Es war ein ewiger Kampf, den der Bergpfarrer gegen den Brandhuber-Loisl führte, und ganz besonders verdächtig wurde es, wenn man von dem Scharlatan lange nichts hörte, wie es in der letzten Zeit gewesen war. Denn dann konnte man sicher sein, daß Loisl seine Geschäfte im Geheimen machte.
»Gerade jetzt ist ja die beste Zeit, um dieses Zeug an den Mann zu bringen«, sagte der Arzt. »Die Leut’ wollen verständlicherweise gesund werden, und das schnell. Aber eine Grippe braucht nun mal ihre Zeit, bis man sie überstanden hat, da ist’s ein Irrtum, wenn man glaubt, mit den Brandhuberschen ›Medikamenten‹ nachhelfen zu können. Das ist nur rausgeschmissenes Geld!«
»Ich werd’ mir den Burschen bei Gelegenheit vorknöpfen«, versprach Pfarrer Trenker. »Und diesmal wird er’s sich hoffentlich hinter die Ohren schreiben.«
Er deutete auf das braune Fläschchen.
»Was mag da wohl alles drin sein?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Dr. Wiesinger. »Aber ich schick’s gleich heut’ nachmittag und laß es analysieren.«
»Gib mir Bescheid, wenn du das Ergebnis hast«, bat der Geistliche.
»Mach’ ich«, nickte Toni und geleitete Sebastian zur Tür.
Der gute Hirte von St. Johann ging nicht gleich zum Pfarrhaus zurück, sondern schlug den Weg zu der halbverfallenen Hütte ein, die Alois Brandhuber am Rande des Dorfes bewohnte. Der Alte sah genauso vernächlässigt aus wie seine Behausung. Das Haar war grau und verfilzt, die Kleidung alt und zerschlissen und vermutlich vor Jahren das letzte Mal gewaschen worden. Eigentlich hätte jeder, der dem Brandhuber-Loisl begegnete, gleich Reißaus nehmen müssen, doch leider fielen seine Heilsversprechen immer wieder auf fruchtbaren Boden, und die Geschäfte bescherten ihm ein lukratives Einkommen.
Sebastian klopfte an der Tür, die schief aus den Angeln hing. Indes schien er sich den Weg hierher umsonst gemacht zu haben. Der »Wunderheiler« war nicht zu Hause.
*
»Ach, ist das schön hier!«
Die Freundinnen hatten eine steile Bergwiese erklommen und sich ins Gras gesetzt. Neben ihnen lag der Rucksack, der ein wenig Proviant enthielt. Über zwei Stunden waren sie schon unterwegs, und Kathi hatte Saskia einige der schönsten Ecken ihrer Heimat gezeigt.
Gestern abend waren sie zwar zeitig nach Hause gefahren, dennoch konnten sie nicht gleich schlafen gehen. Sie saßen in Kathis Zimmer, hörten die Musik ihres einstigen Idols und unterhielten sich über tausend Dinge.
»Hast du eigentlich wieder einen Freund?« wollte die Bauerntochter beispielsweise wissen.
Saskia hatte ihr vor geraumer Zeit geschrieben, daß sie die Beziehung zu ihrem damaligen Freund beendet hatte. Der Schuft, so hatte sich herausgestellt, war nämlich ein Casanova, der gerne mehrere Eisen gleichzeitig im Feuer hatte.
Die Studentin schüttelte den Kopf.
»Das Thema ist vorläufig abgehakt«, antwortete sie. »Mal ganz abgesehen davon, daß mir die Uni kaum Zeit für private Vergnügungen läßt, hab’ ich erstmal die Nase voll von Beziehungsstreß.«
Seltsamerweise mußte sie bei diesen Worten an einen ganz bestimmten Burschen denken...
»Wie steht’s denn mit dir und Florian?« fragte Saskia. »Werdet ihr heiraten?«
Kathi zuckte die Schultern.
»Gesprochen haben wir darüber noch net«, sagte sie. »Aber ich denk’ schon.«
Sie lächelte.
