Mörderklima. Stefan Schweizer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Schweizer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947612925
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wieder offen für etwas Neues sei, hatte er dazu geschrieben. Und nun saß sie wiederum zwei Tage später bei ihm zu Hause, in diesem Loch und von Trauer oder Reflexion konnte keine Rede sein. Im Gegenteil, der Typ schien viril wie ein Bock in der Brunftzeit zu sein. Sie hörte, wie der Korken geräuschvoll aus der Flasche ploppte. Dann kam der durchtrainierte Endzwanziger mit den strohblonden Haaren hinter dem billigen Bücherregal hervor, das ihn bis jetzt vor ihren Blicken verborgen hatte. Triumphierend hielt er eine Flasche roten Italiener – vermutlich von einem „Edel“-Discounter – in der einen und schmutzig wirkende Burgunderkelche in der anderen Hand. Sein Lächeln sollte wohl anziehend sein, wirkte aber widerlich. Einfach ekelhaft.

      „Damit wir uns entspannter unterhalten können“, sagte er mit einer unangenehm hoch klingenden Stimme, die seine durchaus männliche Erscheinung konterkarierte.

      Mit einem lauten Geräusch stellte er die Flasche und die Gläser auf einem sehr niedrigen, billig aussehenden Glastisch ab – ohne Untersetzer. Barbara wurde die Situation beinahe zu viel. Aber da hatte sie sich selbst hinein manövriert, und sie musste herausfinden, ob der Typ wirklich an dem Komplott beteiligt war.

      „So ein Zufall“, begann sie also das Gespräch, „dass wir uns gerade jetzt kennenlernen, wo unsere gemeinsame Bekannte Frieda nicht mehr unter uns weilt.“

      Geräuschvoll schenkte Markus die Kelche randvoll.

      „So wird’s deutlich entspannter“, sagte er mit einem schiefen Lächeln.

      Solch ein Widerling – Barbara wünschte sich weit weg, aber was musste, das musste.

      „Du hast Frieda gut gekannt?“, ließ sie nicht locker.

      „Eher pekuniär“, antwortete der Arsch, wobei ihr Frieda ganz andere Dinge erzählt hatte.

      Markus hob die Weinkelche und reichte ihr einen. Unter Mühen lächelte sie und stieß vorsichtig mit ihm an, damit nichts überschwappte.

      „Auf uns!“, sagte er. „Lassen wir doch die Vergangenheit ruhen. Ich bin so froh, dass ich dich sofort danach kennengelernt habe.“

      Der halbtrocken-samtige Rotwein blieb ihr beinahe sprichwörtlich im Halse stecken. Aber von solchen Äußerlichkeiten durfte sie sich nicht irritieren lassen – letztlich zählte das große Ziel. Markus setzte sich direkt neben sie – es hätte nicht einmal eine Sonntagszeitung zwischen sie gepasst. Er pumpte seinen in einem grünen Muscle-Shirt steckenden Oberkörper auf. Der verbrachte sicherlich mehr Zeit in der Mucki-Bude, als mit dem Verfassen seiner Dissertation.

      „Frieda war bestimmt auch von deinem Oberkörper hellauf begeistert“, warf sie den Köder aus und ergänzte stillschweigend, die alte Schlampe.

      Ein breites Lächeln zeichnete sich auf Markus` Gesicht ab. Er würgte schnell einen großen Schluck von dem sagenhaft schlechten Roten runter.

      „Sie war hingerissen!“

      Das meinte der doch nicht im Ernst. Sie bemerkte, wie sein rechter, muskulöser Arm sich ganz knapp hinter ihrem Oberkörper auf das braun-graue Sofa legte, das er bestimmt beim Sperrmüll in einer der besseren Stuttgarter Gegenden gefunden hatte.

      „Das glaube ich“, zirpte Barbara und hoffte, dass ihr schauspielerisches Talent ausreichte. „Und ihr habt euch also über das Projekt ClimateSave kennengelernt?“

      Das war wohl nicht der Gang der Dinge, den Markus sich erhofft hatte. Aber seine Lebenserfahrung sagte ihm wohl, dass es gewisse Damen gab, die zuerst ein wenig zu plaudern wünschten, bevor sie zur Sache kamen.

      „Jein“, antwortete er. „Ich habe mit ClimateSave eigentlich gar nichts zu tun. Das ist nicht meine Baustelle. Meyer hat mich lediglich dazu verdonnert, Friedas Forschungsberichte und so weiter einmal ‚vorzulesen‘. Hahaha, du weißt ja, die Herren Professoren machen sich ungern die Hände schmutzig.“

      Ganz ohne schauspielerisches Zutun starrte Barbara Markus fragend in dessen blaue Augen und nahm vor lauter Erstaunen noch etwas vom Roten, wobei sie sich prompt verschluckte und dabei ein wenig verschüttete.

