Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788726482881
Скачать книгу
entehren konnte. Seine Tochter hatte sich ihm anvertraut: sie hoffte, Königin zu werden.

      Ihre Dienerschaft war protestantisch. Sie gab den Pastoren Geld für ihre Ketzerei, und deren wurde sie selbst schon verdächtigt. Im Laufe des Sommers begann der König ihr so große Geschenke zu machen, daß auch für höhere Zwecke als den persönlichen Aufwand genug übrigblieb. Beraten von ihrer Tante de Sourdis, nahm sie Fühlung mit dem Konsistorium, ob es sich bereit fände, die Ehe des Königs zu scheiden. Andernfalls, so ließen die Mittelspersonen durchblicken, wäre zu befürchten, daß der König seine Religion abschwört. Dadurch würde er sogleich in den Besitz seiner Hauptstadt gelangen und wäre mächtig genug, beim Papst durchzusetzen, was er wollte — vielmehr, was die Dame de Sourdis und ihr bleicher Freund ihm unterschoben. Denn Henri, ein Mensch der liebte, hatte in diesem Sommer die Welt vergessen. So stand es leider.

      Er blieb tätig im einzelnen, wie er es nicht anders kannte; gedachte nur leider der ferneren Entschlüsse kaum, und da sie im Grunde genau gefaßt waren, ließ er es denn gut sein. Wer erlaubte sich nicht Pausen, Störungen und Schwächen. Vielleicht sind es keine, sondern sollen den, der seiner Sache gewiß ist, um so fester machen für den nächsten Sprung. Das ist nicht dasselbe wie mit einer Frau, deren Ränke durch ihr Herz gestört werden. Die Sippe Sourdis bediente sich wohl des schönsten Werkzeugs, nur war dieses den Schwächen der weiblichen Natur ausgesetzt. Gabriele empfing in Schloß Coeuvres, wo außer einiger Dienerschaft niemand mehr wohnte, ihren Bellegarde.

      Aus Noyon schrieb der englische Gesandte seiner Herrin, daß der König sich dort nicht losreißen wolle infolge seiner großen Liebe für die Tochter des Gouverneurs. Diese indessen verschwand mehrmals aus der Stadt, und der König brauchte ihr wahrhaftig nicht nachzuforschen, ihm wurde alles hinterbracht: das erstemal ihr Ziel, das zweitemal, was sie dort tat. Ihren dritten Ausflug begleitete er selbst von fern und ungesehen, weil es Nacht war. Er hatte seinem Pferde die Hufen verbunden. Kam eine Mondbreite, dann hielt er im Schatten. Sie hatte einen runden niedrigen Karren mit einem Widder davor, den lenkte sie, und ihr faltiger Mantel schleppte am Boden nach. Durch weißes Licht zog die Erscheinung dahin, sein Herz klopfte, und war sie um die Waldecke, dann ritt er in die Quere, bis er sie wiederfand.

      Er erreichte Coeuvres von der Seite der Felder, band draußen sein Tier an und schlich in den Garten, der unter den Sommer versunken und so voll Laub war, daß niemand hier die Entdeckung hätte fürchten müssen. Henri aber roch seinen Feind. Die Sinne wurden von der Eifersucht befähigt, in unbewegter, lauer Luft zwischen allen Ausströmungen der Gewächse den Menschen zu wittern. ,Bieg den Busch fort, einen Busch nur, du legst ein Gesicht bloß, das dir nichts Gutes wünscht!‘ Indessen rührte Bellegarde sich nicht, er hielt so still wie Henri selbst, da ihre Geliebte die Treppe zum Teich herniederstieg.

      Tiefe Stille der Natur. Das Blatt, das sie gestreift hat, raschelt noch, während sie stockt und nach dem Dunkel hinunter späht. Die ausgedehnten Stufen liegen zur Hälfte schwarz, zur anderen grellweiß. Drunten glitzert heimlich das Wasser. Die Falten ihres Mantels bergen Silber; auch die Hand, die ihn am Hals zusammenhält, ist in Silber gefaßt. Ein großer Hut, ihr Beschützer auf unerlaubten Wegen, beschattet das Gesicht bis zu dem Kinn, das ist sehr weiß. ,O bleicher Verrat! O Frau in der Nacht, verzaubert und trügerisch alle beide!‘ Henri vergißt sich, den Blick verwirren ihm Tränen, er schlägt den Busch zurück, er nimmt drei Stufen auf einmal, er ist bei ihr, greift zu, bevor sie fliehen kann. Legt ihr den Kopf in den Nacken, sagt zwischen den Zähnen: „Davonlaufen, o meine schöne Liebe? Vor mir, vor mir?“

      Sie versuchte sich zu fassen, ihre Stimme schwankte noch. „Wie konnt ich Ihrer gewärtig sein, mein hoher Herr?“

      Er zögerte mit der Antwort, weil er horchte. Auch auf ihrem Gesicht erkannte er die Spannung. „Sind wir nicht geschaffen, voneinander zu wissen?“ fragte er in einem romantischen Tonfall, der die Nacht und ihre schwebenden Geister nachahmte. „Zeigt nicht uns beiden der Zauberspiegel unserer Ahnung, wo jeder weilt, was jeder treibt?“

      „Jaja. Gewiß, so ist es, hoher Herr“ — was sie selbst gar nicht hörte. Sondern sie verfolgte das Knistern von Gezweig: es wurde schwächer, es war aus. Sie seufzte erleichtert.

