Zu ihrem Glück oder Unglück (welchem von beiden, wird der Erfolg entscheiden) hatte die Natur ihr alle Anlagen gegeben, die zu Beglaubigung dieses Betrugs am meisten beitragen konnten. Sie war von einer derben Leibesbeschaffenheit, stark von Knochen und Muskeln und mehr lang als mittlerer Größe. In ihren Augen hatte sie etwas Wildes und Trotziges, in ihren Gebärden und Bewegungen etwas Rasches, Heftiges und Grazienloses. Ihre Stimme war tief und unsanft, und ihr Busen wurde nicht zum Verräter an ihr, als sie das Alter erreichte, wo er bei ihresgleichen sich nicht immer verheimlichen lassen will. Sie liebte alle starken Leibesübungen, ritt und focht mit allen Rittern der drei Orden Spaniens in die Wette und trieb die Jagd mit Leidenschaft. Diese Übungen machten dann auch den wesentlichsten Teil ihrer Erziehung aus; und da sie wenig Neigung zu Beschäftigungen zeigte, welche einige Anstrengung des Kopfs und eine ruhige Leibesstellung erheischen, so wurde sie von dieser Seite um so mehr vernachlässigt, da man es der Klugheit gemäß fand, den verkappten Don Manuel, soviel möglich, nur mit solchen Personen zu umgeben, deren ungebildeter Verstand und gänzliche Abhänglichkeit von ihm sie zu Bemerkungen von einer feinern und daher gefährlichen Art unfähig machte. Übrigens konnte Galora beinahe für einen schönen Mann gelten; sie hatte, was man eine vornehme Gesichtsbildung nennt, und war bei Gelegenheiten, wo ihr Stolz aufgefodert wurde, edler und großmütiger Handlungen fähig.
Außer der verkleideten Galora selbst, welche natürlicherweise in ihrer neuen Art zu sein sorgfältig unterrichtet werden mußte, wußte niemand um das Geheimnis als eine der Doña Pelaja gänzlich ergebene Dueña, die Tochter dieser Frau und ein alter Kammerdiener von bewährter Treue und Klugheit. Zu mehrerer Sicherheit hatte man so große Vorteile an die Verschwiegenheit dieser drei Personen gebunden, daß sie nicht mehr Tugend dazu nötig hatten, als ein angemessener und wohlhabender Mann braucht, um kein Straßenräuber zu sein.
Galora spielte sich nach und nach so gut in ihre Mannsrolle ein, daß sie in ihrem einundzwanzigsten Jahr ihres wirklichen Geschlechts sich kaum noch mehr bewußt war. Die große Behutsamkeit, an welche sie sich hatte gewöhnen müssen und die sie freilich keinen Augenblick vergessen durfte, war beinahe das einzige, was sie erinnerte, daß sie nur eine Maske sei.
Ungefähr um diese Zeit gelangte Galora durch den Tod ihrer Eltern zum Besitz des ganzen Vermögens, welches Don Jago seinem Neffen Manuel hinterlassen hatte; und da dieser Umstand eine Reise nach der Hauptstadt notwendig machte und sie überhaupt mit Personen aus höhern Klassen, als woraus ihre gewöhnliche Gesellschaft bisher bestanden, in mancherlei Verhältnisse setzte: so mußte sie bald gewahr werden, wieviel ihr fehle, um unter Männern von Stand und Erziehung eine anständige Figur zu machen. Nachdem sie mit ihrem Vertrauten, dem alten Kammerdiener, zu Rate gegangen, wurde für das Schicklichste gehalten, wenn der junge Graf sich irgendeinen unbegüterten Señor Cavallero, der ein Mann von Erziehung, Lebensart und Weltkenntnis wäre, als eine Art von Mentor oder (weil der junge Herr von nichts, was einem Hofmeister ähnlich sah, wissen wollte) unter dem Titel eines Gesellschaftskavaliers zu sich nähme, aus dessen Umgang er nach und nach alle die kleinen, aber unentbehrlichen Kenntnisse schöpfen könnte, deren gänzlicher Mangel an einer Person seines Standes zu auffallend war, um nicht die öffentliche Aufmerksamkeit zu seinem Nachteil rege zu machen; etwas, wovor der verkappte Graf sich mehr als irgendein anderer zu hüten hatte.
Zufälligerweise war um diese Zeit das Regiment, bei welchem der vorhin erwähnte Don Antonio Moscoso angestellt war, abgedankt worden. Dieser sah sich dadurch in eine so gedrängte Lage versetzt, daß er alle seine Freunde aufforderte, ihm zu irgendeinem anständigen Unterkommen zu verhelfen; und so geschah es dann, durch eine Verkettung kleiner Umstände, wie in solchen Fällen gewöhnlich ist, daß besagter Don Antonio (den wir bereits als den substituierten Erben des alten Oheims kennen) zum Posten eines Gesellschafters des vorgeblichen Don Manuels vorgeschlagen wurde.
