Sorrowville. Henning Mützlitz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henning Mützlitz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959362535
Скачать книгу
erbärmlichem Zustand war und beide aufgrund der tiefen Schlaglöcher im Auto hin- und hergeworfen wurden.

      Erst als sie auf den Platz außerhalb des Friedhofsgeländes fuhren, wurde es ruhiger. Dort standen mehrere Autos. Leute liefen aufgeregt hin und her.

      »Oh mein Gott, was für ein Haufen Menschen!«, sagte Lissy. »Das hatte ich nicht erwartet. Anscheinend hat die Nachricht schnell die Runde gemacht.«

      Zack nickte und stieg aus dem luxuriösen Roadster. »Ich habe sie nicht bestellt. Gebraucht habe ich sie erst recht nicht.«

      Neben den Wagen der städtischen Polizei fanden sich dort Motorräder sowie eine Luxuskarosse, wie sie sich nur die reichsten Menschen in Sorrowville leisten konnten.

      »Gottverdammt, was für ein Schlitten.« Zack blieb neben einer großen Maybach-Limousine stehen und betrachtete sie nachdenklich. »Das ist der Wagen von Manny de Witt. Was hat der hier zu suchen?«

      »Vielleicht ein zufälliger Besuch in der Familiengruft? Um Mummy und Daddy trauern, bevor er den restlichen Tag im Puff verbringt?«, vermutete Lissy, zog den Mantel mit Pelzkragen enger um die Schultern und zündete sich die nächste Kippe an. »Verdammt, ist das kalt. Ich hoffe wirklich, es stimmt, was Doyle mir erzählt hat, sonst friere ich mir hier völlig umsonst den Hintern ab.«

      »Dann wollen wir doch mal sehen, dass sie etwas möglichst Grauenvolles für uns haben.« Zack lächelte grimmig. »Um deiner Bekanntheit als Reporterin und meines leeren Bankkontos willen.«

       Kapitel 3: Die Stätte der Gebeine

      Lissy hatte nicht zu viel versprochen. Die Lache getrockneten Blutes, die sie und Zack auf der zentralen Passage des Green Wood Cemetery zu sehen bekamen, war enorm. Der Kies war in einem großen Bereich dunkelrot gefärbt, dazwischen fanden sich undefinierbare Brocken organischer Substanz sowie unzählige Knochensplitter.

      »Beeindruckend.« Lissy blies eine Wolke blauen Rauch in die Morgenluft. »Sieht aus, als sei hier ein Schwein geschlachtet worden.«

      »In gewisser Weise ist das tatsächlich geschehen«, bestätigte Zack. Er wusste um den Ruf, den sich der Friedhofswächter Bernhard White erworben hatte.

      »Da hat jemand ganze Arbeit geleistet«, bestätigte der Polizist, der sie bis zu der Stelle geführt hatte. Weitere Uniformierte sorgten dafür, dass keine Menschen auf dem eingetrockneten Lebenssaft herumtrampelten.

      Zack sah sich um. Neben den Polizisten und einigen weiteren Leuten, die er der Gerichtsmedizin zuordnete, waren auch viele Schaulustige vor Ort, die in einer größeren Gruppe abseits standen und über das Geschehene diskutierten. Trauernde passierten die Szene auf dem Weg zu den Gräbern ihrer Verwandten, und auch vor den Krypten der bekannten Familien der Stadt fanden sich Personen. Einige Gesichter davon kannte er. Für Zacks Geschmack waren hier viel zu viele Menschen vor Ort, die alles dafür taten, Spuren und Hinweise zu verwischen.

      Auch Lissy war es aufgefallen. »Die halbe Stadt ist hier oben. Ich dachte, es wäre ein heißer Tipp von Doyle gewesen, dass hier etwas vorgefallen ist. Wen hat er noch alles angerufen? De Witt, Trasko, Felsburgh, Kuemmel – die reichen Säcke sind alle hier.«

      Zack zuckte die Schultern und grunzte.

      »Und?«, fragte Lissy und deutete auf das Blut »Was sagst du dazu?«

      »Nicht viel. Ich weiß ja noch nichts über diese Sache.«

      »Dort kommt der Inspector«, sagte der Polizist und wies den Kiesweg hinunter. »Er kann Ihnen alles erklären, Mr. Zorn.«

      Tatsächlich traf kurz darauf Inspector Rudolph Turner bei ihnen ein. Der Ermittler mit dem markanten Schnäuzer sah besorgt aus, als er Lissy und danach Zack die Hand reichte. Dies stellte allerdings erst einmal nichts Ungewöhnliches dar, denn es war immer der Fall, wenn Zack ihn an einem Tatort antraf.

