Deutsche Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen. Annerose Matz-Donath. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Annerose Matz-Donath
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783938176825
Скачать книгу
Natürlich hat der das gewußt. Aber die kriegten ihre Urteile doch immer fertig – gleich mit Begründung. Das war doch alles schon vorher fertig, haben sie mir jedenfalls von allen Seiten gesagt …“

      Der ganze Fall also nichts als eine Provokation, der Phantasie des NKWD entsprungen? Was der russische Historiker Michail Semirjaga inzwischen dazu veröffentlicht hat, legt eine solche Vermutung nahe. Semirjaga war seinerzeit Mitarbeiter der Sowjetischen Militär-Administration in Karlshorst. Über die Lage dort am Ende des Jahres 1945 hält er fest:

      „Es häuften sich Fälle von terroristischen Aktionen (…). So wurde es jedenfalls in einem der Rapporte der Führung der Inneren Truppen des NKWD in Deutschland behauptet.

       Derartige Ereignisse können in Einzelfällen durchaus vorgekommen sein. Aber sie stellten (…) keine ernsthafte Bedrohung dar. Jedenfalls haben weder ich noch meine Kollegen jemals von solchen Vorfällen gehört. Schon wenige Wochen nach Abschluß der Kampfhandlungen trugen wir keine persönlichen Waffen mehr und fühlten uns völlig sicher. (…)

       Aber die Erkenntnis, dass in der Besatzungszone eine im großen und ganzen entspannte Lage herrschte, entsprach nicht den Intentionen General Serows und seiner Untergebenen, die nach einiger Zeit wieder begannen, Alarm zu schlagen. So wurde im Dezember vermerkt, dass (…) ‚eine gravierende Aktivierung der anglo-amerikanischen Aufklärung vor sich ging’.“

      General I.A. Serow war als Stellvertreter des obersten NKWD-Chefs Berija in Moskau Chef des NKWD in Deutschland – in der Sowjetischen Besatzungszone. Ihm lag daran – auch das spricht Michail Semirjaga deutlich aus –

       „zu demonstrieren, wie wichtig und notwendig es sei, in der sowjetischen Zone über starke Kräfte des NKWD/ Innenministeriums zu verfügen.“

      Und so scheute der NKWD kein Mittel, Belege für seine Unentbehrlichkeit und für die Wirksamkeit seiner Tätigkeit beizubringen.

      Eine „erhöhte anglo-amerikanische Aufklärungstätigkeit“ also wollten diese Organe um die Jahreswende 1945/46 festgestellt haben. Um die gleiche Zeit, im April 1947, tauchten auch in der Presse der SBZ Schwindelmeldungen über „englische Freikorps“ auf – so seinerzeit im privaten Tagebuch eines Journalisten festgehalten. Kann man es danach noch als Zufall betrachten, dass die Hausfrau Irene beschuldigt wurde, mit den Engländern zu konspirieren?

      Am Vollzug der Todesstrafe, die der Vernehmer ihr bündig vorausgesagt hatte, kam sie – begnadigt – gerade noch vorbei. Aber wie viele zitternd-schlaflose Nächte bis zu der Gewißheit, sie dürfe weiterleben!

      Und so verlief die Gerichtsverhandlung:

       „Es kamen russische Offiziere. Der oberste von ihnen hatte so viele Orden auf der Brust, dass das Blech richtig klapperte. Und er hatte zwei scharfe Hunde neben sich … Ich sehe mich noch da stehen, wie er sagt: ‚Sie sind … im Freikorps, Sie haben 150 Russen …‘ – Ich dachte, die wollten mich veralbern, ich habe wirklich gedacht, die machen einen Witz! Und da sagte er, weil ich so lächelte und ihn anguckte, da sagt er: ‚Haben Sie das verstanden?‘ Ich sage ‚Nein, das habe ich gehört, aber verstehen kann ich das nicht. Es gibt kein Freikorps.‘ – Und ich wollte noch sagen: ‚Ich habe noch nie mit einem Russen gesprochen.‘ Aber dazu kam ich gar nicht. Der ging hoch! Wie ein Wilder! Und die Hunde, so ganz kurz an der Leine, die hatte ich vor der Brust! Diese gefletschten Zähne und diese Augen … !

       Da sagt er noch einmal: ‚Verstehen Sie es?‘ Und ich habe vor Angst gesagt: ‚Ja, ich verstehe.‘ – ‚Und unterschreiben Sie?‘ – ‚Ja, ich unterschreibe.‘ – Die Viecher hätten mich gefressen! Die waren ja auf Menschen dressiert!

