Der Betrüger zeigte unauffällig eines der gefälschten Tickets. Dabei lächelte er sein freundliches Lächeln. »Weil Sie es sind und weil Alex Geburtstag hatte, mache ich Ihnen einen Sonderpreis: nur 700 Euro.«
»Was? Das ist doch viel zu viel!«, rief der Vater.
Der Fälscher erkannte sofort, dass der Widerstand nur schwach war. Der gute Mann hatte die Sache mit dem Geburtstagsgeschenk vermasselt und würde vermutlich noch mehr zahlen, um das Versprechen gegenüber seinem Sohn einzuhalten.
Er schüttelte den Kopf und lispelte: »Nein, das ist sogar ein Schnäppchen. Sehen Sie, bei der EM 2016 hat man für Viertelfinal-Tickets in der Kategorie 1 schon fast 200 Euro bezahlt. Fürs Finale sogar knapp 900 Euro. Außerdem habe ich meine Tickets ebenfalls auf dem – äh – freien Markt erworben und 700 Euro dafür hingeblättert.«
Das war natürlich frei erfunden, aber diese dreiste Lüge verfehlte ihre Wirkung nicht.
Alex schaute zu seinem Vater hoch. In diesem Blick lag eine unausgesprochene Bitte, fast ein Flehen. Aber angesichts der hohen Summe wagte er es offenbar nicht, ihn zu drängen.
»Okay, sagen wir 500«, versuchte der Vater zu handeln.
»Nein, wenn ich 700 sage, dann meine ich auch 700«, erwiderte der Betrüger. »Glauben Sie mir: Ich kann das Ticket auch jemand anderem verkaufen.«
In die Augen des Jungen trat Panik. Er hüpfte nervös von einem Fuß auf den anderen.
»Na schön, ich gehe schnell zum Bankautomaten da drüben«, sagte der Vater und lief los, während Alex hörbar ausatmete und die Fäuste ballte.
Drei Minuten später wechselten sieben grüne Geldscheine den Besitzer – und ein Ticket fürs Viertelfinale, das nicht mehr wert war als das Papier, auf das es gedruckt war.
Strahlend presste Alex die Eintrittskarte an sein Herz. »Du bist der Beste, Papa.«
Sein Vater strich ihm über den Kopf. »Gern geschehen. Ich hatte es dir doch versprochen«, murmelte er und nickte dem Betrüger kurz zu. »Aber jetzt müssen wir weiter.«
Der Fälscher sah ihnen nach, wie sie in die Fußgängerzone eintauchten und Richtung Marienplatz liefen.
Er lächelte noch einmal und spazierte pfeifend zu seinem roten Sportwagen, den er in der Tiefgarage an der Herzog-Wilhelm-Straße geparkt hatte. Dabei spielte er mit den Scheinen in der Hosentasche. Sein Lächeln wurde breiter und schließlich lachte er schallend.
IMMER VOLLGAS!
»Du bist die faulste Socke, die ich kenne!«, brüllte Trainer Bob Müller. Er deutete quer über den Trainingsplatz auf seinen Sohn Pascal, den alle Welt nur Paco nannte.
Paco war ein sehr talentierter Stürmer, aber er trainierte nicht gern. Und er sah auch nicht ein, warum er bei dieser Hitze einem Pass hinterherhecheln sollte, den er vermutlich nie erreichen würde. Es ging ja noch nicht mal um etwas. Es war ein Trainingsspielchen, sechs gegen sechs. Mehr nicht. Also hatte Paco den Sprint abgebrochen.
»Den Ball hätte noch nicht mal Gareth Bale erlaufen«, erwiderte er.
Sein Dad bekam einen leicht roten Kopf. Kein gutes Zeichen, wusste Paco. Wenn Dad auflud, konnte es Ärger geben. Zum Beispiel in Form von zwanzig Liegestützen. Oder fünfzig. Vor versammelter Mannschaft, versteht sich.
Bob war der beste Dad der Welt und ein cooler Trainer, jedenfalls meistens. Doch er flippte auch schnell aus. Dann glich er einem Vulkan, der völlig unerwartet ausbrach. Vor allem dann, wenn der Schiri eine Pfeife war und seltsame Entscheidungen fällte. Aber auch manchmal dann, wenn es einer seiner Spieler beim Training zu locker angehen ließ. Und weil Paco nicht nur eine zugebenermaßen superfaule Socke war, sondern außerdem der Sohn des Trainers, hatte er mintunter schlechte Karten. Bob hatte immer Angst, dass die anderen Jugendkicker, die wie Paco zwischen elf und zwölf Jahre alt waren, glauben könnten, dass er seinen Sohn bevorzugte. In den Augen von Paco war aber genau das Gegenteil der Fall.
