Man muss sich Zeit nehmen für diese materialsatte Dokumentation und Interpretation, umfassender und geistreicher wurde das Phänomen Monte Verità noch nie vorgestellt. „Die Brüste der Wahrheit“ ist oder sind Ausstellungskunst vom Besten.
♦ April-Okt. Mi-Sa 14-18 Uhr, So 10-13 und 14-18 Uhr. Eintritt 12 €.
Casa dei Russi (Russenhaus): Ein kleiner, luftiger Holz-Glas-Bau im dichten Wäldchen, der seinen Namen wohl den zahlreichen russischen Besuchern verdankt. Es ist das am besten erhaltene Exemplar der so genannten Licht-Luft-Bauten, architektonischer Ausdruck des Lebensgefühls in der einstigen Bohème-Kolonie auf dem „Berg der Wahrheit“.
Teehaus: Die einstige „Casa Loreley“ mutierte zu einem japanischen Teehaus mit Labor und Dokumentation über die Teeblätterverarbeitung. Man kann das als Hommage an die Gründer des Monte Verità und deren Gesundheitsphilosophie interpretieren. Die Teilnahme an der wöchentlichen, eineinhalbstündigen „Teezeremonie“ mit fachlicher Einführung in die japanische Teekultur ernüchtert dann mit happigen Eintrittspreisen. Gratis hingegen ist der Besuch des Teegartens mit seinem japanischen Pavillon, gleich neben dem Teehaus.
Casa Selma: Das „Haus der Vegetarier“ ist eine kleine Holzhütte mit zweieinhalb Räumen und Waschbecken demonstriert, wie bescheiden die ersten Siedler auf dem „Berg der Wahrheit“ lebten. Eine Mini-Diashow dokumentiert die vergangenen Zeiten.
♦ April-Okt. tägl. 9-19 Uhr. Eintritt frei.
Auf der Suche nach einer besseren Welt
So wurde ich zu den Rohköstlern gesteckt und mir eine „Lufthütte“ als Behausung zugewiesen. Von früh bis spät kaute ich nun Äpfel, Pflaumen, Bananen, Feigen, Wal-, Erd- und Kokosnüsse - es war schauderhaft, und ich fühlte meine Kräfte schwinden. [...] Da ging ich ins Dorf hinunter, setzte mich in eine solide Osteria, ließ mir ein Beefsteak geben, trank einen halben Liter Wein dazu und rauchte danach eine große, dicke Zigarre. Nie hat mir eine Mahlzeit so geschmeckt, nie mich eine so gekräftigt und dem Leben gewonnen.
So bilanzierte der deutsche Publizist und Anarchist Erich Mühsam seinen Aufenthalt auf dem „Berg der Wahrheit“, den er 1904 aufsuchte. Bei den Gründern der legendären Lebensgemeinschaft auf dem Asconeser Berg wurde gesunde Ernährung tatsächlich großgeschrieben. Henri Oedenkoven, Spross eines Großindustriellen aus Antwerpen, und Ida Hofmann, eine Münchener Pianistin, erwarben 1900 den Monte Monescia von Ascona, tauften ihn kurzentschlossen in „Monte Verità“ um und gründeten mit einer Handvoll Gleich- oder Ähnlichgesinnter eine „vegetabile Cooperative“. Das reformerische Projekt wurde schnell bekannt, und bald trafen Künstler und Intellektuelle oder einfach Individualisten, die ihre bürgerliche Existenz gegen eine libertäre Bohème eintauschen wollten, in Ascona ein, um mit Zurück-zur-Natur und anderen neuen Lebensformen zu experimentieren. Freikörperkultur und Ausdruckstanz standen hoch im Kurs, manche plädierten für sexuelle Freiheit, andere versanken in spirituellem Gedankengut, und gesundes Wohnen praktizierte man am besten in sogenannten Licht-Luft-Hütten. Weltverbesserer aller Schattierungen fanden sich auf dem Monte Verità ein. Die Idee von einem radikal anderen Leben war umso attraktiver, als Europa auf einen Krieg zusteuerte. Während man in Berlin die Kriegstrompete blies, lauschte die Bohème von Ascona den Klängen der Friedensschalmei.