      „Macht nix!“, lachte Markus und hieb ihr wie ein Orang-Utan auf den Rücken. „Auf dem Sofa und auf dem Teppich hat es noch allerlei mehr Spuren.“

      Das dreckige Lachen sollte vermitteln, was man sich alles darunter vorstellen könnte.

      „Aber ich würde gerne den Wein von meiner Kleidung abwischen“, meinte Barbara, die sich nun nichts sehnlicher wünschte, als etwas mehr körperliche Distanz zu dem biochemisch determinierten, menschlich fragwürdigen Typen zu gewinnen.

      Markus sprang wie von der Tarantel gestochen auf und murmelte etwas von „Sofort“, wobei er wieder hinter der aus dem Billigsegment eines schwedischen Möbelhauses stammenden Bücherwand verschwand.

      „Dann hast du nie mit Frieda die Daten empirisch überprüft und nachgerechnet?“

      Ein eindeutiges „Nein!“ erfolgte stehenden Fußes, während durch die Geräuschkulisse offensichtlich war, dass Markus verzweifelt nach Taschentüchern suchte. Vielleicht hatte er ja alle beim Surfen im Internet aufgebraucht und nicht rechtzeitig für Nachschub gesorgt.

      „Und auch nie Einblick in die Datenbank erhalten, die bei unserem Institut in Bremerhaven als Koordinierungsstelle des ClimateSave-Projekts alle projektrelevanten Daten erfasst und verwaltet?“

      Der große, lockige Kopf mit dem Römerprofil schaute hinter der Bücherwand hervor, wobei der Körper weiter dahinter versteckt blieb.

      „Hey, soll das hier ein Fach-Meeting werden? Ich hatte mir das anders vorgestellt.“

      Sein Lachen sollte erneut keinen Zweifel daran lassen, was er sich genau vorgestellt hatte.

      „Ach, was! Reines Interesse. Passiert ja schließlich nicht so häufig, dass man jemanden näher kennenlernen möchte, mit dem man beruflich verbandelt ist“, versuchte Barbara mit größtmöglicher Lockerheit zu sagen und dabei gleichzeitig ein wenig anzüglich zu klingen.

      Auf Markus` Gesicht prangten Fragezeichen. Den Teil mit dem Vermischen von beruflichen und privaten Aspekten sah er eindeutig anders. Dann war plötzlich wieder sein ganzer Astral-Körper zu sehen, und er bewegte sich mit einer besorgniserregenden Geschwindigkeit auf Barbara zu, sodass diese einen sofortigen Übergriff befürchtete und sich schnell auf ihren Rotwein stürzte und noch mehr von dem furchtbaren Gebräu hinunterstürzte. Hoffentlich hatte der Kerl ihr keine K.O.-Tropfen oder etwas Ähnliches in das Getränk getan, um sie gefügig zu machen. Aber schnell verwarf sie den Gedanken, da dieser Typ von Mann so dermaßen von sich überzeugt war, dass er eine solche „Zwangsmaßnahme“ nie in Erwägung ziehen würde. Als er wieder neben ihr saß – dieses Mal passte nicht einmal mehr das Werbeblättchen eines Pizza-Services zwischen sie –, legte er vertrauensvoll eine Hand auf ihren Oberschenkel. Unter Mühen zog sie das Bein nicht weg, obwohl ihr die körperliche Nähe starkes Unwohlsein bescherte.

      „Bevor wir jetzt zum angenehmen Teil kommen“, begann er, wobei er versuchte, seine Stimme besonders tief klingen zu lassen und dabei sowohl die gestählte Brust als auch den Bizeps vorteilhaft zur Geltung zu bringen, „möchte ich dir das Ganze kurz erklären. Frieda und ich waren gute Kollegen. Und das Einzige, was uns beruflich verband, war, dass wir bei Meyer an demselben Institut arbeiteten. Und mit ClimateSave habe ich nichts zu tun. Ich musste für Meyer nur die Drecksarbeit erledigen und die Berichte vorab lesen und ihm diese dann mit Anmerkungen versehen, weiterleiten. Da ich ein pragmatisch denkender Mensch bin, haben sich meine Anmerkungen in Grenzen gehalten. Erstens denke ich, dass Frieda eine gute Wissenschaftlerin ist, äh war, und zweitens bin ich der Meinung, dass sich unser Obermufti doch selber Gedanken über das ganze Gedöns machen soll, zumal er es ja selbst auch noch liest. Die Schnittmengen mit eurem Projekt liegen eher bei Hans-Peter, ein Post-Doc, der sehr stark in die empirische Überprüfung der bei euch gesammelten Daten und Dokumente involviert war. Im Übrigen hatte ich keinen Zugang zu eurer Datenbank. Das war ein großes Staatsgeheimnis. Die Passwörter waren nur Meyer, Frieda und Hans-Peter bekannt.“

      Auf einen Schlag wummerte Barbaras Herz wie wild. Sie spürte es bis zum Hals hinauf schlagen.