Alle Liebe dieser Welt. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718377
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in ihrem blassen Gesicht.

      »Peter«, sagte sie, »ich muß mit dir sprechen …«

      »Über alles, was du willst, mein Herz … nur nicht gerade über den Prozeß!«

      Sie sah sein Gesicht vor sich im Spiegel. Sein Mund lächelte, aber seine grauen Augen hatten einen verschlossenen, ja düsteren Ausdruck.

      »Warum nicht?« fragte sie und nahm all ihren Mut zusammen. »Ich könnte mir vorstellen, daß dich der Fortgang des Prozesses brennend interessiert.«

      »Irrtum«, erwiderte er, immer noch dasselbe verkrampfte Lächeln um die Lippen, »ich bin alles andere als sensationshungrig.«

      Sie drehte sich zu ihm um. »Peter«, sagte sie, »heute beschrieb eine Zeugin einen Mann, den sie in Annabelle Müllers Begleitung gesehen hat …«

      »Wann?«

      Sie beantwortete diese Frage nicht, sondern fuhr fort: »Die Beschreibung traf auf dich zu, Peter!«

      Er lachte, aber es klang keineswegs fröhlich. »Groß, breitschultrig, blond, wie? Eine Beschreibung, die auf Tausende von Männern allein hier in München paßt!«

      »Aber nicht diese Tausende, sondern du hast Annabelle Müller gekannt!« Nun war es heraus, und sie fühlte sich fast erleichtert.

      Es dauerte ein paar Sekunden, bis er eine Antwort fand, »Was für ein Unsinn, Ellen«, sagte er rauh, »du siehst Gespenster!«

      Sie trat auf ihn zu. »Peter, du weißt, wie sehr ich dich liebe! Bitte, sag mir die Wahrheit! Es ist so wichtig für mich … und auch für dich, für uns beide!«

      »Was, in Dreiteufelsnamen, willst du von mir wissen?«

      »Peter, heute haben wir noch einmal Glück gehabt. Die Zeugin kannte deinen Namen nicht. Aber schon morgen kann jemand auftauchen, der dich identifiziert. Was dann? Du wirst als Zeuge geladen, du hast dich durch dein Schweigen verdächtig gemacht, der Verteidiger wird alles daransetzen, dich vor dem ganzen Gerichtssaal als möglichen Täter hinzustellen! Und ich, ich muß dann aufstehen und sagen, daß du mein Mann bist… daß ich mein Amt als Geschworene wegen Befangenheit niederlege! Willst du es wirklich dazu kommen lassen? Wir beide wären durch einen solchen Auftritt gebrandmarkt, auch wenn man dir nichts beweisen kann!«

      Eine Sekunde lang sah es so aus, als habe dieser Appell ihn erschüttert. Dann aber sagte er: »Ich war von Anfang an dagegen, daß du an diesem Mordprozeß teilnimmst. Es geht über deine Kräfte. Ich bin dir nicht böse, Ellen, aber …«

      »Böse!« rief sie. »Welches Recht hättest du, mir böse zu sein? Weil ich deine Lügen durchschaut habe?«

      »Ellen, bitte …«

      »Ich weiß, daß du Annabelle Müller gekannt hast, daß du sie sogar gut gekannt haben mußt! Ich habe ein Foto von euch gefunden!«

      »Das Foto!« Er lachte auf. »Herrgott, daran hätte ich wirklich denken sollen!« Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn.

      Dann erst schien er sich wieder der Anwesenheit seiner Frau bewußt zu werden. »Komm, Ellen«, sagte er, »seifriedlich! Du hast natürlich recht, ich hätte dir diese Sache nicht verschweigen sollen. Jetzt machen wir uns erst einmal eine Tasse Kaffee, und dann werde ich dir alles erklären …« Er wollte ihren Arm nehmen.

      Aber sie riß sich los. »Nein, jetzt!« verlangte sie. »Jetzt sofort! Du hast Zeit genug gehabt, dir alles zurechtzulegen! Was war mit dir und Annabelle Müller? Hast du etwas mit ihrem Tod zu tun?«

      »Natürlich nicht«, erklärte er ruhig. »Ob du mir nun glaubst oder nicht: Tatsache ist, ich habe sie ein gutes Jahr vor ihrem Tod zum letztenmal gesehen.«

      »Warum hast du denn nichts davon erzählt?«

      »Alle Welt redet über Annabelle Müller, schnüffelt in ihrem Leben, stellt Vermutungen an. Und da hätte ich sagen sollen: Ich weiß, was für eine Frau sie war, ich habe sie persönlich gekannt! Das konnte ich einfach nicht.«

