Wie neu geboren. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711740132
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ohne sich dabei wirklich anzusehen. Sie wußte, der Anblick würde ihr nicht gefallen, und so kniff sie dabei innerlich die Augen zu.

      Wann hatte es angefangen? Sie war ein so schönes Mädchen gewesen. Nein, darin täuschte sie sich nicht. Sie sah sich noch vor sich: langbeinig, braun gelockt, mit diesen tiefblauen Augen, die Robert »Veilchenaugen« genannt hatte. Ach ja, wie lange das her war!

      Aber schon viel früher, als sie noch das kleine Julchen Heinkes gewesen war, hatten alle sie vergöttert: der Vater, ein einfacher Mann, der ihr keinen Wunsch abschlagen konnte, und die Mutter, die stundenlang an der Nähmaschine gesessen hatte, um ihr die schicksten Modelle zu schneidern, die sie im Laden nicht erstehen konnte. Immer war sie wie ein Püppchen gekleidet gewesen. Selbst in Jeans oder Overalls sah sie adrett und hübsch aus, als ginge es nicht zum Spielplatz oder zur Schule, sondern geradewegs zum Laufsteg.

      Es gab Kinder, die sie deswegen gehänselt oder sogar mit Dreck beschmissen hatten. Aber sie hatte sich nichts daraus gemacht.

      »Ihr seid ja nur neidisch!« hatte sie zurückgegeben und den Kopf in den Nacken geworfen, daß ihre glänzenden Locken nur so flogen.

      Das war tatsächlich ihre feste Überzeugung gewesen, die sie gegen Pöbeleien gänzlich unverletzlich machte. Sie war immer die Schönste von allen gewesen, in jeder Klasse und in jeder Gruppe. Sehr viel eleganter als die rundliche Annelore, die sich als Tochter eines Fabrikbesitzers alles leisten konnte, aber es einfach nicht verstand, sich richtig zu kleiden.

      Es war jedoch nicht so gewesen, als hätte Julia nur Neider und Spötter um sich gehabt. Im Gegenteil! Sie war beliebt gewesen. Sie hatte sich ja auch niemals aufgespielt. Schön zu sein war für sie eine Selbstverständlichkeit, und sich so hübsch wie möglich anzuziehen, gehörte einfach dazu. Sie hatte nie begriffen, daß es Menschen gab, die sich nicht darum bemühten. Ein Kleid in der richtigen Form, eine Jacke in der passenden Farbe konnte doch sogar aus dem unansehnlichsten Mädchen etwas machen. Was konnte man doch nicht schon allein mit einem schönen Seidentuch zaubern!

      Bei den Lehrern hatte sie durch die Bank mit ihrem gepflegten Auftreten Mißtrauen erregt. Ihre Schulleistungen waren schlecht beurteilt worden — schlechter, als sie es verdient hatte, denn sie war alles andere als eine dumme Gans. Aber das gesamte Lehrerkollegium war sich darin einig gewesen: von einem Mädchen, das nur Kleider im Kopf hatte, war nichts Gutes zu erwarten.

      Ihr hatte auch das nichts ausgemacht, denn sie hatte nur den einen Wunsch gehabt: so schnell wie möglich die Schule hinter sich zu bringen. Für sie waren ModezeitSchriften von jeher sehr viel interessanter gewesen als ein Gesehichts-oder gar ein Algebrabuch.

      Schon als kleines Kind hatte Julia mit einer vorn abgerundeten Schere bunte Modelle ausgeschnitten und, auf Packpapier, ganze Szenen mit ihnen geklebt und arrangiert, Später hatten sie und ihre Mutter die neuesten Trends mit heißen Wangen studiert: Welche Richtung würde sich durchsetzen und welche im Sand verlaufen? Vor allem aber: Wie konnte man mit einfachen Mitteln ein teures Modell imitieren?

      Ja, es war ihre Mutter gewesen, Johanna Heinkes, die ihr den Sinn für Mode vererbt, anerzogen und gefördert hatte.

      Der große Kummer, der sie beide verband: Wo und wann hätte Julia die umwerfenden Abendroben, das raffinierte Cocktailkleid oder den verwegenen Strandanzug tragen können? Sie zu schneidern, hätte die Mutter sich durchaus zugetraut, doch es bot sich einfach keine Gelegenheit, diese Modelle auch zu tragen.

      Dann kam die Tanzstundenzeit und damit die Versuchung, den vorgegebenen kleinbürgerlichen Rahmen zu sprengen. Julia widerstand, wenn auch nur schweren Herzens. Sie war schon modebewußt genug, um zu erkennen, daß overdressed genauso ein Fehler war, wie schlecht angezogen zu sein. So wurden ihre Tanzstundenkleidchen nur ein wenig raffinierter als die der anderen. Und ihre Abendkleider für den Mittel- und den Abschlußball blieben, so elegant sie auch waren, doch immer noch jungmädehenhaft.