      »’n Morgen, Rudy. Was habt ihr denn hier für eine Sauerei veranstaltet?«

      »Sehr witzig. Ich hätte mir einen ruhigeren Morgen gewünscht.« Der Inspector schob den Hut in die Stirn und stemmte die Hände in die Hüften, was den recht üppigen Bauch noch mehr betonte. Er wies auf das Blut und kratzte sich mit der anderen Hand am Kopf. »Das ist … das war Bernie White, aber das wisst ihr wahrscheinlich ja bereits. Wir wurden heute Morgen gerufen, als er von der Tagesschicht abgelöst werden sollte.«

      »Woher wisst ihr, dass es White ist?«, fragte Lissy und machte sich eine Notiz in einem Papierblock. »Für mich ist das erstmal nur eine Pfütze Blut.«

      »Sein Gewehr lag hier, ebenso einige andere Gegenstände und Überreste seiner Kleidung. Mehr war nicht zu finden. Wir haben bereits einen großen Teil des Friedhofsgeländes abgesucht. Das ist alles, was von ihm übrig ist.«

      »Warum wurden die Sachen weggeräumt?«, fragte Zack. »Man hätte den Tatort unangetastet lassen sollen, um weitere Erkenntnisse zu erlangen.«

      »Die Gegenstände werden bereits untersucht, und das Gewehr hat die Friedhofsverwaltung verwahrt.«

      »Sieht für mich so aus, als wäre er aufgefressen worden«, bemerkte Lissy.

      Rudy nickte. »Haben wir auch gedacht. Aber welches Tier kann einen erwachsenen Mann anfallen und mit Haut und Haaren auffressen? Ein Bär? Wie soll der auf das Gelände gekommen sein? Bernie selbst hat dafür gesorgt, dass niemand, weder Mensch noch Tier, den Zaun durchdringen kann.«

      »Was ist mit seinem Hund? Vielleicht hat er sein Herrchen angefallen«, überlegte Lissy.

      »Kein Hund ist in der Lage, so etwas zu tun«, sagte Zack. Er holte die Tabaksdose hervor und begann sich eine Zigarette zu drehen.

      »Nein, der Hund war es definitiv nicht«, bestätigte Rudy und holte etwas aus seiner Tasche hervor. Es handelte sich um ein blutverschmiertes Lederband. »Seine Überreste haben wir hinten am Zaun gefunden. Ist ungefähr genau so viel übrig davon. Oder besser gesagt: genau so wenig.«

      »Was kann es dann gewesen sein?« Lissy sah Zack an.

      Auch die Augen des Inspectors wanderten zu dem Privatermittler, von dem sie wussten, dass er Dinge sehen konnte, zu denen andere Menschen nicht in der Lage waren. Sie brauchten die Frage nicht zu stellen, denn die Antworten, die sie bereits gegeben hatten, wiesen darauf hin, dass die Vorgänge unter Umständen keine natürliche Ursache besaßen.

      Zack ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, sondern beschäftigte sich weiter mit dem Tabak. Er mochte zwar über eine bessere Wahrnehmung als gewöhnliche Menschen verfügen und hatte eine Gabe dafür, Dinge aufzuspüren, die nicht auf natürliche Weise erklärbar waren, dennoch war er zunächst genauso unwissend wie alle anderen.

      »Es gibt noch mehr«, sagte Rudy, als er keine Antwort erhielt. »Die Grabmäler mehrerer großer Grüfte wurden beschädigt. Grabplatten wurden zerstört, Särge aufgerissen, Zugangstüren zertrümmert.«

      Zack leckte an seinem Zigarettenpapier und blickte auf. »Da habt ihr eure Antwort.«

      »Wie bitte?« Rudy war verwirrt. »Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Du meinst doch nicht etwa, dass die Toten ihre Gräber verlassen haben, um den armen Bernie aufzufressen? Wir haben ja schon viel erlebt in Sorrowville, aber das scheint mir ein wenig zu abstrus zu sein. Eher haben wir es mit Grabräubern zu tun, die sich an den Grablegen der Reichen zu schaffen machen. Wäre ja nicht das erste Mal.«

      »Und ihr meint, Bernie ist ihnen dabei in die Quere gekommen?«, fragte Lissy. »Das erklärt aber nicht, dass ihr keine Leiche gefunden habt.«

      »Das muss nichts heißen«, wandte der Inspector ein. »Vielleicht haben sie sie mitgenommen.«

      »Unwahrscheinlich«, sagte Zack, der nun endlich mit seiner Arbeit fertig war und den ersten Zug sichtlich genoss. »War das Tor aufgebrochen? Habt ihr Löcher im Zaun gefunden? Gibt es eine Blutspur? Wie sollen sie ihn hier weggeschafft haben? Warum überhaupt? Um Spuren zu verdecken? Ich behaupte, dass selbst einem äußerst dämlichen Grabräuber, der versehentlich zum Mörder