Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Susanne Pavlovic
Издательство: Bookwire
Серия: Feuerjäger
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958691506
Скачать книгу
draußen höher stieg.

      Ihr Vater klopfte kurz und trat gleich darauf ein, ohne auf ihr »Herein«, zu warten. Sie wurde aus ihrem angenehmen Halbschlaf befördert, und ein Anflug von Missstimmung befiel sie.

      »Papa«, sagte sie, »ich bin erwachsen. Du kannst nicht mehr einfach so hereinplatzen, wann immer es dir gefällt.«

      »Weißt du, wie spät es ist?«, fragte er, ohne auf ihren Vorwurf einzugehen.

      »Nein«, sagte sie, streckte sich und gähnte ausgiebig. »Irgendwann vormittags, nehme ich an.«

      »Es ist Mittag«, korrigierte er sie. »Die Desilver wollen abreisen. Sie warten darauf, sich von dir zu verabschieden, doch mein Töchterlein räkelt sich noch zwischen den Decken!«

      »Ich komme gleich«, sagte sie träge.

      Er stand an ihrem Bett und sah zu ihr hinunter.

      »Weißt du, wir sind ja alle einiges gewöhnt von dir, aber in letzter Zeit sprengen deine Launen jeden Rahmen.«

      »Ich wusste nicht, dass die Desilver schon abreisen wollen! Hätte jemand mir das mitgeteilt, wäre ich früher aufgestanden.«

      »Das ist nicht die erste Verletzung deiner Pflichten, seit du von dem Troll zurück bist. Ich weiß nicht, wie oft ich dich in letzter Zeit entschuldigen musste. So geht das nicht weiter! Du hast offenbar vergessen, welche Position du hier zu erfüllen hast.«

      »Wohl kaum«, fauchte sie. »Du erinnerst mich ja täglich hundertmal daran!«

      »Weil es nötig ist«, erklärte er. »Wenn ich dich nicht regelmäßig ermahnen würde, würde man dich wahrscheinlich nur noch draußen bei den Pferden sehen.« Er setzte sich auf die Bettkante und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie starrte auf das verschlungene Muster des Wandteppichs. Seine Stimme war weich, als er weitersprach.

      »Ich mache mir Sorgen«, sagte er. »Du siehst unglücklich aus. Ist etwas zwischen dir und Arik nicht in Ordnung?«

      »Nein«, sagte sie kurz. »Alles ist gut.«

      »Trotzdem hast du dich gestern Abend mit ihm gestritten.«

      Sie schlug mit der Faust gegen den Wandteppich. »Warum fragst du, wenn du die Antwort schon kennst?«

      »Es ist nicht die Antwort«, korrigierte er. »Du siehst nicht erst heute Morgen unglücklich aus. Dieser Streit kann nicht der Auslöser sein.«

      »Woher weißt du eigentlich davon?«

      »Ich traf ihn vorhin. Er bot ein Bild des Jammers. Ich erkundigte mich, und er schüttete mir sein Herz aus.«

      »Großartig! Mein Verlobter zieht meinen Vater auf seine Seite.«

      »Das hat er nicht«, widersprach Van Ranessa, und sie hörte, wie seine Geduld allmählich schwand. »Ich denke nur durchaus, dass mich die Sache etwas angeht.«

      »Das tut sie nicht! Mein Liebesleben ist meine Privatsache!«

      »Dein Liebesleben ist meine Politik«, erinnerte er sie scharf. »Und es geht mich etwas an, wenn Arik befürchtet, du hättest dein Herz an einen Mann aus den Ebenen verschenkt.«

      Ein heißer Strahl der Angst schoss durch ihr Inneres.

      »So ein Blödsinn.«

      »Und nicht nur dein Herz, möglicherweise?«

      »Blödsinn! Warum denkt ihr Kerle immer, wir Frauen hätten uns nicht im Griff, nur weil auf der anderen Seite des Lagerfeuers einer von euch schnarcht? Haltet ihr euch für so unwiderstehlich?«

      »Dein Umgangston, Tochter!«

      »Mein Leben ist voll von Männern, die alles Mögliche mit mir tun würden, wenn ich sie ließe! Deshalb tun sie’s aber noch lange nicht! Weil ich das entscheide!«

      Van Ranessa erhob sich.