      »Aber mir, wenigstens mir hättest du das doch sagen müssen!«

      »Gerade dir nicht. Wenn sie nicht auf diese Weise umgekommen wäre, dann hätte ich dir bestimmt von dieser Freundschaft erzählt. Es war ja nichts dabei. Sie war eine sehr gut aussehende und auch sehr charmante Frau, wir haben uns ein paarmal getroffen … Aber sie hat mir nichts bedeutet, und ich ihr noch weniger. Sobald ein zahlungskräftiger Kavalier auftauchte … ich nehme an, es war dieser Heinrich Groß … ließ sie mich fallen wie eine heiße Kartoffel. Du siehst, ich habe eine ziemlich schäbige Rolle in diesem Drama gespielt.«

      Ellen Krone war schon fast überzeugt, daß er die Wahrheit sprach, sie sehnte sich danach, ihm glauben zu können, dennoch sagte sie zögernd: »Ich kann mir nicht vorstellen …«

      »Was?«

      »Daß eine Frau dich wegen eines Heinrich Groß verläßt!«

      »Du darfst Annabelle Müller nicht mit dir vergleichen«, sagte er ernst. »Sie war eine Goldgräberin. Sie suchte nicht nach Liebe und war weit davon entfernt, Liebe zu geben. Sie war eine Spielerin, ihre Hingabe war der Einsatz, und es kam darauf an, viel zu gewinnen!«

      »Und wann, sagst du, hast du sie zum letztenmal gesehen?«

      »Wir waren für Silvester verabredet. Aber da hatte sie wahrscheinlich schon den anderen kennengelernt, denn sie sagte in letzter Minute ab. Ich hatte schon einen Tisch für uns reservieren lassen und war ziemlich böse über ihre Absage. Trotzdem rief ich noch einmal an, und da erklärte sie mir klipp und klar, daß alles zwischen uns aus sei. Das muß in der ersten Januarwoche gewesen sein, und im September darauf ist sie ermordet worden. Du siehst also …«

      »Trotzdem hättest du dich als Zeuge melden sollen«, sagte sie schwach.

      »Aber Ellen! Damit hätte ich mich doch nur lächerlich gemacht! Ich habe während der kurzen Zeit unserer Beziehungen sehr wenig über sie gewußt und dann jeden Kontakt mit ihr verloren. Wie hätte ich denn der Polizei helfen können!«

      »Vielleicht hast du recht«, sagte sie aufatmend.

      »Nicht vielleicht, sondern ganz bestimmt! Glaub mir, Ellen, diese Frau hat mir wirklich nichts bedeutet! Hätte ich denn sonst vollkommen vergessen, daß ich ein Foto von ihr habe? Hätte ich es achtlos herumliegen lassen?«

      Sie lächelte unter Tränen zu ihm auf. »Es ist nicht herumgelegen, es steckte hinten in deinem Fotoalbum!«

      »Und als du es entdeckt hast, bist du natürlich eifersüchtig geworden.

      Meine arme kleine Ellen!« Er nahm sie in die Arme, und diesmal wehrte sie sich nicht, sondern schmiegte sich eng an seine Brust. »Wie mußt du dich gequält haben! Aber nun ist alles gut, ja? Nun vertraust du mir wieder?«

      Ohne es selber zu merken, seufzte sie tief und erleichtert. »Von ganzem Herzen!«

      »Bitte, schelten Sie mich nicht!« flehte Carola Groß. »Ich habe es ja nicht gewußt! Ich war wirklich überzeugt, daß niemand gehört hatte, wann ich nach Hause gekommen war. Wie konnte ich denn ahnen …« Ihre Stimme versagte, sie schluchzte verzweifelt auf.

      »Mit dieser Lüge haben Sie meine ganze Verteidigung sabotiert«, rief Rechtsanwalt Dr. Suttermann und fuhr sich nervös über sein dichtes, graumeliertes Haar. »Sie sind mir in den Rücken gefallen! Das war unverantwortlich … einfach unverantwortlich von Ihnen!«

      Der wachhabende Justizbeamte im kleinen Zimmer des Justizgebäudes gab sich alle Mühe, ein teilnahmsloses Gesicht zu zeigen, aber der Ausdruck seiner Augen verriet sein waches Interesse.

      »Wie oft habe ich Ihnen ans Herz gelegt«, sagte Dr. Suttermann, »die ganze Wahrheit zu sagen! Wie oft habe ich mich bemüht, Ihnen klarzumachen, daß wir nur durch die völlige Glaubwürdigkeit Ihrer Aussage das Urteil beeinflussen können! Ich war so sicher, Sie hätten mich verstanden. Aber nein! Da gehen Sie hin und erzählen dumme Lügen! Daß Sie bis neun bei der Ermordeten gewesen und dann gleich nach Hause gefahren wären.