WM und Schulwechsel
Für die WM 1958 in Schweden haben sich zum ersten und bis heute einzigen Mal alle vier britischen Verbände qualifiziert. Bei den Nordiren soll wieder Harry Gregg ins Tor, doch zunächst zögert er, ob er mitfahren soll. Denn bei der WM wird auch am „Lord’s Day“ gespielt. Protestantische Kirchenmänner und Politiker verlangen, die FIFA möge auf Nordirlands Bedürfnisse Rücksicht nehmen und den heiligen Sonntag vom Fußball verschonen, anderenfalls solle die Mannschaft auf die WM verzichten. Der von Gewissensbissen geplagte Gregg sucht in England einen Pastor auf. Der Kirchenmann stellt ihm die Frage, ob er, Gregg, es in Ordnung fände, wenn ein Arzt am Sonntag das Leben eines Kindes retten würde. So tritt Gregg doch noch die Reise nach Schweden an. Drei der nordirischen WM-Fahrer stammen aus East Belfast: Billy Bingham, Danny Blanchflower und der junge Derek Dougan, ein rebellischer Typ, der später mit George Best Freundschaft schließen und für ein gesamtirisches Fußballteam eintreten wird.
England und Schottland sind nach der Vorrunde draußen, die „Zwerge“ Nordirland und Wales schaffen überraschend den Einzug in die Runde der letzten acht – die Nordiren dank eines überragenden Harry Gregg, der später gemeinsam mit dem Russen Lew Jaschin zum besten Keeper des Turniers gewählt wird. Im Viertelfinale unterliegt Nordirland Frankreich mit Just Fontaine und Raymond Kopa mit 0:4. Katholik McParland schießt in Schweden fünf der sechs nordirischen Tore.
Während Peter Dochertys Elf ein Kapitel Fußballgeschichte schreibt, werden George Bests Schulnoten immer schlechter. Das liegt nicht an intellektueller Überforderung. Best: „Der Stoff war nicht das Problem. Meine besten Fächer waren Englisch und Mathe. Geschichte und Geografie fand ich langweilig. Ich fühlte mich fehl am Platz. Die anderen Kinder waren für mich Fremde. Im Grunde genommen wollte ich nicht aufs Gymnasium. Ich konnte nicht abwarten, bis ich wieder zu Hause war und meine Kameraden aus der Siedlung treffen konnte.“
Best beginnt, die Schule zu schwänzen. Nach der Mittagspause verbirgt er sich auf der Toilette, bis alle anderen Schüler im Klassenraum verschwunden sind. Dann verlässt er das Schulgebäude, indem er über ein Dach klettert, versteckt seine Schultasche hinter der Mülltonne des Hauses einer Tante und spaziert über die Lagan-Brücke ins Stadtzentrum.
Schließlich entscheidet er sich für einen Schulwechsel und besucht nun die Lisnasharragh Intermediate School, vergleichbar mit der deutschen Realschule. Vom Burren Way sind es nur wenige Hundert Meter zum Schulgelände, und viele seiner Freunde gehen ebenfalls dorthin. Schon der erste Tag ist vielversprechend: „In der ersten Stunde hatte ich Kunst. Als ich den Klassenraum betrat, waren die Mädchen alle am Malen, während sich die Jungs in einer Ecke drängten, um das Fußballteam für das Spiel am kommenden Wochenende aufzustellen. Ich ging zu ihnen hinüber, und sie fragten mich, ob ich mitspielen wolle. Das war der Anfang. Ich war im Schulteam.“
Prompt werden die schulischen Leistungen wieder besser. In einer Reihe von Fächern gehört Best zu den Klassenbesten. Ohne sich sonderlich anzustrengen – denn über allem steht für ihn das Schulteam.
1. Fenier: Schimpfwort für Katholiken in Nordirland. Bezieht sich auf die Ende der 1850er in New York gegründete Fenian Brotherhood. Die Geheimorganisation irisch-katholischer Immigranten sammelte Geld und Waffen für den Kampf gegen die englische Kolonialherrschaft in Irland. Proddy Dog: protestantischer Köter.
2. Wilhelm III. und Jakob II. stritten damals um den englischen Thron. Jakob II. hatte diesen 1685 bestiegen und die Rekatholisierung und Refeudalisierung Englands betrieben. Die Glorius Revolution von 1688 beendete seine Regentschaft und bestätigte die Thronfolge seiner Tochter, der protestantischen Maria II. in gemeinsamer Regierung mit ihrem Gatten Wilhelm III. von Oranien, Erbstatthalter der Niederlande. Damit war die Ära des Gottesgnadentums und der absoluten Monarchie beendet. Irlands Protestanten unterstützten Wilhelm, während das katholische Irland Jakob Zuflucht bot, der von hier aus einen Feldzug zur Rückeroberung des Throns startete. Was Nordirlands Protestanten nicht gerne hören: Zu Wilhelms internationaler Allianz gehörte auch der Papst.
