Tödliche Hände. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711719183
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rief sie in einem seltsam schwebenden Ton. »Guter Geist Rex!«

      Unvermittelt wurde die Tür noch einmal geöffnet, und im schwachen Lichtschein sah man einen Mann eintreten. Anton, der mit ihm hereinkam, schob ihm rasch einen Stuhl hin. Dann verschwand er wieder.

      Erneut war Maria Sebaldts schwebende Stimme zu vernehmen: »Rex … komm zu uns!«

      Nichts geschah. Kein Laut war zu hören, außer dem schweren Atem von Mr. Pearson, der zur Rechten von Maria saß.

      Alle warteten darauf, daß Maria Sebaldt ihre Aufforderung wiederholen würde, aber sie blieb stumm.

      Es war immer noch stockfinster, doch ein leichter Luftzug wurde spürbar, so, als hätte sich irgendwo eine Tür geöffnet.

      »Rex, bist du da?« rief Maria Sebaldt fragend.

      Der Tisch hob sich erkennbar, stand waagrecht in der Luft, und es war, als verspüre man einen schwachen elektrischen Schlag auf den Hinterkopf. Jemand schrie leise auf.

      »Du bist da, Rex«, sagte Maria Sebaldt, und in ihrer Stimme klang Erleichterung.

      Der Tisch senkte sich, klopfte ›ja‹.

      Wieder durchdrang die Stimme Maria Sebaldts die Stille: »Rex, guter Geist… willst du uns helfen, die Wahrheit zu erkennen?«

      Der Tisch klopfte einmal ›ja‹ und fuhr dann fort, in langsamen, rhythmischen Schlägen zu pochen.

      »Die Wahrheit ist unendlich und unfaßbar«, übersetzte Maria Sebaldt. »Das Unbegreifliche ist unbeschreiblich.«

      Monika Müller zweifelte keinen Augenblick daran, daß das Ganze ein ausgemachter Schwindel war, von Maria und Kratky inszeniert. Vielleicht hatte auch Dr. Zacharias seine Hand im Spiel.

      Maria Sebaldt fragte: »Erwarten uns im Jenseits Leiden? Müssen wir uns vor dem Tod fürchten?«

      Antwort: »Die Strafe ist das Leben.«

      Nun konnte man Maria Sebaldts Gesicht erkennen. Es schien von einem grünen fluoreszierenden Licht schwach beleuchtet. Eine Lichtquelle gab es aber nicht. Es war so, als ob die Helligkeit von innen durch ihre weiße Haut hindurchschimmerte.

      Plötzlich wackelte ihr Kopf. Es sah aus, als ob sie von einer unsichtbaren Hand im Genick gefaßt und geschüttelt würde.

      Sie stieß einen gutturalen Laut aus, einen seltsamen Seufzer.

      »Wer bist du? Was willst du von mir?« schrie sie angsterfüllt.

      Dann antwortete sie selber, aber ihre Stimme klang vollkommen verändert, männlich, rauh, ja ordinär: »Ihr habt mich gerufen!«

      »Ich kenne dich nicht!« rief Maria Sebaldt mit ihrer alten Stimme bebend.

      »Du wirst mich kennenlernen«, antwortete die heisere Stimme drohend.

      »Wer hat dich gerufen?«

      »Ein Mann, der dir nahesteht.«

      Maria Sebaldt riß die Augen weit auf, sie schien etwas zu sehen, das sie erschreckte. »Nein!« rief sie. »Du lügst! Geh weg!«

      Monika Müller starrte angestrengt in dieselbe Richtung wie das Medium. Aber alles, was sie sehen konnte, war – unheimlich genug – ein Nebelgebilde über dem Kopf von Kasimir Kratky, das alle Augenblicke seine Gestalt veränderte.

      Die brutale männliche Stimme lachte höhnisch. »Das könnte euch so passen. Erst wollt ihr die Wahrheit wissen … aber wenn sie euch nicht schmeckt, dann kneift ihr?«

      »Du willst uns täuschen und verwirren. Geh dorthin, woher du gekommen bist!«

      Das Nebelgebilde schrumpfte zusammen. Die männliche Stimme knurrte heiser: »Das werdet ihr bereuen. Und am meisten dieser Verbrecher …«

      »Wer ist ein Verbrecher?« fragte Maria Sebaldt.

