Die Versprengten. F. John-Ferrer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: F. John-Ferrer
Издательство: Bookwire
Серия: Zeitzeugen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783475544910
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      Drechsler hat den Hörer auf den Apparat fallen lassen und sich schnell an die Bunkerwand gedrückt. Leutnant von Zinnenberg, der gerade dabei war, sich ein Paar neue Socken anzuziehen, liegt platt auf dem Betonboden.

      Als die Detonation vorbei ist, bleibt es für Sekunden still, und aus dieser beklemmenden Stille heraus ertönt Drechslers bebende Stimme:

      „Wir müssen mit dem Auftauchen des Feindes in der nächsten Stunde rechnen, meine Herren.“

      „Und was ist mit der Artillerieunterstützung, Herr Oberleutnant?“, fragt der Leutnant.

      „VB sind bereits zu uns unterwegs.“

      „Na wunderbar“, murmelt von Zinnenberg und setzt sich wieder auf die Munitionskiste, um den zweiten Socken anzuziehen.

      „Stellen Sie eine Verbindung mit Sonnblick her, Schmidt“, sagt Drechsler zu dem jungen Nachrichtenmann.

      Sepp Lechner und acht Mann seines Zuges befinden sich im Bunker Sonnblick. Drei schussbereite MG 42 stehen auf den MG-Tischen. Die Munition liegt griffbereit.

      Im Augenblick schlafen die acht Mann. In die dünnen Decken gewickelt liegen sie am nackten Boden und ruhen von der Schinderei der vergangenen Nacht aus. Das Krachen der Einschläge stört sie nicht.

      Sepp Lechner hockt, mit dem Rücken an die kalte Bunkerwand gelehnt, vor einem kleinen Benzinofen, der vergebens etwas Wärme auszuhauchen versucht.

      Als das Telefon rasselt, fahren ein paar der Schläfer aus den Decken hoch.

      „Was ’n los?“, fragt jemand.

      Lechner nimmt den Hörer vom Apparat und meldet sich. Der Chef spricht.

      Sepp nickt ein paar Mal, murmelt zwischendurch „jawohl“ und legt dann wieder auf.

      „Alarm, Herr Feldwebel?“, fragt einer der Pioniere.

      „Ja, meine Herren. Raus aus den Decken, ran an die Spritzen. Der böse Feind naht!“

      „Det Jeschäft is richtig“, lässt sich der Berliner vernehmen. „Dann man auf, Sportfreunde! Jetzt müss’n ma unsern Wehrsold abarbeiten.“

      Ein paar Lacher werden laut, dann begibt sich jeder auf seinen Posten.

      Im Bunker Berta ist ebenfalls alles an den Waffen. Unteroffizier Kurt Lehmann geht noch einmal hinaus und schaut nach, ob die Kameraden von der Pak gefechtsbereit sind.

      Emmes und Willi haben den linken MG-Tisch besetzt. Durch die breite Schießscharte kann man das Gelände in einem begrenzten Ausschnitt übersehen.

      Alfons Brandl, der MG-Schütze Nr. 2, klirrt mit den MG-Gurten. Emmes probiert die Gleitfähigkeit des Schlosses und legt dann den ersten Munitionsgurt ein.

      Am linken MG-Tisch wird ebenfalls an der Waffe herumgemurkst.

      Schweigen herrscht.

      Draußen wummern die Einschläge. Mal nah, mal weiter weg steigen die Explosionspilze auf und beschmutzen den Schnee mit hässlichen, dunklen Flecken.

      „Wenn sie kommen, dann schicken sie erst Panzer vor“, sagt Willi.

      Die Worte zerreißen das Schweigen, klingen hohl wie in einer Gruft.

      „Wir haben ja Pak da“, antwortet Emmes und schaut probeweise über die Zieleinrichtung des Maschinengewehres, schwenkt es hin und her, setzt es wieder ab und wendet sich an Willi: „Rück’ a Zigarettl raus, Spezi.“

      Willi sucht in den Manteltaschen nach der Packung und verteilt zwei Stäbchen. Emmes gibt das Feuer dazu.

      Als Willi seine Zigarette anbrennt, sieht er, dass Emmes’ Hand zittert.

