»Mitgefühl und echte Zuneigung haben nichts mit Geld zu tun«, antwortete Grit fast fröhlich. »Sie sind viel kostbarer als alle Schätze dieser Erde. Ich mag Sie, Hans. Sie haben mir sofort gefallen. Nicht, weil ich momentan in einer schwierigen Lage bin, sondern weil es Menschen wie Sie nur selten gibt. Menschen, die fähig sind, selbstlos zu lieben. Sie haben es bei Anja bewiesen, Hans. Ich bewundere Sie.«
»Sie könnten sich also denken, dass wir …, dass Sie und ich …« Hans Strasser geriet vor lauter Aufregung ins Stammeln und kam nicht weiter.
»Ich könnte mir vorstellen, dass wir ein glückliches Leben zu dritt führen.« Grit lächelte charmant und sah dabei so süß aus, dass Hans noch verwirrter wurde.
»Anja gehört natürlich zu uns. Sie lieben Anja, ich liebe sie. Das Kind würde in unserem Leben die Hauptrolle spielen.« Hans bohrte die Fingernägel ins Fleisch seiner Handflächen. Was redete er nur für einen Unsinn? Warum nahm er die zauberhafte Grit nicht einfach in die Arme? Warum hatte er nicht den Mut, den lockenden roten Mund zu küssen?
»Ich bin sehr glücklich darüber, dass Sie das sagen«, meinte Grit ernst. Sie war ausgesprochen froh, dass Hans ihr Zeit ließ, die Überraschung zu überwinden. Solche Rücksicht hatte David Danner nie gekannt. Deshalb hatte sie sich auch immer ein wenig vor ihm gefürchtet.
»Das mit Danner«, forschte Hans vorsichtig, »tut es noch sehr weh?«
Grit schüttelte temperamentvoll den Kopf. »Es war schon zuvor alles zu Ende. Es war enttäuschend, aber weh … hat es eigentlich nicht getan. Dazu war die Beziehung zu oberflächlich. Ich glaubte verliebt zu sein und war doch nur geblendet von einem Schwätzer und Schöntuer. Heute bereue ich sehr, dass ich nicht auf die Warnung meines Bruders gehört habe. Er hat das alles vorausgesehen.«
Tröstend griff Hans nach der schmalen Hand seiner Begleiterin und strich zart über Grits Finger. »Werden Sie jemals wieder einem Mann voll vertrauen können, Grit? Nach allem, was man Ihnen angetan hat?«
»Ich glaube, ich habe eine Menge dabei gelernt«, antwortete die junge Frau nachdenklich. »Ich kann jetzt unterscheiden zwischen Heuchlern und Menschen, die es ehrlich meinen. Sie, Hans, gehören zu der letzten Gruppe. Ihnen vertraue ich.«
Aufmerksam sah Grit in die Augen des Mannes. Sein Blick faszinierte sie. Immer langsamer wurden ihre Schritte. Es war, als ob sie in diesen gütigen braunen Augen eine ganz neue Welt entdeckte. Eine Welt ohne glitzernden Flimmer und künstliches Licht. Eine Welt der Ruhe, der Geborgenheit und des Glücks.
Wie unter einem geheimen Zwang blieb Grit stehen. Sie sehnte sich danach, von Hans in die Arme genommen zu werden, seinen Mund auf ihren Lippen zu spüren.
Hans empfand ähnlich. Der Wunsch, Grit möglichst nahe zu sein, war so übermächtig in ihm, dass er ihn nicht länger unterdrücken konnte. Er las in Grits blauen Augen, dass sie ihn gern hatte. Ein nie gekanntes Glücksgefühl beherrschte ihn plötzlich, behutsam und doch innig zog er das geliebte Mädchen an sich.
»Wie schön du bist«, flüsterte er andächtig. »Wie wunderschön …« Fast schüchtern berührte er das duftige silberblonde Haar, fuhr über die zarten Wangen.
Grit hielt ganz still. Es war ein riesiger Unterschied zwischen Davids temperamentvollen Umarmungen und der zarten, behutsamen Liebe, die Hans ihr entgegenbrachte.
