Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Torsten W. Burisch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960742906
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ins Ohr: „Wir hätten sie zum Beweis, dass wir es ernst meinen, auch einfach schreien lassen können. Doch leider bekommt die Kleine ja keinen einzigen Ton zustande.“

      Er öffnete seine Hand und Dantra wurde augenblicklich übel, als sein Blick auf einen blutigen, abgetrennten Finger fiel. Der Finger seiner Schwester! Diejenige, die ihm geraten hatte, auf E’Cellbra zu hören. Die ihn gedrängt hatte, den Weg zu verlassen und im Schutze des Waldes zu reisen. Sie, die schon so viel Angst in sich hatte, noch bevor sie überhaupt in Gefahr geraten waren. Und nun stand sie da, ihren Peinigern schutzlos ausgeliefert. Blutend und zu allem Überfluss auch noch unfähig, wenigstens um einen schnellen Tod zu flehen. Und all das nur wegen seines verdammten Hochmutes. Seines unbesiegbaren Dickkopfs. Seiner unendlichen Dummheit.

      Dantra riss, soweit ihm das möglich war, an seinen Fesseln. An den Stellen, wo der borstige, harte Strick nicht auf dem Stoff seiner Kleidung lag, wetzte er sich die Haut vom Fleisch. Doch die Schmerzen bemerkte er gar nicht. Er war blind vor Wut. Der Hass gegenüber seinen Folterern ließ ihn fast wahnsinnig werden. Doch am meisten hasste er sich selbst. Sein törichtes Verhalten, seine Schuld, Tami in diese grausame Lage gebracht zu haben.

      Das erneute grölende Lachen ließ seinen letzten Funken Verstand wider Erwarten nicht erlöschen. Ihm war klar, ließe er seinem Zorn freien Lauf, würde das hämische Gebrüll zwar schnell ersticken, doch das stumme Schreien seiner Schwester, wenn man ihr einen weiteren Finger abschnitt oder gar die ganze Hand abhackte, würde ihm unheilbar die Seele zerreißen. Während die Männer vor ihm ihre Köpfe zusammensteckten und über irgendetwas zu diskutieren schienen, überlegte Dantra fieberhaft, wie er sich und vor allem Tami vielleicht doch noch retten konnte. Ideenlos schaute er sich um, als hoffte er, jemanden oder etwas zu sehen, das ihm dabei helfen konnte.

      Erst in diesem Augenblick nahm er die Umgebung bewusst wahr. Um ihn herum waren noch weitere ausgewachsene Bäume auf derselben Höhe abgeschlagen worden wie der, an den er gefesselt war. Vor den meisten war ein Erdloch ausgehoben und in einigen der Stämme steckten Pfeile, zum Teil ganz, zum Teil abgebrochen. Schaudernd erkannte Dantra, dass an ausnahmslos allen Stämmen Blut klebte. Einerseits altes, verkrustetes, aber andererseits auch frisches Blut, das noch in der Sonne glänzte. Er senkte seinen Kopf, soweit der Strick um seinen Hals es zuließ, und musste mit Entsetzen feststellen, dass auch vor seinen eigenen Füßen ein Loch in den braunen Lehmboden gegraben worden war. Es war gerade so groß, dass ein ausgewachsener Mann darin liegen konnte. Diesen Vergleich konnte Dantra mit absoluter Sicherheit aufstellen, denn der Grund für den übel riechenden Verwesungsgestank lag in Form eines Männerleichnams direkt vor ihm. Pfeilspitzen ragten aus seinem Rücken, seinen Beinen und seinem Hals. Vermutlich hatten sie sich durch ihn durchgerammt, als er in das Grab geworfen wurde. Und auch wenn Dantra wohl bewusst war, dass er selbst lange tot wäre, bevor sie ihn ebenfalls dort hineinwerfen würden, so bereiteten ihm die bedrohlich hoch stehenden Eisenspitzen dennoch eine höllische Angst.

      Das Tuscheln der Gruppe ebbte ab, und die Räuber wandten sich wieder ihm zu. Einer der Männer löste sich etwas von den anderen. Er trug einen Bogen mit sich, der Dantra vom Kopf bis zu den Knien reichen würde, und der Köcher auf seinem Rücken war bis zum Bersten gefüllt. Er sah etwas gepflegter aus als seine Kameraden und auch seine Bewegungen schienen flüssiger und einen Hauch eleganter. Doch seine Augen waren, soweit Dantra das auf die Entfernung erkennen konnte, ausdruckslos und leer. Der Mann wirkte auf ihn, als hätte er wegen seiner folgenden Handlung, was immer diese auch sein würde, keinerlei Skrupel. Er zog einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn behutsam auf die Sehne, spannte diese und zielte auf ihn. Dann verharrte er in dieser Stellung wie eine Statue. Dantra spürte eine leichte Brise des eisigen Culterwindes an seiner Wange. In dem Moment, als sie erstarb, verließ der Pfeil den Bogen. Den Atem anhaltend schloss er seine Augen. Was sollte er auch anderes machen? Setzte er seine Kraft ein, um die Richtung des Pfeils zu verändern, würden sie es sicher bemerken. Die drohenden Folgen dafür ließen keine Argumentation zu, es dennoch zu versuchen. Und so verschwendete er auch keinen weiteren Gedanken daran, Tami noch mehr leiden zu lassen, nur um sein eigenes jämmerliches Leben kurzzeitig zu verlängern.

