Ein Stück Leben. Zoran Dobric. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Zoran Dobric
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Математика
Год издания: 0
isbn: 9783701746606
Скачать книгу
halbe Minute lang das Herz an die Blutgefäße Ulf Scheriaus an und legen es in seinem Brustkorb hin. Noch eine Weile wird genäht, ehe die Klemme von Ulf Scheriaus Aorta weggenommen werden darf. Das Herz füllt sich mit Blut. Nicht gleich, aber nach einer gewissen Zeit schlägt das Herz wieder – dieses Mal in der Brust von Ulf Scheriau.

      Wann aber wird grundsätzlich entschieden, dass ein Patient ein Spenderherz erhält, und kann es jeder Patient bekommen? Ich richte diese Frage an den Leiter der Transplantationsabteilung:

      »Prinzipiell ist es so, dass Daten von Patienten, die ein Spenderherz brauchen, von kardiologischen oder intensivmedizinischen Abteilungen uns zugetragen werden. Es gibt eine große Sammlung von Untersuchungen, die wir vorher durchführen müssen, um feststellen zu können, ob ein Patient für eine Transplantation geeignet ist oder ob es Gegenanzeigen gibt. Z. B., ob der Patient aktuell einen Tumor hat. So einen Patienten kann man nicht direkt transplantieren, zumindest nicht herztransplantieren. Es gibt aber auch andere Problembereiche, wie eine fortgeschrittene Nierenoder Lungenschädigung, andere Organsysteme, die stark geschädigt sind, wo wir dann sagen, okay, die Transplantation ist auf der einen Seite mit so viel Gefahr verbunden und auf der anderen Seite ist der wahrscheinliche Gewinn für den Patienten an Lebensqualität nicht so sehr gegeben. Das müssen wir hier ganz genau abschätzen können. Denn eines ist klar: Es gibt immer mehr wartende Patienten und eine sehr beschränkte Anzahl von Organen. Wir müssen die auswählen, die am besten für eine Transplantation geeignet sind. Wenn wir das Gefühl haben, dass der Patient die Regeln, die man nach einer Transplantation als Patient respektieren und einhalten muss, absolut nicht bereit ist einzuhalten, dann ist auch die Transplantation nicht sinnvoll. Hier geht es darum, dass Transplantierte u. a. lebenslang Medikamente nehmen müssen, und wenn sie das nicht tun, wird das transplantierte Organ abgestoßen, und der Patient ist dann tot.«

       NACH DER IMPLANTATION

      Nur zehn Tage nach seiner Herztransplantation treffen wir Ulf Scheriau wieder. Er spaziert schon mit einem Rollator die Gänge des AKH Wien entlang. Sein Gesicht ist blass und verschwitzt, die Schritte und sein Atem kurz, dennoch steht ihm die Freude ins Gesicht geschrieben. Das lästige Kunstherz, dessen Batterien und Kabel sind weg und sein neues Herz schlägt.

      Knapp sieben Stunden hat die Herztransplantation gedauert. Einer der Gründe für diesen langen Eingriff ist auch sein Kunstherz gewesen, das er fast vier Jahre lang tragen musste. »Auch das mussten die Herzchirurgen lösen, bevor das Spenderherz transplantiert werden konnte«, erzählt Ulf Scheriau:

      »Als ich drei Tage nach der Transplantation auf der Intensivstation wach geworden bin, war das ein überwältigendes Erlebnis. Dann meine Frau zu sehen und diese Nähe zu spüren: Das war etwas ganz Berührendes und etwas wirklich Schönes und Unterstützendes – genau das, was man sich in solchen Situationen wünscht. Wir haben so ein intaktes Familienleben. Vor Kurzem haben wir das 43. Jahr unseres Kennenlernens gefeiert. Gefeiert unter Anführungszeichen, wir haben uns einfach umarmt. Eine Langzeitbeziehung, die auf einem derartigen Niveau läuft, die schätzt man, und gerade in solchen Phasen braucht man auch diese Nähe und diese Unterstützung dieser lieb gewordenen Personen.«

      Eine Herztransplantation ist ein sehr großer medizinischer Eingriff, den auch nicht alle Patienten überleben. Als ich Sie vor zehn Tagen, kurz vor Ihrer Transplantation, getroffen hatte, habe ich Ihr Gesicht als relativ sorgenfrei wahrgenommen!

      »Natürlich hat jede Lebenssituation, so wie eine Medaille, zwei Seiten – eine Vorderseite und eine Kehrseite. Ich habe mich nicht auf die Kehrseite konzentriert, sondern auf die Vorderseite. Ich habe mir diese Transplantation gewünscht und bin eigentlich froh darüber. Ich habe gewusst, mit der Kombination meines extrem geschwächten Herzens und der Herzpumpe kann ich nicht ins hohe Alter gehen. Ich habe mich auf dieses Ereignis körperlich und emotional vorbereitet und habe gesagt, Anfang des kommenden Jahres mache ich die Voruntersuchungen und lasse mich dann erstmalig auf die Warteliste setzen. Das Ganze ist ja auch mit einem großen Fragezeichen versehen. Es hätte auch sehr lange dauern können. Ich bin dankbar, dass alles so schnell geschehen ist und ich nicht in eine längere Warteschleife gesetzt wurde. In der Intensivstation ist man an technische Geräte angeschlossen, sodass man das befreiende Gefühl gar nicht spürt. Das befreiende Gefühl und das Gefühl der Freiheit habe ich zum ersten Mal genossen, als der Herzschrittmacher, ein paar Tage nach der Transplantation, weggekommen war und in meinem Körper keine technischen Geräte mehr vorhanden waren.«

      So ähnlich wie mit dem Kunstherz?

