Ein reines Wesen. Isabella Archan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Isabella Archan
Издательство: Bookwire
Серия: Willa Stark
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956022326
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der Muskulatur ab, auch ein deutlicher Funktionsverlust der Flexibilität und Koordination setzt ein. Daher kann es in weitere Folge auch später noch zu Fehlstellungen kommen. Die Abnützung beschleunigt sich um ein Vielfaches.«

      »Das hätten die anderen Ärzte doch längst diagnostiziert.«

      »Wann war Ihre letzte Nachuntersuchung?«

      Willa hob ihre Hand und begann am Daumennagel zu knabbern. Zwei Termine hatte sie in Köln bereits verschoben. An den jeweiligen Tagen war sie lieber mit der Straßenbahn zum Stadtwald gefahren und hatte sich dort auf eine Bank gesetzt.

      »Die steht noch aus.«

      »Ich will Ihre Krankenakte anfordern. Dazu brauche ich Ihr Einverständnis. Dann könnten wir den zeitlichen Plan besprechen. Vor einer Entscheidung wird ohnehin noch ein MRT gemacht. Und, ich würde Sie bitten, sich hier in der Klinik einem Check-up zu unterziehen. Dr. Schmitz ist ein hervorragender Kollege. Ich würde eine Terminanfrage an ihn direkt nach unserem Gespräch weiterleiten. Wann müssen Sie zurück nach Köln?«

      »Morgen.«

      Eine glatte Lüge. Ihre Krankmeldung hatte Willa vor ihrer Abreise eingereicht, das Hotel war für eine Woche gebucht. Einen geheimen Urlaub sollte sie hier machen, weiter die Stadt, das Umland erkunden, und keine Sekunde mehr an Fehlstellungen und dergleichen denken.

      »Und wann ist es Ihnen möglich, wieder nach Saarbrücken zu kommen?«

      »Keine Ahnung. Bei meinem Beruf als Polizistin lassen sich schwer genaue Auszeiten fixieren.«

      Ira Steiner legte den Notizblock zur Seite. Sie rollte mit dem Drehstuhl ein Stück näher an Willa heran.

      »Noch mal: Wie häufig und wie stark sind Ihre Schmerzen?«

      Täglich, dachte Willa, sprach es aber nicht aus. Manchmal stündlich. Manchmal wache ich in der Nacht auf und habe das Gefühl, dass sich mein Körper gekrümmt hat und ich nie wieder gerade gehen kann.

      Schmerzmittel halfen nur kurz. Meist überhaupt nicht.

      Wieder war Willas Kehle trocken und sie stieß ein leises Husten aus. »Beim Schwimmen is’ es besser. Vor allem beim Rückenschwimmen.«

      »Zuerst Check-up und MRT, wenn Sie bereit sind.« Dr. Steiner erhob sich. Der Stuhl rollte ein kleines Stück von selbst nach hinten. » Ach, aber Ihre Antwort, Inspektorin Stark, beantwortet nicht meine Frage.«

      Wie eine Ermittlerin, dachte Willa wieder. Nachhaken und Tatsachen ansprechen.

      Nicole sah Oberschwester Edda Leistenberger und Dr. Ira Steiner seitlich auf dem Klinikflur stehen. Sie hatten die Köpfe nah beieinander und schienen zu flüstern.

      Sofort fragte Nikki sich, ob die beiden über sie redeten. Oder ob vielleicht eine von ihnen eine Mörderin war.

      Wie schnell sich solche Gedanken verselbstständigen konnten. In welcher Geschwindigkeit sich Ängste vergrößern konnten und einen zu überschwemmen drohten.

      Die letzten drei Wochen hatten sich zu den schlimmsten in Nicoles Leben entwickelt. Seit dem Tod von Ludwig Kritzel war nichts mehr wie zuvor.

      Noch nie hatte sie sich derart missverstanden und isoliert gefühlt.

      Obwohl sie schon oft in schwierigen, schmerzvollen Situationen gewesen war. In der Schulzeit war sie gemobbt worden, nach dem Tod des Vaters in ein dunkles Loch gefallen. Ihre gescheiterte kurze Ehe, ihr verlorener Traum von einer eigenen Familie. All das hatte sie durchgestanden, nur um jetzt in diese schreckliche Geschichte zu geraten.

      Nach ein paar freien Tagen, hatte sie gehofft, mit ein wenig mehr Entspanntheit ihren Dienst wieder aufzunehmen. In der Zeit zu Hause war ihr die Decke ohnehin bereits am zweiten Tag auf den Kopf gefallen. Außer vor dem Fernseher oder PC zu hocken und dabei zuviel zu essen, hatte sie kaum etwas unternommen. Was tun, wenn man ausschließlich die Arbeit hatte?