»Wir sind jetzt fast ein Jahr zusammen, und auf dem Burgerhof werd ich schon fast wie die zukünftige Schwiegertochter empfangen«, fuhr sie fort. »Mit Richard und Margret, das sind Floris Eltern, komm’ ich gut aus, und wenn wir heiraten, dann zahlen meine Eltern eine gute Mitgift. Freilich möcht’ ich mal als Bäuerin auf dem Hof einheiraten. Hier würd’ ich ja nur als Magd vom Thomas arbeiten können, wenn er unsren Hof mal übernimmt.«
Saskia verstand, wie das alles zusammenhing. Eine Braut, die Geld mitbrachte, wurde gerne genommen. Andererseits stand Kathis Bruder als Erstgeborenem der Hof zu. Freilich würde er die Schwester auszahlen müssen, wenn sie einmal heiratete, aber bis dahin wäre sie darauf angewiesen, sich bei ihm als Magd zu verdingen.
»Wenn ich irgendwann mal mit dem Studium fertig bin, steig’ ich bei meinem Vater in die Praxis ein«, erzählte Saskia. »Schon mein Urgroßvater war Arzt, dann der Großvater und schließlich Papa.«
Sie schmunzelte.
»Alle hatten sie Söhne«, setzte sie hinzu, »bloß ich hab’ die Tradition unterbrochen und bin ein Madl geworden.«
»Ich wette, deine Eltern hat’s trotzdem gefreut«, lachte Kathi.
Sie schauten auf die Uhr und gähnten gleichzeitig.
»Um Gottes willen«, stieß die Bauerntochter hervor, »in drei Stunden klingelt der Wecker. Laß uns bloß noch ’ne Mütze voll Schlaf nehmen.«
Saskia nickte und ging in ihr Zimmer. Es waren heute so viele neue Eindrücke auf sie eingestürzt, daß sie eigentlich viel zu aufgekratzt war, um rasch einschlafen zu können, doch dann schloß sie die Augen und wachte erst wieder auf, als das unbarmherzige Klingeln des Weckers sie wieder aus dem Schlaf riß.
Kurze Zeit später klopfte Kathi an die Tür.
»Ich hab’ dir ein paar Sachen mitgebracht«, sagte sie nach dem Morgengruß.
Beide lachten, als Saskia die derbe Hose und die blaue Arbeitsjacke angezogen hatte.
»Mensch, wenn meine Eltern mich so sehen könnten – die würd’ glatt der Schlag treffen«, rief die Studentin.
»Kein Problem!« meinte Kathi und nahm Saskias Fotoapparat, der auf dem Tisch lag. »Das halten wir doch gleich mal im Bild fest.«
Am Melkstand wurde weiter fotografiert. Kathi zeigte der Freundin, wie die Schläuche angelegt wurden, und knipste Saskia, als diese so tat, als würde sie die Kuh mit der Hand melken.
»Was ist denn hier los?« rief Thomas und bog sich vor Lachen, als er die beiden Madln sah. »Ihr seid aber früh auf. Wolltet ihr net ausschlafen?«
»Nö!« Seine Schwester schüttelte den Kopf. »Saskia wollte unbedingt lernen, wie gemolken und der Stall ausgemistet wird.«
»Na, dann viel Spaß«, grinste Thomas und verschwand wieder.
Beim Ausmisten ahnte Saskia, warum Kathis Bruder so unverschämt gegrinst hatte – es war ein sehr strenger Geruch, der im Stall herrschte...
»Du gewöhnst dich dran«, tröstete Kathi sie. »Und wenn du wieder daheim bist, dann wirst den Geruch richtig vermissen.«
»Na, ich weiß ja net«, prustete Saskia und stieß die Mistgabel in den Mist.
*
Beim Frühstück herrschte ausgesprochen gute Laune. Die Eltern wunderten sich zwar, daß ihre Tochter und deren Besuch schon so früh auf den Beinen waren, aber gegen eine helfende Hand hatte niemand etwas einzuwenden.
Anschließend wurde geduscht und sich umgezogen. Gegen acht Uhr verließen die beiden Madln den Hof und wanderten ein Stück die Bergstraße hinauf. Hoch über ihnen ragten die Gipfel in den wolkenlosen Himmel, und die Sonne strahlte mit den Freundinnen um die Wette.
»Das ist der ›Himmelsspitz‹ und gleich daneben die ›Wintermaid‹«, erklärte Kathi die Namen des Zwillingsgipfels, dessen schneebedeckte Spitzen scheinbar in den Himmel stießen. »Und irgendwo dazwischen ist die Kandereralm. Aber das kannst von hier aus freilich net sehen. Auf der Alm steh’n unsre anderen Kühe. Mal sehen, wenn wir keine Gelegenheit