      Nur in ihren Tagträumen — und denen hing sie häufig nach — kam Julia ganz groß heraus. Da war sie ein paar Jahre älter, mindestens zwanzig, trug lange Kleider, die tief ausgeschnitten waren, kühne Minis, die ihre langen Beine zur Geltung brachten, und strenge, fast maskuline Reitanzüge. Reiterdreß — warum? Als kleines Mädchen wäre sie gern geritten, aber nie hatte das Geld dafür gereicht. Doch in ihren Träumen konnte sie reiten, als hätte sie ihr Lebtag nichts anderes gemacht. Sie trug die Breeches und die Lederstiefel, die Peitsche mit dem silbernen Knauf unter dem Arm, mit einer Anmut und Selbstverständlichkeit, die ihresgleichen suchte. Und das bedeutete ihr mehr, als in Jeans und Pulli auf einem richtigen Pferd zu sitzen.

      Als Kind hatte Julia sich gewünscht, wie die Mutter zu werden, die immer so glücklich war, wenn sie mit der großen Schere Stoffe zuschnitt oder ihre altmodische Nähmaschine rattern ließ. Johanna Heinkes bestärkte sie darin, das Schneiderhandwerk von Grund auf zu erlernen — was ihr selbst nicht vergönnt gewesen war. Sie hatte sich alles selbst beigebracht.

      Doch machte es sie nervös, wenn die Tochter ihr helfen wollte; kein Stich war ihr fein, keine Naht akkurat genug. Es war bitter für das kleine Mädchen zu erleben, daß alles, was sie mühevoll und mit immer feuchter werdenden Händen erarbeitet hatte, spätestens am nächsten Tag wieder aufgetrennt wurde. Zuerst geschah das heimlich, und es dauerte lange, bis Julchen dahinterkam. Es gab einen bösen Streit, und beide, Mutter und Tochter, vergossen Tränen. Sie versöhnten sich aber bald wieder. Sie hatten es ja beide nur gut gemeint. Aber Julchen hatte die Lust an Nadel und Faden verloren.

      »Macht nichts!« tröstete die Mutter sie. »Warum sollst du dich auch jetzt schon damit plagen? Warte, bis du in die Lehre kommst!«

      Von der Mutter angespornt, blieb das Schneiderhandwerk nach wie vor bis in die Teenagerzeit das Ziel der kleinen Julia. Das jedenfalls erzählte sie ihren Freundinnen und den Lehrern. Ihre Träume und Hoffnungen gingen jedoch weit darüber hinaus. Sie wollte Designerin werden, selbst Mode machen und entwerfen.

      Aber dann starb die Mütter, und in Julias Leben tat sich ein tiefer Abgrund auf. Plötzlich — sie wußte selbst nicht, warum — war ihr die Schneiderei verhaßt. Für die Mutter — Johanna hatte auch für fremde Leute genäht — war es doch eine Fron gewesen. Stunde um Stunde hatte sie an ihrer Maschine gesessen, über die Stoffbahnen gebeugt, und hatte den feinen Staub der zerschnittenen Gewebe eingeatmet. Womöglich hatte sie dadurch ihre Lunge ruiniert, da sie, trotz der Mahnungen des Doktors, von dieser Arbeit nicht lassen wollte.

      Mit ihren sechzehn Jahren fühlte Julia sich alt. Eine Schneiderlehre würde drei Jahre dauern, bis zur Meisterprüfung noch mindestens weitere vier, rechnete sie sich aus. Der Weg über eine Modeakademie kam schon aus finanziellen Gründen für sie nicht in Frage. Sieben Jahre harter und — wie sie sich eingeständ — ungeliebter Arbeit, das war für sie zu viel. Es mußte einen leichteren Weg zur Mode geben.

      Der Spiegel zeigte ihr diesen Weg. Sie war hoch gewachsen, hatte schmale Hüften, eine schlanke Taille und einen festen Busen. Alles, was sie trug, kam bei ihr bestens zur Geltung. Und so reifte in ihr der Entschluß heran, Mannequin zu werden.

      Sie erbettelte vom Vater die Erlaubnis, eine Mannequinschule besuchen zu dürfen. Sie wohnten damals in Ratingen, und zum Unterricht mußte sie täglich nach Düsseldorf fahren. Schon das allein erfüllte ihn mit Sorge. Aber bei all ihrer Schönheit war Julia so frisch, so unbefangen, so unschuldig, daß er schließlich doch nachgab. Im Gegensatz zu ihren Freundinnen hatte sie noch nichts mit Jungen im Sinn — es gab einfach niemanden, der ihr gefiel. Julia wartete auf ihren Traumprinzen. Sie rauchte nicht, noch trank sie, und Drogen kamen für sie überhaupt nicht in Frage.

      Es erstaunte sie nicht, daß in die Schule auch Mädchen und junge Frauen aufgenommen worden waren, die kaum die Voraussetzungen für den angestrebten Beruf erfüllten. Sie dachte nie über die anderen nach, nur über sich selbst.

      Erst die Leiterin, eine Frau von Kreuth, machte ihr diese Tatsache bewußt. »Meine Damen, wer in diesen Unterricht kommt«, pflegte sie zu sagen, »hat damit nicht die Garantie in der Tasche, Karriere als Mannequin oder als Model zu machen. Es wäre verantwortungslos von uns, Sie das glauben zu lassen. Aber keiner Frau kann es schaden, wenn sie das Beste aus sich herauszuholen gelernt hat.«

      Die