»Du hättest es wenigstens versuchen müssen!«, schimpfte Bob.
»Das nächste Mal!«, rief Paco fröhlich und fügte in Gedanken ein »vielleicht« hinzu.
Bob verdrehte die Augen und klatschte in die Hände. »Hopp, hopp, weiter geht’s!« Auf die Liegestützen-Nummer verzichtete er. Seine Gesichtsfarbe war schon wieder ziemlich normal.
Eine Minute später wurde Paco von einem Mittelfeldspieler steil geschickt. Elegant nahm er die Kugel an, ließ einen Gegenspieler aussteigen und hatte freie Bahn.
Jetzt hatte er nur noch seinen besten Kumpel Alex vor sich, der im Tor stand. Alex hatte Nerven wie Drahtseile. Der war wirklich cool. Cooler als ’ne Tiefkühlpizza.
Alex machte sich breit, ganz breit, aber das nützte ihm nichts. Paco entschied sich für die rechte Ecke und nagelte die Murmel in den Winkel. Alex war noch mit den Fingerspitzen dran, konnte den Einschlag aber nicht verhindern.
»Nicht schlecht«, seufzte Alex, während Paco einfach nur grinste.
Zwei Minuten später beendete Bob die erste Halbzeit und trommelte die Truppe zusammen. Trinkpause.
Ausgepumpt hockten die Kicker zusammen und nuckelten an ihren Flaschen wie eine Gruppe durstiger Säuglinge.
Trainer Bob redete auf sie ein, er kritisierte und lobte. Paco war nie einer von diesen Taktikfüchsen gewesen. Keiner, der Fußballbücher wälzte oder YouTube-Videos mit Tricks von Neymar guckte und versuchte, sie nachzumachen. Paco war eher ein Instinktfußballer, der nicht lange nachdachte. Während sein Dad redete, schweiften seine Gedanken ab. Er blickte zum Nachbarplatz, wo ein anderes Jugendteam kickte. Waren das die Schweizer?
Paco, Alex und ihre Freunde aus der Mannschaft nahmen am Eurokicker-Turnier teil, bei dem junge, sehr talentierte Fußballer aus ganz Europa gegeneinander antraten – und zwar parallel zum EM-Turnier der großen Stars.
Es war schwer gewesen, in diese Mannschaft zu kommen. Eine absolute Auszeichnung. Der Deutsche Fußballbund hatte vor einem halben Jahr ein großes Sichtungsturnier in Hamburg veranstaltet. Paco war mit seinem Dad angereist, der bereits über eine Menge Erfahrung als Trainer verfügte. Bob hatte die Trainer-A-Lizenz und auch schon mal einen Drittligisten gecoacht.
Über 500 junge Fußballer, darunter 200 Mädchen, hatten an der Sichtung in Hamburg teilgenommen. Sie alle waren heiß darauf gewesen, in die deutsche Mannschaft aufgenommen zu werden, die gegen andere Teams aus ganz Europa antreten sollte. Doch nur je 22 Jungen und Mädchen war das schließlich auch gelungen. Paco, Alex und die anderen waren entsprechend stolz.
Und auch Bob war am Ende glücklich – denn er war es gewesen, den der DFB mit dem Coaching der deutschen Talente während des Eurokicker-Turniers betraut hatte.
Organisiert wurde der Event von der UEFA. Es gab neben der deutschen Mannschaft auch Nachwuchsteams aus England, Spanien, Frankreich, Ungarn, Österreich oder Italien. Das Turnier, das für Jungen und für Mädchen ausgerichtet wurde, fand an unterschiedlichen Orten statt, wo auch EM-Spiele angepfiffen wurden: wie zum Beispiel in München. Wer hier weiterkam, qualifizierte sich für die Finalrunde in London. Untergebracht waren die Mannschaften in Zeltstädten.
Paco fand das Turnier richtig klasse. Er hatte schon viele Jugendliche aus anderen Ländern kennengelernt. Die meisten Kicker waren echt okay. Klar war aber auch, dass das hier kein Kindergeburtstag war, sondern ein echtes Turnier. Es ging ums Gewinnen, ums Weiterkommen, um den Sieg. Und dafür brannten nicht nur Paco und seine Freunde, dafür brannten alle.
»Hast du gehört, Paco?«, drang Dads Stimme an seine Ohren.
»Äh ja, klar«, stammelte Paco. Natürlich