Don Antonio besaß alle Eigenschaften, die man zu dieser Stelle erfoderte, und noch eine mehr, die in der Tat zuviel war, aber doch kein hinlänglicher Grund zu sein schien, sich eines sonst so anständigen Subjekts zu berauben; diese war, daß er, ohne Übertreibung, für den schönsten Mann in ganz Galicien, Asturien und Biskaya gelten konnte. Er wurde also, dieses Fehlers ungeachtet, unter dem Namen Don Alonso Noya im Schlosse von Altariva eingeführt; ein Name, den er angenommen hatte, weil er die Verheimlichung seines Geschlechtsnamens und des Verhältnisses, worin er vermöge desselben mit dem Grafen Don Manuel stand, unter den gegenwärtigen Umständen für etwas Unumgängliches hielt; denn daß er, dem Testament zufolge, schon wirklicher Herr von Altariva sei, war etwas, wovon er sich ebensowenig träumen ließ, als daß er Ansprüche an das Kaisertum im Monde habe. Im Gegenteil, da er nicht zweifeln konnte, daß Don Manuel sich vermählen und an ehlichen Leibeserben keinen Mangel haben würde, schlug er sich alle Gedanken an die Möglichkeit, daß der Fall, den das Testament vorhergesehen, zu seinen Gunsten sich ereignen könnte, gänzlich aus dem Sinn und war bloß darauf bedacht, seinen neuen Patron kennen- und behandeln zu lernen und, da er wenig Hoffnung sah, ihm von sonderlichem Nutzen zu sein, sich ihm – soviel ohne allzugroße Aufopferung seiner eigenen Art zu leben möglich war – angenehm zu machen.
Das letztere glückte ihm so gut, daß er kaum einige Wochen unter die Hausgenossen von Altariva gezählt wurde, als die Dueña, die bei dem Grafen in besondern Gnaden stand, bereits gegen den alten Kammerdiener die Bemerkung machte, daß Don Alonso auf dem Wege sei, erklärter Günstling zu werden, und, wofern sie nicht auf ihrer Hut wären, sie unvermerkt auf die Seite drängen würde. In der Tat schien Don Manuel täglich mehr Gefallen an ihm zu finden; Alonso mußte ihn auf allen seinen Spazierritten, auf der Jagd und überall wie sein Schatten begleiten; nichts wurde ohne seine Beistimmung vorgenommen, alles ging zuletzt durch seine Hände, kurz, er war des Grafen Auge, Ohr und rechte Hand und verwunderte sich öfters selbst darüber, da er sich eben keine große Mühe gab, sich bei ihm in Gunst zu setzen oder die wenige Übereinstimmung ihrer Neigungen zu verbergen, welche täglich mehr zum Vorschein kam und zu manchen kleinen Wortwechseln und Verkältungen Anlaß gab, wobei Don Manuel, seiner leicht aufbrausenden Hitze ungeachtet, den Frieden immer zuerst anbieten mußte. Wirklich war es der Graf, der zu jedermanns Verwunderung, seinem Günstling zu Gefallen, sich selbst Gewalt zu tun anfing. Er ging seltner auf die Jagd, seitdem Alonso sich hatte merken lassen, daß er an diesem barbarischen Vergnügen (wie er's nannte) keinen Gefallen finde. Er lernte die Gitarre spielen, um die Romanzen begleiten zu können, deren Don Alonso eine große Menge sehr schön zu singen wußte; ja, es ging endlich so weit, daß er alle Tage eine mühselige Stunde dazu verwendete, sich im Lesen zu üben, und es wirklich in kurzer Zeit so weit brachte, daß er in einer großen Folioausgabe des Amadis aus Gallien ziemlich fertig buchstabieren konnte.
Alle diese und tausend andere nicht so stark in die Augen fallende, aber im Grunde noch weniger erklärbare Veränderungen, die sich an Don Manuel zeigten, würden den schönen Alonso vermutlich in einige Verlegenheit gesetzt haben, wenn sie ihm aufgefallen wären, und würden ihm ohne Zweifel aufgefallen sein, wenn nicht ein andrer Gegenstand im Schlosse zu Altariva sich unvermerkt seiner Aufmerksamkeit und seines Herzens bemeistert hätte.
Eine Schwestertochter der Gräfin Pelaja war ihr, einige Zeit vor ihrem Tode, von ihrer sterbenden Schwester (der Witwe des Korregidors eines kleinen Städtchens in Biskaya) vermacht worden, um sie vollends zu erziehen und, da der Mangel an Vermögen ihr keine fröhlichere Aussicht ließ, sie je bälder, je lieber in einem Kloster zu versorgen. Doña Rosa (so nannte sich die junge Person, die sich der Freigebigkeit des Glücks so wenig zu rühmen hatte) war dafür von der guten Mutter Natur mit der reizendsten Graziengestalt und einem Paar so schwarzen feuervollen Augen, so schönen Händen und Armen und einem so lieblichen Busen begabt worden, als man je an einer Biskayerin gesehen hatte. Mit einer solchen Ausstattung fühlt ein junges Mädchen gewöhnlich keinen sehr entschiednen Beruf zum Nonnenschleier. Doña Pelaja wenigstens war dieser Meinung und konnte sich so lange nicht entschließen, ihre arme Nichte auf immer von sich zu verbannen, bis ihr, vom Tod übereilt, nichts anders übrigblieb, als sie sterbend der Fürsorge ihres vorgeblichen Sohnes Don Manuel zu empfehlen. Doña Rosa war also, da ihre Reise ins Kloster von einer Zeit zur andern aufgeschoben wurde, bisher immer im Schlosse zu Altariva