      Doch schon beim Anblick von Edda und Dr. Steiner bekam sie wieder Gänsehaut.

      »Nicole?«

      Hände. Immer und immer wieder ging ihr Blick zu den Händen. Kaum zurück im Dienst, war sie wieder auf Hautfarbe, Fingerform und Muttermale fixiert, die sie meinte wiederzuerkennen.

      »Ja, Frau Dr. Steiner?«

      Ira könnte es gewesen sein. Dr. Ira Steiner. Nein, nicht könnte, sie war es. Definitiv. Nikki wurde eben von einer Mörderin angesprochen.

      »Geht es Ihnen nicht gut, Schwester Nicole? Sie sehen so blass aus.«

      Nicole zwang sich zu einem Lächeln.

      »Die Hitze. Es ist schwül heute.«

      »Trinken Sie genug, Nicole?«

      »Das frage ich unsere Patienten auch immer.«

      »Du hattest doch Zeit dich zu erholen?« Edda Leistenberger zeigte nicht so viel Empathie wie Frau Dr. Steiner. »Wie war dein Urlaub?«

      »Toll. Ich war mit Freunden in Metz.«

      »Schön, Frau Seidl, freut mich.«

      Nicole überlegte sich blitzschnell drei Namen, die sie als ihre Freunde bezeichnen konnte, doch Edda fragte nicht nach. Sie nickte Dr. Steiner zu.

      »Ich muss weiter. Tschüss, Ira.«

      »Bis die Tage, Edda.«

      Ira Steiner winkte und schob sich anschließend eine Strähne ihres roten Haares hinters Ohr.

      Nicole beneidete die Frau. Ihr Teint war nicht so hell und sommersprossig wie der von Nikki. Dazu die sportliche Figur. Mit ihren über Fünfzig sah die Ärztin immer noch sehr attraktiv aus.

      Aber, wie Nicole gehört hatte, war sie seit kurzem von ihrem Mann getrennt, der sich eine Jüngere ausgesucht hatte. Höchstwahrscheinlich machte sie deshalb viel Sport, um sich vom Kummer abzulenken. Die roten Haare waren mit ziemlicher Sicherheit gefärbt.

      Von Mord zu schadenfrohen Gedanken. Nicole verstand sich oft selbst nicht. In ihrem Inneren stritten sich die Tratschtante, die Einsame und die großzügige Helferin um die Vorherrschaft. Seit der Geschichte um Ludwig Kritzel war noch die panische Nikki dazugekommen.

      »Was kann ich für Sie tun, Frau Dr. Steiner?«

      »Ich bin auf der Suche nach Dr. Schmitz. Wissen Sie zufällig, wo ich ihn finden könnte?«

      Wie immer fühlte sich Nicole sofort besser, wenn Bado Schmitz erwähnt wurde. »Soviel ich weiß, haben Dr. Schmitz und auch Dr. Stolz heute nach der Visite die Klinik verlassen. Wobei Dr. Schmitz mir gesagt hat, dass er spätestens in einer Stunde wieder vor Ort sein wird. Wegen Dr. Stolz könnten Sie Frau Stolz fragen. Seine erste OP ist auf 15.00 Uhr angesetzt.«

      »Danke, Nicole.«

      »Gern g’schehn und passt scho, wie man bei mir zu Hause sagen würde.«

      »Ihr Dialekt amüsiert mich immer wieder, Nicole.«

      »Ich bemühe mich meistens hochdeutsch zu sprechen. Hier wissen viele nicht, dass ich aus Österreich stamme.«

      »Aber die Sprachmelodie, die hört man. Sie kommen aus Wien, nicht?«

      »Graz, Frau Doktor, das ist in der Steiermark.«

      »Ach so. Übrigens hatte ich eben ein Gespräch mit jemandem aus Ihrer Heimatstadt.«

      »Echt?«

      »Eine Inspektorin.«

      Nicoles bessere Stimmung verschwand. Ihr Herz schlug schneller. Warum war eine Polizistin aus Graz hier? Waren die ermittelnden Beamten in ihrer Abwesenheit wiedergekommen?

      Dr. Steiner legte Nicole eine Hand auf den Oberarm. Nikki starrte darauf.

      Die Finger. Die Haut. Die Muttermale.

      »Nicole?«

      »Ist denn wieder Polizei bei uns in der Klinik?