»Dann viel Spaß.« Conny verabschiedete sich.
»So, zuerst müssen wir sie tüchtig bürsten«, sagte Stefan, an Johanna gewandt, nahm zwei Bürsten aus dem Holzkasten und reichte eine davon an sie weiter. »Immer schön nach unten, nicht gegen den Strich.«
Es war ganz einfach. Johanna brauchte zwar einen Moment, bis sie sich traute, die Stute noch mal zu berühren, doch als Lilly den Kopf wandte und mit ihren großen braunen Augen Johanna vertrauensvoll anschaute, verlor sie jegliche Scheu.
Anschließend wurden die Hufe ausgekratzt und die Sättel aufgelegt.
Dann war der große Moment gekommen.
Stefan ließ Johanna aufsteigen und führte Lilly am Zügel in die Reithalle. Dann lief er rasch zurück und holte den Hengst. Die junge Frau saß währenddessen mit klopfendem Herzen auf der Stute und wagte kaum zu atmen. Doch das wirklich liebe Tier rührte sich nicht von der Stelle.
»Am besten wird es sein, wenn ich dich erst einmal führe«, meinte Stefan und erklärte ihr, wie sie im Sattel sitzen mußte.
Gerade, das Kreuz durchgedrückt, die Schenkel eng angelegt.
Zuerst ging er langsam, dann begann er zu laufen. Johanna hielt sich am Sattelhorn fest.
»Nicht so verkrampft«, ermahnte Stefan.
Allmählich wurde sie lockerer, nahm die Zügel richtig in die Hand und paßte sich dem Rhythmus an. Und dann, noch ehe Johanna es richtig bemerkte, hatte Stefan losgelassen, und Lilly trabte durch die Halle.
Zuerst wollte Johanna entsetzt aufschreien, doch dann wurde sie immer sicherer.
Nur, wie brachte man ein Pferd wieder zum Stehen?
»Nicht am Zügel reißen«, rief Stefan. »Das tut ihr weh, wenn die Trense ins Maul schneidet.«
Johanna ließ wieder locker, und die Stute verlangsamte ihren Schritt. Stefan sprang hinzu und hielt sie fest.
»Bravo!« sagte er begeistert. »Das war doch schon ganz toll!«
»Wirklich?« fragte sie ungläubig.
»Fürs erste Mal war’s klasse«, nickte er und half ihr aus dem Sattel. »Und wie war es für dich?«
»Schön«, antwortete Johanna und freute sich über die Begeisterung in seinem Gesicht.
»Ja?«
Sie nickte, und Stefan beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuß.
»Wart’s nur ab«, sagte er, »aus dir wird noch eine richtige Amazone.«
Dann stieg er selbst in den Sattel und ritt einige Runden. Johanna bewunderte die sichere Art, wie er auf dem Hengst saß, das Tier zum Galopp anspornte und schließlich parierte, um im Trab weiterzureiten.
»Hast du eigentlich ein eigenes Pferd?« fragte sie, als sie wieder auf dem Weg nach St. Johann waren.
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe mal mit dem Gedanken gespielt, mir eines anzuschaffen. Aber es fehlt mir die Zeit, mich wirklich darum kümmern zu können.«
Sicher der Beruf, vermutete sie, und dabei fiel ihr ein, daß sie gar nicht genau wußte, was er eigentlich arbeitete. Aber das war im Moment auch gar nicht weiter wichtig. Sie genoß es, neben ihm zu sitzen und an nichts anderes denken zu müssen, als daß sie diesen Mann von Herzen liebte.
*
»Es wird am besten sein, wenn wir getrennt fahren«, hatte Silvia Schönauer vorgeschlagen. »Stefan Kreuzer muß uns ja nicht gleich zusammen sehen.«
Dieser Satz hatte Martin Herweg ein wenig mißtrauisch gemacht.
Wieso sollte man sie nicht zusammen sehen?
Wenn sie mit dem Mann gesprochen hatten, wollten sie ohnehin Silvias Vater aufsuchen und ihm erklären, daß sie beide ein Paar waren.
»Versteh doch«, hatte sie argumentiert, »wir müssen erst einmal herausfinden, wie mein ›Bräutigam‹ überhaupt zu der ganzen Angelegenheit steht. Vielleicht ist er ja genauso empört darüber wie ich.«
Diese Empörung hatte sie ihrem Vater gegenüber noch einmal zum Ausdruck gebracht. Harald Schönauer wollte von seiner Tochter wissen, ob sie sich nicht doch mit dem Gedanken anfreunden konnte, in die Kreuzerfamilie einzuheiraten.
