Nein, den Streifen hätte ich mir nicht anschauen sollen. Aber er war verdammt gut. Ein paar Szenen hatten sich mir für immer eingeprägt. Granger Harris in der Rolle des Philip Reardon war absolut souverän. Ohne ihn wäre der Film nur halb so gut gewesen.
Komisch, daß manche Filme auch ohne eine Menge Blut und Gewalt so beklemmend und unheimlich wirken können. Während andere, wo man den Leuten alle zwei Minuten den Hals abschneidet, bloß lächerlich sind.
In ‚The Amigo Factor‘ war es die Stimmung, die so unangenehm war – ein angespanntes, verschwitztes ‚feeling‘, das einen die ganze Zeit wie auf Nadeln sitzen ließ, weil man dauernd erwartete, daß jetzt gleich etwas ganz Abscheuliches passieren würde, und das war ja dann auch der Fall.
Genau in diesem Augenblick hatte meine Mutter angerufen, und ich hatt vor Schreck fast in die Hose gemacht. Ich fuhr hoch vom Sofa und ließ meine Fluppe fallen, erwischte sie dann aber doch auf dem Teppich unterm Tisch, und dann fummelte ich noch eine gute Weile an der Fernbedienung rum, bis ich endlich den Stop-Knopf gefunden hatte. Mit meiner nervösen Mutter zu sprechen, machte mich nicht gerade weniger nervös – im Gegenteil. Um mich zu beruhigen, rauchte ich auf dem Balkon eine Zigarette, und bei dieser Gelegenheit sah ich, daß in den beiden Nachbarhäusern Licht war. Das beruhigte mich ein wenig.
Obwohl mir klar war, daß ich es lieber bleiben lassen sollte, sah ich mir auch noch den Rest des Films an.
Das hätte ich nicht tun sollen – dann wäre ich vielleicht gleich eingeschlafen. Na ja, unten auf dem Sofa bin ich dann ja doch irgendwann eingenickt, dachte ich und strich mir ein paar Brote.
Die Eieruhr klingelte, ich holte das Ei mit einem Löffel heraus und mußte ziemlich lange suchen, bis ich einen Eierbecher fand. Dann stellte ich alles auf ein großes Tablett und trug es auf die Terrasse hinaus.
„I always have breakfast on the patio – rain or shine“, sagte ich der schönen jungen Journalistin, die mir in ihrer ganzen Unsichtbarkeit gegenübersaß.
Zwischen den Bissen erzählte ich dann von meiner Büchersammlung und meinen Gemälden, von meinen Reisen, meinen Milliarden, meinen überall auf der Welt verstreuten Häusern, und von meiner streng disziplinierten Arbeitsroutine.
Ehrlich gesagt wurde es ziemlich eintönig und klang eher fad. Was soll man eigentlich werden?
Was zum Henker will ich hier auf der Welt überhaupt tun?
Wie auf einer Ansichtskarte
In einem ehemaligen Holzschuppen direkt hinter der Garage fand ich wie erwartet zwei Fahrräder. Ich zerrte das Fahrrad raus, das am nächsten stand, und das entpuppte sich als klassische Tantenmühle. Am Lenker baumelte ein blaugestrichener Fahrradkorb, der seine besten Tage vermutlich zu Anfang des Jahrhunderts gesehen hatte.
Natürlich keine Luft in den Reifen.
Nachdem ich einen Berg von Gerümpel durchwühlt hatte, grub ich doch tatsächlich eine Luftpumpe aus.
Ich pumpte beide Reifen auf und ging dann wieder zum Haus hinauf, sicherheitshalber wollte ich das Fahrrad eine Weile stehen lassen, um festzustellen, ob die Reifen dicht waren.
Aus der Gefriertruhe holte ich mir ein paar Brötchen und eiskalte Würstchen. Die würden bis zur Mittagszeit aufgetaut sein.
Im Kühlschrank fand ich eine Tube Senf, und außerdem holte ich noch eine große Pepsiflasche heraus.
Wirklich angenehm, wenn man sich einfach so bedienen darf, dachte ich. Und einfach phantastisch, keine dämlichen Kommentare und Fragen hören zu müssen.
Ich steckte alles in eine Plastiktüte, die ich in ein großes Frotteetuch rollte, und das Frotteetuch stopfte ich in meine Umhängetasche.
Aus dem ziemlich kümmerlich bestückten Bücherregal holte ich mir ein Taschenbuch, das ‚Operation Paris‘ hieß. Der Autor nannte sich Ernst Davies, und das Titelbild zeigte eine scharfe Biene mit einer Maschinenpistole und im Hintergrund den Eiffelturm bei Nacht.
Die Reifen waren noch unverändert prall, aber um ganz sicher zu gehen, klemmte ich die Pumpe auf den Gepäckträger. Die Tasche stellte ich in den Fahrradkorb, und dann strampelte ich los.