       Scharfe Schäferhunde, ja. Die hatten alle Schäferhunde damals, und die liefen ja auch immer neben uns her. Ich weiß noch – zu Fuß durch die Stadt wurden wir getrieben, nach Bautzen auf dem Transport. Später, in Bautzen, da haben sie solche Hunde mal hinter einem Gefangenen hergeschickt. Er hatte einen Fluchtversuch gemacht, und sie brachten ihn fast stückweise wieder zurück. So was Grausiges hatte ich noch nie gesehen. Ich konnte erst gar nicht begreifen, was es mit diesem armen Blutfetzen da auf sich hatte, den sie auf einer Pritsche vorbeigeschleppt brachten. Da hat die Angst mich nachträglich noch einmal so richtig gepackt!“

      Dazu noch einmal Hanna Schumann, die ebenfalls verurteilt worden war – zu zehn Jahren:

      „Zehn Jahre – wie ich das getragen habe? Indem ich sagte, das ist ein erlogenes Urteil. Das trifft auch die anderen unverdient, also trage ich es mit.

       Ich bin ein Mensch, der sagt, man muß hinnehmen, was gegeben wird. Und wenn es zu unrecht geschehen ist, dann gibt das mir eine innere Ruhe, und ich sage: Ich kann schwören, ich bin kein Freikorps-Anhänger oder irgend etwas gewesen! Und dann ist bei mir ein Strich. Da hört es auf. Ich kann nicht hassen.“

      Zehn Jahre Zwangsarbeit waren seinerzeit die höchste zeitliche Strafe. Auch Todeskandidaten wie Irene Kunze erhielten diese zehn Jahre, wenn sie begnadigt wurden.

      Irenes Fall-Kameradin Hanna gehörte zu denen, die schon im Januar 1954 nach Hause gehen durften – anläßlich der ersten großen SMTer-Amnestie, die in Moskau erlassen worden war. Auch dazu gibt es wieder eine wahre, bezeugte Geschichte. Eine Haftkameradin, die alle kannten, Raisa Dittrich, spielt darin eine Rolle:

       „Manchmal war es unheimlich mit Raisa, was sie so sagte! Wir machten Rundgang im Hof, da sagt sie: ‚Seht Ihr da oben die Saatkrähen auf der Wetterfahne, oben auf dem Turm? Guckt mal, wo die hinzeigen! Eine sitzt so, eine sitzt nach dem Osten, eine nach dem Westen’. Sagt sie. ‚Nun wartet mal ab. Da tut sich was!’ Und es war nur wenige Tage später, wir waren in der Schneiderei, da holt sie uns ans Fenster und sagt: ‚Da drüben werden Sachen abgeladen. Frauenbekleidung’. Sagt sie. ‚Und nun kommen wir bald nach Hause!’

       Und wir kommen von der Schicht in den Saal zurück. Da sagt sie zu mir: ‚Hanna’, sagte sie zu mir, ‚laß die Schuhe gleich an. Die rufen dich heute noch.’ Ich sage: ‚Na schön, ich lasse die Schuhe noch an.’ Habe nachgegeben, um sie nicht zu reizen oder zum Widerspruch rauszufordern. Sie war ja oft ein bißchen exaltiert. Und es dauert nicht lange, da geht die Tür auf: ‚Strafgefangene Schumann, kommen Sie mit!’ Ich wurde nach vorne geholt, in die Verwaltung. Und da sagte der Kommandant: ‚Was würden Sie sagen, wenn Sie in wenigen Tagen entlassen würden?’ – Sage ich: ‚Ich lege keinen Wert drauf. Die letzten zwei Jahre von meinen zehn schaffe ich auch noch.’ Sagt er: ‚Da können wir aber nichts tun, das ist ein Gnadenerlaß aus der Sowjetunion.’ Da sage ich: ‚Na, dann muß ich ja gehen!“

      Die – scheinbare – Bereitwilligkeit, freiwillig und ohne Not noch zwei weitere Zuchthausjahre durchzumachen, ist erklärungsbedürftig. Mit solchen Schalmeientönen – „Was würden Sie sagen, wenn …“ – begann in der Regel die Anwerbung zu Spitzeldiensten. Hannas brüske Antwort sollte jedem solchen Angebot die Grundlage nehmen.

      Als Hanna Schumann dann aus der Verwaltung zurückkam:

      „Totenstille im ganzen Saale. Alle starrten mir schweigend entgegen. Als ich alles erzählt hatte, noch immer kein Laut! Weil die Raisa das vorausgesagt hatte. Sie hat viele Dinge uns gesagt, wo wir immer nicht glauben wollten. Aber dann geschah es doch.

       An dem Tag war ich die Einzige, die rausgeholt worden ist- wie Raisa vorhergesagt hatte.“

      Wenig später als Hanna Schumann wurde auch Irene Kunze entlassen. So hatte auch sie acht Jahre ihrer „Strafe“ verbüßt – zuerst im Zuchthaus Bautzen, dann im sowjetischen ‚Speziallager’ Sachsenhausen, dem alten nationalsozialistischen KZ. Seit 1945 standen beide Orte ja unter sowjetischem Regime. Als Irene 1950 mit allen anderen SMT-er auf deutschem Boden an die Volkspolizei der DDR übergeben wurde, folgten auch für sie weitere schwere Jahre in Hoheneck, der offiziellen ‚Sonderstrafanstalt’ für SMT-erinnen, in dem das gleiche besonders grausamen Regime im Schwange war, wie es in den politischen Männerzuchthäuser galt. Dort, in Hoheneck, war