      „Bammel?“, fragt er grinsend.

      „Net direkt“, murmelt Emmes, „nur ums Krawattl ist mir ’n bissl eng.“

      Auch Brandl raucht an und stößt den Rauch zischend durch die Zähne.

      „Das wird ’n ganz schönen Rabatz geben“, sagt er. „Bin neugierig, wann er losgeht.“

      „Wir können’s erwarten“, sagt Emmes.

      Drüben, am zweiten MG-Tisch, unterhält man sich halblaut über Warschau.

      „’s ist nimmer so kalt wie heut früh“, sagt Emmes. Er redet nur, um etwas zu reden und sich von dem abzulenken, was man alle Augenblicke erwartet.

      „Vielleicht kriegen wir wieder Schnee“, sagt Willi und späht durch die Schießscharte.

      Das Gelände ist leer. Die Sonne ist verschwunden, der Himmel ist grau. Weit drüben steht der verschneite Wald.

      „Ja“, murmelt Willi, „ich riech’s direkt, dass es Schnee gibt.“

      „Das wär mies“, sagt Emmes, „dann sehn wir nix, und der Russ’ hat’s leicht mit dem Rankommen.“

      „Der kommt auch so ran“, sagt Brandl, an der Zigarette saugend. „Oder denkt ihr, dass wir ihn aufhalten und bis Moskau zurückjagen können?“

      „Der Traum ist wohl aus“, erwidert Emmes und geht in die Bunkerecke, kramt im Tornister und holt eine kleine, bauchige Flasche hervor.

      „Mensch! Du hast noch was?“, schmunzelt Willi. „Du bist ja wie eine Eichkatz, die hat auch immer was versteckt.“

      „Mein letztes Flascherl“, sagt Emmes traurig und schraubt den kleinen Aluminiumbecher ab. „Danziger Goldwasser“ – aus der Steiermark. „Trinken wir’s aus, denn wer weiß, ob wir noch dazu kommen. – Prost, Muatterl!“, murmelt er und trinkt einen kleinen Schluck.

      Willi und Brandl bekommen auch einen Schluck ab.

      „Mensch – nu guckt mal!“, ruft einer vom 2. MG herüber, „die saufen Schnaps! – Los, her mit dem Zeug … her damit!“

      Das kleine Fläschchen Danziger Goldwasser von Mutter Sailer macht die Runde und ist schnell leer. Mit dem süßen Geschmack des Getränkes auf der Zunge lässt es sich besser reden.

      „’n paar Witze!“, ruft jemand. „Los, wer weiß ’n Witz?“

      Als Unteroffizier Lehmann hereinkommt, werden Witze erzählt.

      „Warum kann ’n Schwein nicht Rad fahr’n, Kameraden?“

      „Wie doof! – Weil’s ’n Schwein ist, Knallkopp!“

      „Nee – weil’s keinen Daumen hat zum Klingeln!“

      „Hahahaaaa …“

      Aus dem Bunker Berta ertönt Gelächter.

      Dann wird gesungen. „Es ist so schön Soldat zu sein, Roosemarie …“

      Der Wald drüben entlässt noch immer nicht den Feind. Die schmale Straße bleibt leer.

      „Ein Heller und ein Batzen, die waren beide mein …“, singen sie jetzt.

      Der Uhrzeiger macht seine Runden, ohne dass etwas geschieht. Nur das feindliche Artilleriefeuer orgelt weiter.

      Huuiiiii … wumm … rrrreng …

      „Drei Lilien, drei Lilien, die pflanzt ich auf sein …“

      „Aus! So’n Trauermarsch wird jetzt nicht gesungen! Was anderes!“

      „Dann ,Heimat deine Sterne‘!“

      „Ooooch traurig.“

      „Ich weiß eins! – ,Kennen Sie Lamberts Nachtlokal, dort ist’s wirklich kolossal …‘“

      Emmes hat seine Mundharmonika hervorgeholt und spielt darauf. Er spielt gut. Sein Zungenschlag ist virtuos.

      Im Bunker Berta singt man auch noch, als es dunkel wird und leiser Schneefall einsetzt. Die Essenholer gehen davon und kommen lachend wieder.

      „Menschenskinder