Das Fahrrad lief so leicht, wie es sehr alte Damenfahrräder manchmal an sich haben. Ich fuhr auf die Straße und testete die Bremsen auf der steilen Abwärtsstrecke. Hinter den Bäumen schaute das Nachbarhaus hervor, und weiter unten in Richtung Wasser sah ich das Dach des zweiten Hauses, in dem gestern abend ebenfalls Licht gewesen war.
Unten nach der Kreuzung fuhr ich eine Zeitlang auf der Straße weiter, bevor ich auf einen schmalen Kiesweg einbog, der zwischen die Bäume führte und bald zu einem Pfad wurde. Ich hatte beschlossen, die Abkürzung durch den Wald und über die abschüssigen Wiesen zur Bucht zu nehmen, um danach wieder zur Straße raufzuradeln. Die Straße führte an die Nordspitze der Insel, wo alle Badeplätze lagen. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob ich die ganze Strecke schaffen würde. Ich hatte keine Ahnung, wie weit es war – war nur ein einziges Mal mit Tobbe und Chatti im Auto dorthin gefahren.
Obwohl die Sonne noch nicht über die Baumwipfel gestiegen war und der Waldpfad immer noch ein wenig nächtliche Kühle speicherte, war ich bereits nach ein paar Minuten schweißgebadet. Echt miese Kondition. Wie soll das erst werden, wenn man dreißig ist, überlegte ich.
Nach zehn Minuten hörten die Waldwände abrupt auf, und der Pfad verwandelte sich in einen schmalen Weg, der durch eine Wiese führte. Rechts am Fuß der Wiese wehte das Schilf sanft in der leichten Brise.
Wie auf einer Ansichtskarte.
Weit hinten trieben ein paar weiße Wolkenfetzen über zwei, drei kleinen Inseln, die den Horizont unterbrachen, sonst war der Himmel völlig blau.
Nach einer Weile strampelte ich ächzend wieder auf die Landstraße hinauf und landete fast im Graben, als ein wütender roter Linienbus vorbeifuhr.
„Heiliger Moses! Der Bus!“ stöhnte ich. Ich Rindvieh hätte doch den Fahrplan studieren und die ganze Strecke mit dem Bus zurücklegen können!
Ich schob das Fahrrad wieder auf den Asphalt und strampelte weiter, sauste an ein paar Abzweigungen vorbei und sah alte rote Häuser, die ursprünglich wohl Fischern gehört hatten und inzwischen zu Sommerhäusern umfunktioniert worden waren.
Ich war schon verdammt müde, und dabei hatte ich noch nicht einmal die halbe Strecke zurückgelegt. Aber eigentlich müßte es hier auch gute Badeplätze geben, sagte ich mir und entdeckte einen kleinen Pfad, der sich zwischen den Bäumen hindurchwand. Ich bog in ihn ein und machte zwischen heraufragenden Wurzeln und Steinen eine regelrechte Slalomfahrt.
Plötzlich endete der Pfad vor ein paar bemoosten Steinblöcken. Das etwas matte Vogelgezwitscher wurde von Wassergeplansche und Kindergeschrei übertönt, und das klang ja recht vielversprechend. Ich lehnte das Fahrrad an eine Kiefer und überlegte kurz, ob ich die Fahrradpumpe sicherheitshalber mitnehmen sollte. Doch im selben Moment entdeckte ich, daß das Fahrrad gar kein Schloß hatte, und da wäre es ja lächerlich, ausgerechnet die Pumpe mitzuschleppen.
Zwischen den schweren Steinblöcken führte ein schmaler Wildwechsel zum Wasser hinunter.
Ich nahm meine Tasche, folgte dem Pfad, kletterte einen steilen Hang hinauf und marschierte von dort aus unbehindert auf ein paar flache Felsabsätze runter, die ins Wasser hinausragten.
Das Wasser glitzerte, funkelte und gluckste. Von links drangen das Geplansche und der Kinderlärm jetzt noch deutlicher herüber. Ich begab mich in die entgegengesetzte Richtung, kletterte über ein paar hohe Steinblöcke und fand dann den perfekten Platz: wie ein kleines Zimmer mit drei Wänden und freiem Blick aufs Wasser. Zu beiden Seiten schossen fast zwei Meter hohe Felsen vor, und ganz hinten bot eine steinerne Wand eine sehr bequeme Rükkenlehne. Ich stellte die Tasche ab und sprang auf einen Stein im Wasser, von wo aus ich um die Felsmauern schauen konnte. Ein gutes Stück weiter weg hüpften die planschenden Kinder im Wasser auf und ab. Dort wimmelte es von Leuten in Badehosen, Bikinis und Badeanzügen,