      Es kam ihm unendlich lange vor, bis der Pfeil mit einem Geräusch, als hätte man den tiefsten Ton einer Kirchenorgel angeschlagen, im Holz zum Stillstand kam. Noch während er auf den unerträglichen Schmerz wartete, nahm er schon wieder das Gegröle der Männer vor sich wahr. Er sah, soweit es ihm möglich war, an sich hinunter, nach einer blutenden Wunde Ausschau haltend. Dabei fiel ihm auf, dass der Pfeil zwischen seinen Beinen, auf Höhe seiner Knöchel, die Fesseln durchtrennt hatte. Allerdings konnte er zu seinem großen Bedauern nicht feststellen, dass sich dadurch die übrigen Stricke gelockert hätten. Jede Schlaufe, die seinen Körper unerbittlich an den Baumstumpf kettete, schien ein eigenes Seil zu sein.

      Dantras Blick fiel noch einmal auf die anderen Stämme um ihn herum. Dabei erkannte er, was sie alle gemeinsam hatten. Die Pfeile, die noch in ihnen steckten, hatten sich in regelmäßigen Abständen ins Holz gebohrt. Wobei die unteren fast alle noch ganz waren und die, die ab Bauchhöhe im Stamm steckten, abgebrochen oder ganz herausgerissen waren. Dantra wurde nun klar, dass seine Entführer ihn nicht nur einfach umbringen wollten, sondern ein Zielschießen auf ihn veranstalteten, um ihn damit zu quälen. Und er wusste jetzt auch, um was es ging, wenn sie ihre Köpfe zusammensteckten, so wie sie es gerade wieder taten. Sie wetteten darauf, ob der Bogenschütze das vereinbarte Ziel treffen würde oder nicht. Und so wie sich die Situation für Dantra darstellte, würde er am Ende des Wettbewerbs mit seinem Leben bezahlen. Er würde es nicht einmal mehr mitbekommen, wenn der letzte Strick durchtrennt wäre. Denn das war zweifellos derjenige, den er um seinen Hals trug. Bevor dieser an der Reihe wäre, hätte er bereits vier Pfeile in seinem Oberkörper. Natürlich vorausgesetzt, der Schütze träfe alle Stricke beim ersten Versuch.

      Noch bevor der zweite Pfeil auf die Sehne gesetzt wurde, brach die Wut über diese Herabwürdigung eines Menschenlebens, das in diesem Fall zufällig sein eigenes war, aus ihm heraus. „Ihr verfluchten Kreaturen veranstaltet ein Wettschießen auf einen lebenden Menschen? Wie krank muss man sein, dass einem so etwas Spaß macht?“ Das Tuscheln ebbte ab und die Gestalten sahen ihren Gefangenen ohne erkennbare Regung stumm an. Doch die trügerische Stille war nicht von langer Dauer. Der Anführer brach als Erster in Gelächter aus. Die anderen ließen nicht lange auf sich warten und stimmten sogleich mit ein.

      Dantra keifte erneut los: „Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt, wenn man so dumm ist, dass man nicht erkennt, wie menschenverachtend das eigene Handeln ist. Eure Gewissenlosigkeit widert mich an.“ Anstatt die Banditen mit seiner Aussage zum Schweigen zu bringen oder gar zum Überdenken ihrer Taten, erreichte Dantra nur, dass das Gelächter noch lauter und schäbiger wurde.

      Nachdem auch der Letzte sich wieder beruhigt hatte, antwortete der Anführer immer noch mit einem breiten Grinsen im Gesicht: „Mein Kompliment! Nur die wenigsten kapieren schon nach dem ersten Pfeil, worum es geht. Die meisten brauchen ihr ganzes restliches Leben, um es zu verstehen. Was aber auch nicht so viel länger ist, als du jetzt gebraucht hast.“ Erneut kringelten sich die sonst so furchterregend wirkenden Männer wie kleine Kinder. „Aber um auf deine Frage zurückzukommen“, fuhr der Mann halb lachend fort, „von wegen Wettschießen auf einen lebenden Menschen. Zielten wir auf Tote, würde uns das um die Zusatzwette bringen.“ Er sah Dantra erwartungsvoll an. Doch der tat ihm den Gefallen nicht. Er fragte nicht nach, was das für eine Zusatzwette war, von der er da redete. Denn die Antwort, auch wenn er sie nicht kannte, wäre ohnehin nur ein weiterer Anlass, sich über ihn lustig zu machen. Der Anführer jedoch setzte unbeirrt nach: „Willst du nicht wissen, wovon ich rede?“

      „Nein, will ich nicht!“, schrie Dantra mit so viel Verachtung in der Stimme, wie er nur aufbringen konnte.

      „Gut“, antwortete der Anführer ruhig, „ich sage es dir aber trotzdem. Wir wetten darauf, ab welchem Pfeil du dir in die Hosen pisst.“ Das Gegröle und Gelächter schallte nun noch lauter und dreckiger durch den Wald als bisher.

      Dantra hatte Mühe, seine Magie nicht in einem unkontrollierten Ausbruch freizusetzen. Seiner Zunge jedoch ließ er freien Lauf. „Ihr verdammten Bastarde, ihr stinkenden Sumpfschweine, ihr seid es nicht wert zu leben! Ihr verschmutzt den Wald allein durch eure Anwesenheit! Soll euch der Blitz erschlagen! Jeden Einzelnen von euch!“