      »Mit dem Kunstherz, man muss das allen Ernstes sagen, das sind schon extreme Einschränkungen. Man ist von einem technischen Gerät abhängig, und wenn es ein Problem hat, dann ist man eigentlich grundsätzlich vier Stunden von den Technikern entfernt. Ich war von den Technikern vier Stunden entfernt. Ich kann mich heute noch erinnern, als ich das erste Mal, nachdem mir das künstliche Herz in Wien implantiert worden war, ins Klinikum Klagenfurt kam, da haben mich Ärzte gefragt, ob sie sich das Kunstherz einmal anschauen können, weil sie es noch nie gesehen hatten. Deswegen ist in so einem Fall ein Wiener besser aufgehoben, weil er innerhalb von zehn Minuten bei den entsprechenden Technikern ist. Ich als ein Klagenfurter brauche vier Stunden, um nach Wien zu kommen. Das ist die Situation in Österreich. Aber was, wenn Sie Ihren Urlaub in Griechenland genießen und plötzlich das Kunstherz irgendwelche Probleme macht? Wer hilft einem? Mein Kunstherz hatte einmal ein technisches Problem. Da musste der Techniker den Motor kurz abschalten und ich habe sofort eine Kreislaufschwäche bekommen und es ist mir links und rechts vor den Augen total schwarz geworden. Da habe ich gewusst, das kann nicht länger als zehn Minuten ausgeschaltet bleiben. Auch die Masse, also die Größe des Gerätes, der Batterien ist beträchtlich. Sie müssen das rund um die Uhr tragen. Können Sie sich das vorstellen?«

      Nein. Offen gestanden, allein der Gedanke an so eine Situation macht mich unruhig.

      »Man trägt es Tag und Nacht, es gibt auch gewisse Umrüstungen von Tag- auf Nachtmodus. Das Kunstherz ist im Körper und die Batterie, die das Kunstherz versorgt, ist außerhalb des Körpers. Die beiden sind mit Kabeln verbunden und diese Kabel gehen durch die Haut und weiteres Gewebe durch. Das sind Löcher, die regelmäßig steril gemacht und verbunden werden müssen. Da war ich meiner Frau zutiefst dankbar, dass sie all das so perfekt erledigt hat. Das hat uns als Team noch viel mehr zusammengeschweißt. In jedem Fall bin ich auch meinem Körper dankbar, dass er dreieinhalb Jahre an derselben Stelle einen massiven Verband ausgehalten hat. Das ist nicht immer der Fall, dass die Haut das auch so verträgt. Aber Ihr Leben hängt von dieser Maschine ab.

      Als ich nach der Transplantation zu einer Besprechung gerufen wurde, drehte ich mich um und dachte mir, ich müsste noch ein Gerät mitnehmen, doch es war gar kein technisches Gerät mehr in meiner Nähe. Da wurde mir klar, dass ich meine Freiheit wiedergewonnen hatte. Das kann man nur dann nachvollziehen, wenn man dreieinhalb Jahre diese Freiheit nicht gehabt hat. Dann schätzt man solche Freiheiten wieder. Für gesunde Menschen ist das selbstverständlich. Wenn so eine Einschränkung bei einem kranken Menschen wegfällt, dann schätzt man das nicht nur doppelt, sondern vielfach.«

      Wann konnten Sie nach der Transplantation aufstehen, sich bewegen und das Gefühl haben, es wird jetzt alles gut?

      »Auf der Intensivstation steht man nicht sofort auf, sondern da ist man mit Geräten, mit Dränagen, da ist man derartig verkabelt, dass man sich im besten Fall aufsetzen könnte. Das ist dann schon die einzige körperliche Bewegung, die man sich leisten kann. Sechs Tage nach der Transplantation bin ich in die allgemeine Station verlegt worden und dort bin ich am zweiten Tag schon aufgestanden. Das war toll. Natürlich versucht man zuerst den Körper zu testen, was der verträgt. Es ist auch eine gewisse Unsicherheitskomponente dabei und man muss sich so schön langsam vortasten. Die Schwester hat gesagt: ›Sie müssen uns rufen, wenn Sie irgendeinen Schritt selbstständig machen wollen.‹ Ich war ganz überrascht und bin auch dankbar, wie schnell es körperlich funktioniert hat. Bis auf die heisere Stimme, die ich durch die Intubation bekommen habe, geht es mir gut. Das mit der Stimme wird sich noch legen. Ich bin ganz erstaunt, dass man nach zehn Tagen schon so aktiv sein kann und so viel Lebensqualität wieder zurückgewonnen hat.«

      Haben Sie schon Pläne?

      »Ich