Die Liste illustrer Zeitgenossen, die den Monte Verità für einen kürzeren oder längeren Aufenthalt aufsuchten, ist lang. Schriftsteller wie Gerhart Hauptmann, Klabund, Else Lasker-Schüler, Friedrich Glauser und allen voran Hermann Hesse, der das Leben auf dem Berg direkt in seine Erzählung „Demian“ einfließen ließ, waren Gäste, auch Maler wie Hans Arp, Sophie Täuber, Paul Klee und Marianne von Werefkin sowie Ausdruckstänzerinnen wie Isidora Duncan und Mary Wigman. Zu den Politikern zählten Lenin, Trotzki, Stresemann, Chamberlain und Konrad Adenauer, zu den Blaublütigen der belgische König Leopold. Der Psychoanalytiker C. G. Jung besuchte den Berg, der Soziologe Max Weber, der Philosoph Ernst Bloch ... alle im Zeitraum von 20 Jahren.
Das so viel Aufsehen erregende Projekt ging nach dem Ersten Weltkrieg zu Ende. Bereits 1917 - der oben zitierte Erich Mühsam hätte sich gefreut - wurde wieder Fleisch gegessen. Mit der wirtschaftlichen Rentabilität der Naturheilanstalt stand es nicht zum Besten, und schließlich verließ das Gründerpaar 1920 den Berg, um in Brasilien eine neue vegetarische Kolonie zu gründen.
Piscina: Im Schwimmbad, einst Juwel des Heydt’schen Hotelkomplexes, finden heute kulturelle Veranstaltungen statt - eine wunderbare Open-air-Bühne.
Elisarion „Chiaro nel Mondo dei Beati“: Seinen Namen verdankt der Bau Elisàr von Kupffer, einem deutschstämmigen Esten, dessen Wirken in die Zeit der ersten Siedler auf dem Monte Verità fiel. Er begründete den Klarismus, eine spirituelle Bewegung, die sich mit der Weltanschauung seines Zeitgenossen Rudolf Steiner vergleichen lässt. Daneben betätigte sich „Elisarion“, wie sich der umtriebige Mann nannte, auch als Dichter und Maler. In den 1920er Jahren zog er ins nahe Minusio, wo er für sein Rundgemälde „Chiaro nel Mondo dei Beati“ (Licht in der Welt der Seligen) ein eigenes Sanktuarium bauen ließ.
Der ruinöse Pavillon auf dem Monte Verità stammt aus dem Jahr 1987 und wurde eigens für eine Ausstellung von Elisarions Rundgemälde konzipiert. Ausstellungsmacher Harald Szeemann wollte damit die ideologische Verwandtschaft der utopistischen Kolonie mit dem Ideengut der Klaristen unterstreichen. Nach Jahren der Restaurierung soll das Elisarion 2020 wiedereröffnet werden.
Torre dell’Utopia: Wer der Beschilderung zum „Turm der Utopie“ folgt, findet am Ende des Wegs einen kleinen, aus grobem Stein gemauerten Rundturm, gekrönt von einem trafoähnlichen Häuschen mit Antenne. Bei der granitenen Wendeltreppe fehlen die untersten Stufen - kein Zutritt zu den utopischen Gefilden.
Losone
Das Dorf im Schatten Asconas wirkt auf den ersten Blick etwas zersiedelt: Losone ist gewachsen, und mittlerweile zählt man hier mehr Einwohner als im berühmten Nachbarort. Ein Dorfzentrum ist nicht auszumachen, weil Losone gleich drei Ortskerne besitzt.
Die drei Ortsteile San Lorenzo, San Rocco und San Giorgio (dieser mit einem kompakten Ortskern), jede mit eigener Pfarrkirche, sind längst zusammengewachsen.
Nicht zuletzt auch dazu beigetragen hat die touristische Entwicklung. Losone selbst ist zwar keine Destination des Fremdenverkehrs, aber der Quadratmeter ist hier billiger als in Ascona, man ist schnell in Locarno, im Hinterland lockt das Centovalli, und am Ortsrand findet man ein paar einladende Grotti.
Sehenswertes
Chiesa San Giorgio: Die Kirche des Ortsteils San Giorgio liegt am talseitigen Rand von Losone und zeigt eine rot-weiße Fassade. Im Inneren fällt erst der kühle Granitboden auf. Hinter dem Chor stößt man dann auf einen tiefer liegenden Chor mit noch gut erhaltenen Fresken. Es sind Relikte einer Vorgängerkirche, deren Fundamente man links des Altars unter den Glasplatten entdecken kann. Doch spiegelt das Glas dermaßen, dass man - wie der berühmte Narziss von Caravaggio - erst einmal sich selber sieht.
Chiesa San Rocco: Die kleine Kirche im Ortsteil San Rocco stammt aus dem 16. Jahrhundert, der dreibogige Portikus kam im 17. Jahrhundert dazu. Sie ist Rochus, dem Schutzheiligen gegen die Pest und andere Seuchen, gewidmet. Rochus soll in den Pestjahren 1576-1578 seine Hand