      »Ihr alle, ihr verd …« Die rauhe Stimme brach mitten im Wort ab, gerade so, als ob sie mit Gewalt am Weitersprechen gehindert worden wäre.

      Einen Augenblick später begann der Tisch, der die ganze Zeit über in der Luft geschwebt hatte, in gleichmäßigen, fast beruhigenden Schlägen zu klopfen.

      »Es war ein böser Geist, ich konnte es nicht verhindern«, übersetzte das Medium. »Er wird nicht wiederkommen.«

      »Guter Geist Rex, ich danke dir für deinen Schutz. Bitte, verlaß mich nie.«

      Der Tisch senkte sich, klopfte.

      Maria Sebaldts Stimme klang ungläubig, als sie übersetzte: »Du wirst es sein, die mich verläßt.«

      Gleich darauf antwortete sie: »Nie, Rex, nie!«

      Der Tisch schwebte in der Luft, ohne sich zu rühren. Eine lange quälende Pause entstand.

      Dann sagte Maria Sebaldt in einem ungeheuer gespannten Ton: »Rex, ich weiß, du meinst es gut mit mir. Habe ich dich richtig verstanden, willst du mich warnen?«

      Sie schwieg einen Augenblick, fuhr erst fort, als sich nichts rührte: »Bitte, hilf mir. Rate mir. Ist es richtig, was ich tun will? Soll ich den Mann heiraten, den ich liebe? Ich beschwöre dich, sag es mir.«

      Sie hatte kaum ausgesprochen, als der Tisch stürmisch zu klopfen begann, in wilden Schlägen.

      Kleine Blitze schienen durch den Raum zu zucken. Eine Frauenstimme schrie gellend auf.

      Mr. Pearson, der neben Monika Müller saß, riß seine Hand zurück.

      Das elektrische Licht flammte auf, alle saßen mit blassen verstörten Gesichtern auf ihren Plätzen. In der geöffneten Tür stand Anton, der Diener.

      Dr. Zacharias, der das Licht angeknipst hatte, stürzte zu Maria.

      Sie lag in ihrem Sessel, totenbleich, die Augen geschlossen. Sie war ohnmächtig geworden.

      Mit überraschendem Impuls schloß Martin Sommer Monika in seine Arme, als wolle er sie beschützen. Erst als er sie wieder freigab, sah sie, was geschehen war.

      Kasimir Kratky war mit ausgebreiteten Armen vornüber auf die Tischplatte gefallen.

      Aus seinem Rücken ragte der kunstvoll geschmiedete Griff eines Stiletts.

      Mord!

      Sir Ambery drückte den Mittelfinger auf Kratkys Pulsader.

      »Er ist tot«, sagte er.

      Lisa, die Gattin des Staatsanwalts, schrie auf: »Nein! Nein! Das ist …«

      Sie verstummte, denn ihr Gatte legte ihr seine Hand auf den Mund.

      Ein Mann im braunen Anzug – offenbar der verspätete Gast – hatte den Mund vor Entsetzen weit aufgerissen.

      Maria Sebaldt erwachte aus ihrer Ohnmacht, seufzte, schlug die Augen auf.

      Dr. Zacharias beugte sich vor, um ihr die Sicht auf den Toten zu verstellen. Aber sie hatte diesen schon gesehen. Ihre dunkelblauen Augen weiteten sich, wurden fast schwarz.

      »Maria, ich bitte dich …«, stammelte Dr. Zacharias. Annette streichelte Marias Hand. »Schau nicht hin«, sagte sie, »schau nicht hin.«

      Maria Sebaldts Lippen bebten. Sie versuchte zu sprechen, aber es dauerte eine Weile, bis sie Worte formen konnte. »Meine Füße«, flüsterte sie.

      Sofort befreiten der Oberlehrer und Annette sie von den Fesseln.

      Maria erhob sich schwankend.

      Dr. Zacharias versuchte sie zurückzuhalten, aber sie ging entschlossen um den Tisch herum, auf den Toten zu. Sie weinte nicht.

      »Kasimir«, flüsterte sie nur, »Kasimir …« Sie hob die Hand, als ob sie dem Toten übers Haar streichen wollte, ließ sie aber mitten in der Bewegung wieder fallen. »Maria«, sagte Dr. Zacharias eindringlich, »bitte, nimm es, wie es ist. Vielleicht haben die Geister dir die Entscheidung abnehmen wollen …«