      »Ich habe keine Zeit für sinnlose Streitereien. Zieh dich an und komm nach. Beeil dich, die Desilver warten. Und zu Arik bist du gefälligst freundlich. Ich will nicht, dass Gerüchte die Runde machen.«

      Lianna schwieg. Das Muster des Wandteppichs verschob sich vor ihren Augen zu einem Geflecht von Ranken, die nach ihr griffen, sie mit Liebe erdrosselten, mit Fürsorge erstickten, ihr Zukunftspläne um den Hals hängten, die sie in eine dunkle Tiefe zogen.

      Die Tür klappte. Van Ranessa war gegangen. Lianna lag und wusste nicht, wie sie sich je wieder bewegen sollte.

      Eine Woche nach seinem ersten Besuch suchte Melnir Tiefgräber den Schmied erneut auf, zumindest versuchte er es, denn die Schmiede war verschlossen. Melnir war verärgert. Es regnete und stürmte, und er hatte unter größtem Unwillen die Unterstadt verlassen. Wo trieb Eisenfels sich herum? Hatte er sich schon wieder auf eine seiner Reisen begeben? Der Tag der Abreise seines Sohnes näherte sich. Die Axt musste fertig werden.

      Melnir überquerte die nasse Straße, wobei er versuchte, die tiefsten Pfützen zu vermeiden, und klopfte an der Tür des Wohnhauses. Nichts tat sich. Die Fensterläden waren geschlossen. Nichts war zu hören.

      »Meister Eisenfels!«, rief er laut. Keine Antwort.

      Nach weiterem vergeblichem Klopfen und Rufen gab er es auf. Nass, durchgefroren und äußerst übellaunig kehrte er in die Unterstadt zurück.

      Was bildete der sich ein? Schließlich hatte man anderes zu tun, als ihm hinterher zu laufen, und wenn seine Waffen zehnmal die besten von Hochstahl und Umgebung waren.

      Keine Art, so was. Nicht mal ein Hinweisschild. Kein Geschäftsgebaren.

      Tags darauf trat Melnir den Weg erneut an. Diesmal, wenn er ihn nicht antreffen würde, so schwor er sich, ginge er zur Konkurrenz.

      Diesmal war die Schmiede offen, auch wenn keine Arbeitsgeräusche aus ihr drangen. Melnir spähte durch die Tür.

      An der kalten Esse saß der Schmied auf einem Hocker und starrte vor sich auf den Boden. Er trug seine Lederschürze und hatte die Ärmel seines Hemdes hochgestreift, doch das war das Einzige, was an Arbeit erinnerte.

      »Meister Eisenfels«, sprach er ihn an. Der andere hatte ihn offenbar nicht kommen hören, denn er schrak auf und kam von seinem Hocker hoch, wobei er leicht schwankte.

      Melnir trat einen Schritt näher.

      »Ich will mich nach der Streitaxt für meinen Sohn erkundigen«, sagte er. »Das wollte ich gestern schon, aber aus unerfindlichen Gründen hattet Ihr geschlossen.«

      »Gestern«, murmelte der Schmied, der sich schwer an die gemauerte Wand der Esse lehnte. »Ich war ... krank, gestern. Tut mir leid, dass Ihr den Weg umsonst gemacht habt.«

      Melnir musterte den Schmied. Er hatte plötzlich eine recht lebhafte Vorstellung von der Art dieser Krankheit. Der unstete, verschwollene Blick des Mannes und sein Schwanken verrieten ihn.

      »Nun, dann freut es mich zu sehen, dass Ihr wieder auf den Beinen seid«, log Melnir. »Wie steht es denn mit der Axt?«

      Der Schmied sah ihn an mit einem Blick, der von weither kam.

      »Welche Axt?«

      »Die Axt, die ich letzte Woche für meinen Sohn in Auftrag gegeben habe.«

      »Ich weiß nichts von einer Axt«, murmelte der Schmied.

      »Na großartig«, schnaubte Melnir. »Drei Wege hinauf in dieses scheußliche Wetter und eine Woche Zeit verloren, für nichts! Ich bedanke mich wirklich für das Entgegenkommen!«

      »Schreit hier nicht herum«, sagte der Schmied mit schwerer Zunge. »Das ist mein Haus. Hier wird nicht geschrien.«

      »Dann sag‘ ich’s Euch ganz leise«, erwiderte Melnir wütend. »Betrachtet den Auftrag als gekündigt! Ich werde mir einen anderen Schmied suchen, der zuverlässig arbeitet und seine Vereinbarungen einhält, anstatt sich zu betrinken!«

      »Das könnt Ihr gerne tun«, sagte der Schmied gleichgültig und ließ sich