Abb. 2.1: Hauptfokus von ABA und AVT (aus Bernard-Opitz & Nikopoulos, 2017).
Strukturierte Therapieprogramme haben ihre Wurzeln in verhaltenstherapeutischen Ansätzen, die in den 1960er-Jahren von Lovaas entwickelt wurden (Lovaas, 1968). Sie sind in Deutschland als klassische ABA-Methoden (Applied Behavior Analysis) bekannt. Durch kleine Therapieschritte, klare, wiederholte Anweisungen und unmittelbare Konsequenzen gelang es Lovaas, Grundfähigkeiten autistischer Kinder wie Imitation und Sprache auf- und Verhaltensprobleme abzubauen (Koegel et al., 1972). Längsschnittuntersuchungen zeigten allerdings, dass dieses sog. »Diskrete Lernformat« (DLF) bei vielen Kindern mit mangelnder Spontaneität und Generalisation einherging. Daher entwickelten Schüler Lovaas in den 1980er-Jahren das »Natürliche Lernformat« (NLF) (Laski et al., 1988) bei dem die Initiative des Kindes und die Generalisation des Gelernten im Mittelpunkt standen. Ende der 1980er-Jahre wurde auf beiden Methoden aufbauend das Training von Schlüsselverhaltensweisen (»Pivotal Response Training «, PRT) (Koegel & Koegel, 1988; Koegel, 1999) entwickelt. Hierbei ist die Förderung von wichtigen Verhaltensbausteinen wie Motivation oder Initiative des Kindes zentral. Es zeigte sich zum Beispiel, dass Kinder, die zwischen Aufgaben wählen können und deren kommunikative Ansätze verstärkt werden, motivierter beim Lernen sind.
Parallel zu obigen Ansätzen wurde von Lindsey seit den 1960er-Jahren das sog. »Präzisionslernen« entwickelt (Lindsey, 1964, 1972; Binder, 1996). Hierbei werden kleine Therapieschritte in kurzen Zeiteinheiten von 10 bis 30 Sekunden so lange geübt, bis sie automatisch ablaufen. Ein Kind, das beispielsweise nicht schnell genug lesen, schreiben und rechnen kann, wird mit komplexeren Aufgaben wie Problemlösen Schwierigkeiten haben. Hier muss zunächst sichergestellt werden, dass Lesefähigkeiten und Grundrechnen automatisch ablaufen und nicht das Verständnis der eigentlichen Aufgabe blockieren (Milyko, 2020).
Im Vergleich zu diesen lerntheoretischen Methoden, hat erfahrungs- und beziehungs-orientiertes Vorgehen eine lange Tradition. Es war zum Teil der einzige Ansatz, der in der Arbeit mit autistischen Kindern zur Verfügung stand. Hierbei wurde betont, dass Kinder Erfahrungen machen müssen und eine gute Beziehung nötig ist, um erfolgreich zu lernen. Aus dieser recht diffusen Ganzheitlichkeit heraus sind mittlerweile konkrete Programme mit klaren Therapiesequenzen entwickelt worden (Gutstein & Sheely, 2003). Besonders durch Untersuchungen im Bereich direkter Instruktion, deutlicher Strukturierung und emotionalem Lernen hat die Berücksichtigung von Erfahrung und Beziehung einen neuen Stellenwert erhalten (Twachtman-Cullen, 2004).
Etwa zeitgleich zu den Entwicklungen zum Diskreten Lernformat wurde von Schopler in North Carolina das TEACCH-Programm (Treatment and Education for Autistic and related Communication handicapped Children) aufgebaut, das mit »Behandlung und Erziehung von autistischen und kommunikationseingeschränkten Kindern« übersetzt werden kann (Schopler & Mesibov, 1994; Mesibov, Shea & Schopler, 2004). Zu den wesentlichen Merkmalen dieses Programms gehört »strukturiertes Lernen«, wobei klare Erwartungen und Ablaufpläne sowie die frühe Anleitung zur Selbständigkeit kennzeichnend sind. Bilder, Symbole und Wortkarten verdeutlichen die Lernsituation (Bernard-Opitz & Häußler, 2010).
Auch frühe Kommunikationsprogramme bauten auf den guten visuellen Fähigkeiten vieler Kinder mit ASS auf. So wurden Handzeichentrainingsprogramme (Bernard-Opitz, Blesch & Holz, 1988; Fachverband des Verlagswerks der Diakonie, 2004), das PECS (Picture Exchange Communication System) (Frost & Bondy, 2002) sowie bebilderte Handlungspläne (McClannahan & Krantz, 1999; Hodgdon, 2000) entwickelt. Kurze Zeit später wurde Videomodellierung als effektive Methode in der verhaltenstherapeutischen Arbeit bestätigt (Charlop-Christy & Daneshvar 2003).
Da in dieser Zeit zunehmend Kinder und Jugendliche mit hoch funktionalem Autismus bzw Asperger vorgestellt wurden, wandten Attwood und andere zunehmend kognitive verhaltenstherapeutische Methoden auf diese Gruppe an (Attwood, 2004). Hierbei werden Gedanken und Einstellungen bewusst gemacht und auf ihre Angemessenheit oder ihre mangelnde Logik überprüft (Baker, 2017).
Unabhängig vom beschriebenen »Strukturierten Lehrprogramm« nach dem TEACCH-Modell wurde 1988 von uns in Singapur das STEP-Programm (Structured Teaching for Exceptional Pupils) entwickelt, was »Strukturiertes Training von außergewöhnlichen Kindern« bedeutet (Bernard-Opitz, 1993). Dieses Programm begann mit sieben Kindern, wuchs jedoch sehr schnell auf über 100 Kinder mit ASS an. Es beinhaltete eine klare Strukturierung von Aufgaben und Abläufen, eine deutliche verhaltenstherapeutische Basis, aber auch erfahrungsorientierte, entwicklungsorientierte und motivationspsychologische Komponenten. Emotionales Lernen wie die Erfahrung von Überraschung, Freude oder leichtem Stress wurde systematisch in die Therapieprogramme einbezogen.
Im Rahmen einer zehnjährigen Koordination dieses Programms sowie mehrjähriger Klinikerfahrungen an der Universität Singapur, bei einem amerikanischen Privatanbieter für Autismustherapien sowie persönlichen Praxiserfahrungen, wurde aus dem STEP-Programm das STeP-Curriculum entwickelt, welches im Anwendungsteil auszugsweise vorgestellt wird. Hierbei werden Strukturiertes Training und erfahrungsorientierte Programme integriert.
2.3 Zusammenfassung
Im Vergleich zu ganzheitlichen Therapieansätzen haben Strukturierte Therapien eine empirische Basis und stehen in direktem Bezug zu den Problemen autistischer Kinder. Aus den Anfängen traditionellen diskreten Lernens hat sich eine Vielzahl von verhaltenstherapeutischen Methoden entwickelt. Um dieser Vielfalt zu entsprechen, ist der Begriff »Applied Behavior Analysis« (ABA) erweitert worden auf Methoden der »Autismusspezifischen Verhaltenstherapie« (AVT). Hierbei werden u. a. natürliche, erfahrungsorientierte Lernprogramme, visuelle Hilfen sowie kognitive Methoden beschrieben.
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