3. Namensgeber des Hauptquartiers ist der aus Heidelberg stammende Heerführer Friedrich Graf von Schomberg. Der calvinistische Adlige setzte 1689 mit einem Heer von 5.000 bis 6.000 englischen Soldaten nach Irland über und bildete die Vorhut für Wilhelm III. von Oranien. Schomberg fiel in der Schlacht am Boyne 1690.
KAPITEL 2
Von Belfast nach Manchester
George Bests erster Fußballklub ist der Cregagh Boys Club. Schon als 15-Jähriger geht er 1961 zu Manchester United, nachdem ihn andere Klubs – so auch der heimische Glentoran FC – für zu schmächtig befunden hatten. In der Saison 1963/64 debütiert er 17-jährig in Uniteds 1. Mannschaft und gewinnt mit der U18 den prestigeträchtigen FA Youth Cup. Bei einem Jugendturnier in Zürich betrinkt er sich das erste Mal.
Der Autodidakt
Im Alter von knapp 14 spielt Best erstmals nicht mehr nur für die Schulmannschaft von Lisnasharragh Intermediate, sondern für einen richtigen Klub: Er ist dem Cregagh Boys Club beigetreten, dem Verein seines Viertels, der ausschließlich Jugendarbeit betreibt. Die Cregagh Boys sind eine renommierte Adresse in East Belfast.
Den Neuling nimmt Hugh „Bud“ McFarlane unter seine Fittiche: „Er war mein Junge.“ Best über die Bedeutung seines ersten Betreuers: „Bud war der Mensch, der mich davon überzeugte, dass ich Fußball spielen kann und dass aus mir etwas werden könnte.“ Was viele nicht glauben, da ihnen George als zu klein und zu dünn erscheint. Best schämt sich zeitweise dafür, dass man bei ihm jede Rippe sieht: „An einer Pommes war mehr Fett als an mir.“ Auch Bests Lieblingsklub Glentoran, wo McFarlane das Reserveteam trainiert, sowie die Scouts einiger englischer Klubs, die bei den Spielen der Cregagh Boys vorbeischauen, verschmähen ihn wegen seiner vermeintlichen körperlichen Defizite. Für Billy Bingham, Danny Blanchflower und andere East Belfaster Fußballhelden war Glentoran das natürliche Sprungbrett in den englischen Profifußball gewesen – nicht so für Best, den Besten von allen.
Aber McFarlane verschafft Best das notwendige Selbstvertrauen. Außerdem erteilt er Best „den wichtigsten Ratschlag meiner Karriere“ – nämlich, seinen schwachen linken Fuß zu trainieren. Auch Vater Dickie gibt ihm diesen Tipp. Dickie Best fördert die fußballerische Begabung seines Sohnes nach Kräften, übt aber niemals Druck aus. Deshalb besucht er auch nur selten dessen Spiele. Dickie Best hat nicht den Ehrgeiz, aus seinem Sohn einen Profifußballer zu machen.
Best beginnt nun systematisch den linken Fuß zu schulen – mit einem Tennisball, der ein hohes Maß an Technik erfordert. Ohne das Spiel mit dem Tennisball wäre Best vielleicht nie ein so genialer Fußballer geworden. Er ist seit frühester Kindheit sein ständiger Begleiter. Auf dem Weg zur Schule, wie wir bereits gesehen haben, aber auch, wenn Mutter Anne Hockey spielt und sich der Sohn damit die Zeit vertreibt, mit dem kleinen Ball zu jonglieren oder entlang der Außenlinie des Hockeyfeldes zu dribbeln. Auch dass Real Madrids legendärem Linksaußen Francisco Gento mit dem linken Fuß die unmöglichsten Dinge gelingen, spornt ihn an.
Beim nächsten Spiel steckt er seinen rechten Fuß in einen Turnschuh und den linken in einen Fußballschuh. So will er sich zum Spiel mit dem linken Fuß zwingen. Cregagh gewinnt 21:0, Best allein schießt zwölf Tore – alle mit dem linken Fuß. Im gesamten Spiel berührt er den Ball nicht ein einziges Mal mit seinem rechten.
Trotz seines Talents wird Best nicht für die nordirische Schülerauswahl nominiert. Wahrscheinlich hat er zu lange nur für ein Schulteam gekickt, das lediglich Freundschaftsspiele gegen andere Schulen absolviert hat. Um die IFA auf Best aufmerksam