»Niemals!« hatte sie geantwortet und damit eine lange Diskussion heraufbeschworen.
Aber es nützte nichts, ihr Vater wollte einfach nicht einsehen, daß man in dieser Zeit nicht mehr den Mann für seine Tochter aussuchte, sondern sie selbst darüber entschied, wen sie heiraten wollte.
Silvia hatte schließlich die Auseinandersetzung beendet, indem sie das Haus verlassen hatte und zu Martin gefahren war.
Sie beratschlagten, wie sie es am besten anfangen sollten, und ihr Vorschlag traf nur auf wenig Zustimmung. Silvia selbst wollte zuerst mit Stefan Kreuzer allein sprechen, bevor sie Martin ins Spiel brachte. Woraufhin dieser sich eines eifersüchtigen Gedankens nicht erwehren konnte. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie ihn endlich überzeugt hatte.
»Glaubst du wirklich, ich nehme das alles auf mich, um dich mit ihm zu betrügen?« fragte Silvia. »Das könnte ich viel einfacher haben. Ich brauche ihn ja nur zu heiraten.«
Martin hatte tief aufgeseufzt und sie in die Arme geschlossen.
»Verzeih mir«, bat er. »Aber seit ich von den Plänen deines Vaters weiß, habe ich eine fürchterliche Angst, dich zu verlieren.«
Silvia lächelte versöhnlich und gab ihm einen Kuß.
»Ich liebe dich, Martin«, sagte sie zärtlich. »Und für mich wird es keinen anderen Mann geben!«
Am Morgen war sie dann zuerst losgefahren. Glücklicherweise war es ihnen gelungen, zwei Einzelzimmer in einer Pension zu bekommen. Die befand sich zwar außerhalb des Dorfes, aber das konnte unter Umständen auch von Vorteil sein.
Martin arbeitete bis zum Mittag. In der Firma Schönauer war er für die Abwicklung der Geschäfte mit den Kaufhäusern und Supermarktketten beschäftigt, die sie belieferten. In dieser Eigenschaft kam es hin und wieder vor, daß er für ein paar Tage nicht an seinem Schreibtisch saß, sondern Kunden besuchte. Diesen Grund hatte er auch vorgeschoben, als er im Büro verlauten ließ, daß er für die nächste Zeit unterwegs sein würde. In dringenden Fällen sollte man ihn auf seinem Handy anrufen.
Inzwischen war er von der Autobahn abgebogen und fuhr eine kurvige Landstraße entlang. Martin war noch nie in den Bergen gewesen, für seine Urlaubsreisen bevorzugte er südliche Gefilde. Spanien oder Portugal hatte er schon öfters bereist, und den letzten Urlaub hatte er, zusammen mit Silvia, auf Teneriffa verbracht.
Er lächelte, als er sich daran erinnerte, wie sie zueinander gefunden hatten. Martin Herweg war seit zwei Jahren in Firma Schönauer beschäftigt, und von Anfang an hatte er auf die hübsche Tochter seines Chefs ein Auge geworfen. Aber nie hatte er es gewagt, Silvia gegenüber eine Andeutung zu machen, geschweige denn, sich ihr zu nähern. Für ihn schien sie so unerreichbar wie der Mond.
Das glaubte er zumindest. Auch wenn er attraktiv aussah und nicht schlecht verdiente, ein Leben, wie seine Angebetete es führte, würde er ihr niemals bieten können.
Um so überraschender war es, als beide feststellten, daß es zwischen ihnen gefunkt hatte. Es war an einem Freitagabend gewesen. Mit einer Lieferung aus Fernost hatte es Probleme gegeben. Silvia, die die Importabteilung leitete, hatte sich an Martin gewandt und ihn um Hilfe gebeten. In Asien war es noch nicht Morgen, und das Büro des dortigen Geschäftspartners noch nicht besetzt. Es dauerte bis nach Mitternacht deutscher Zeit, ehe sie jemanden ans Telefon bekamen, und dann verging noch eine weitere Stunde, bis das Problem geklärt war.
»Gott sei Dank!« stöhnte Silvia, als sie den Hörer wieder