrecklich gewarnt durch meine arme Mutter. Ich fürchte Herrn de Liancourt, denn ich verstehe ihn nicht. Was er spricht, ist leer, was er tut, ist rätselhaft. Er schließt sich in sein Zimmer ein. Ich habe versucht, durch das Schlüsselloch zu sehen: er hatte es verhängt.“

      „Das werden wir herausbekommen“, beschloß Henri und begab sich kampfeslustig zu dem Schloßherrn — fand nur keinen Gegner. Die Tür stand offen, ein Mensch ohne rechtes Gesicht verneigte sich, ihm schienen alle Dinge fern zu liegen, außer etwa seinem feinen Kleid, das silbern bestickt