      Henri wußte so gut wie sie, wer sich entfernte. „Süßer Seufzer! Verheißungsvolle Blässe! Leugnen Sie nicht länger, daß Sie um meinetwillen hier sind. Wie könnten wir einander versäumen. Sind wir nicht eines der ewigen Liebespaare, um sie her mag die Welt einstürzen, sie merken es nicht: Abélard und Heloise, Helena und Paris.“

      Sie hatte große Furcht, er könnte auf den Gedanken kommen, daß er hier nicht Paris wäre, sondern Menelaus. Andererseits mußte sie dabei lachen — sah ihn ironisch an unter ihrem großen Hut und sagte: „Mich friert, lassen Sie uns gehen.“

      Er nahm ihre Fingerspitzen, an schwebender Hand führte er sie über die Gartentreppe, den schlafenden Schloßhof und zu dem linken der Türmchen von durchbrochener Bauart. Erst droben in ihrem Zimmer wurde Gabriele der Wirklichkeit bewußt, und da nichts mehr zu ändern war, warf sie alle Hüllen schnell ab und glitt ins Bett. Darunter am Boden lag der andere — womit eine vernünftige Geliebte nicht rechnen konnte. Nur der Mann in seiner Leidenschaft begriff den tollkühnen Drang des anderen, war darauf vorbereitet, daß er es nicht werde lassen können, und gleich beim Eintreten hatte er mit den Augen das Zimmer durchsucht. Das Bett stand voll im Mondschein.

      Henri legte sich zu Gabriele, bereitwillig empfing sie ihn in ihren schönen Armen. Als sie diese nun ausstreckte, sah er zum erstenmal, daß sie um eine Kleinigkeit zu kurz waren. Und mehr als alles erbitterte ihn, daß der andere auch den Fehler kannte. Nach der Liebe verspürten sie Hunger, und öffneten die Schachtel mit Konfekt, die Henri mitgebracht hatte. Beide stopften den Mund voll und sagten gar nichts. Indessen bemerkte Gabriele ein Geräusch, das nicht das Kauen ihres Gefährten war. Vor Schrecken hielt sie selbst mit Essen an und erstarrte. „Nimm doch!“ sagte er. „Oder gäbe es Geister in deinem Türmchen? Ihr Stöhnen darf dich nicht erschrecken, ich hab die blanke Waffe gleich zur Hand.“

      „Oh! Lieber Herr, es ist schrecklich. Schon manche Nacht habe ich hinter dem Schloß bei den Mägden verbracht, wenn es hier stöhnte.“ Die Lust zu lachen kam ihr diesmal nicht. Henri sagte: „Wenn’s nun der Geist von Feuillemorte wäre? Den sah ich lange nicht, er kann tot sein. Geist oder Mensch, jeder will leben“, erklärte er und warf Konfekt unter das Bett. Beide warteten — und wahrhaftig hörten sie unter dem Bett ein Zähneknirschen: es klang mehr nach Wut als nach Genuß.

      „Fliehen wir!“ bat Gabriele schlotternd und umklammerte ihn.

      „Wie kann ich, du läßt mich nicht aufstehen.“

      „Nimm mich mit, ich fürchte mich. Öffne die Tür schon, ich werf dir die Kleider zu.“

      Sie stieg über ihn weg, zog ihn am Arm und flehte entsetzt: „Nicht unters Bett sehen! Es wäre unser Unglück!“

      „Geister sind meine schlimmsten Feinde nicht“, sagte er undeutlich vor Qual und großem Angstgefühl um die Mitte des Körpers. „An Geister glaub ich gern. Was ich weder glauben mag noch wissen will, ist das Gewesene, das für dich Fleisch und Blut war, aber lebt vielleicht noch jetzt in deinen Gedanken.“

      „Um Gottes willen, so laß uns fliehen!“

      „Sie haben mir alles berichtet über dich: Feuillemorte, Longueville und was ihnen vorausging. Als der selige König deiner satt war, verkaufte er dich dem Levantiner Zamet, der mit Geld handelt.“

      Er hätte noch mehrere aufgezählt, obwohl er an keinen glaubte, nur sein Schmerz brach aus. Sie aber fiel ihm zu Füßen, drückte seine Knie, bis er das Bett verließ, und auch dann blieb sie davor am Boden sitzen, damit die Dichtigkeit ihrer Glieder ihn hindern sollte, darunter zu sehen. Er kleidete sich an, er warf keinen Blick hin. Endlich legte er ihr den weiten Mantel über, hob sie auf, trug sie die gewundene Stiege hinab, zurück über den Hof, durch den Garten und bis auf das Feld, wo sein Pferd stand. Er setzte sie vor sich hin. Stille Nacht, umwickelte Hufe, weiche Ackerkrume — Gabriele verstand genau das Flüstern in ihrem Nacken.

      „Es ist gut. Ich weiß. Versuchung, Prüfung, schwere Stunde. Und will dich doch gewinnen, meine