»Noch nie war jemand so lieb zu mir«, flüsterte sie glücklich.
»Das ist erst der Anfang. Unsere Liebe wird wachsen und von Jahr zu Jahr größer und schöner werden, weil sie nicht auf Äußerlichkeiten beruht, Grit, sondern aus dem Herzen kommt. Wir werden sehr, sehr glücklich sein. Willst du meine Frau werden, Grit? Ich kann dir nicht so viel bieten wie Danner. Aber ich werde dir Treue beweisen, ein ganzes Leben lang.«
»Ich will«, flüsterte sie lächelnd. »Weißt du nicht, dass Reichtum nichts mit Glück zu tun hat? Auch wenn unser Heim bescheiden sein wird, wird doch das Glück darin wohnen. Ist das nicht viel, viel mehr wert als aller Luxus?«
Hans zog die schlanke Grit noch inniger an sich. Voll Zärtlichkeit legte er seinen Mund auf ihre Lippen und küsste sie unendlich liebevoll.
Erst jetzt hatte Anja bemerkt, dass das Paar stehen geblieben war. Temperamentvoll drehte sie sich um und lief den Weg zurück. Etwa zwei Meter vor Hans und Grit blieb sie stehen und legte das Köpfchen schief. Was dieser Kuss, den die beiden tauschten, zu bedeuten hatte, ahnte sie sofort. Hatte Nick nicht am Frühstückstisch getuschelt, dass es bald eine Hochzeit auf Sophienlust geben würde? Erst jetzt begriff Anja, was er damit gemeint hatte.
»Zur Verlobung«, schrie Anja und hielt Hans und Grit ihr Sträußchen entgegen.
Ein wenig erschrocken fuhren die beiden auseinander. Im Überschwang der Gefühle hatten sie Anja ganz vergessen. Jetzt blinzelten sie überrascht in das lachende Kindergesicht.
»Woher weißt du denn …«, stammelte Grit, die sich als Erste wieder gefasst hatte.
»Weil ihr euch geküsst habt«, erklärte Anja altklug. »Nick sagt, das macht man bei jeder Verlobung.«
Hans nickte strahlend. »Komm mal her, Anja«, bat er leise. »Wir haben eben beschlossen, recht bald zu heiraten. Und dich wollen wir als unser Töchterchen adoptieren. Was hältst du davon?«
Anjas hübsches Gesichtchen wurde ernst. »Brauche ich dann nicht in ein Heim?«, erkundigte sie sich misstrauisch.
»Nein«, versicherte Grit rasch. »Du bleibst bei uns, und wir wollen immer gut zu dir sein. Du sollst froh und glücklich aufwachsen.«
Anja sah von dem einen zum anderen. »Euch habe ich am allerliebsten«, beteuerte sie. »Seid ihr dann wie Vati und Mutti für mich?«
»Ja, Anja.« Hans strich über die blonden Haare des Kindes. Es war eine zärtliche, liebevolle Geste.
»Bekomme ich auch wieder einen kleinen Bruder?« Anjas dunkle Augen glänzten sehnsüchtig.
Überrascht sahen sich Grit und Hans an. »Vielleicht«, antworteten sie dann gleichzeitig.
»Und wenn es ein Schwesterchen wäre?« Grit lächelte spitzbübisch.
»Dann soll sie Heidi heißen, nicht wahr?«
»Einverstanden!« Hans legte den einen Arm um Grit, den anderen um Anja. So gingen die drei langsam den Weg zurück.
*
»Spielst du mit uns Pferdedieb?« Heidi und Vicky zupften gleichzeitig an Pünktchens dunkelblauem Faltenrock. »Waldi ist das Pferd, und Fabian ist der Dieb. Du darfst Polizeimeister Kirsch spielen.«
Pünktchen schüttelte energisch die Plagegeister ab. Seit einigen Tagen war das Pferdedieb-Spiel Favorit bei den Freizeitbeschäftigungen in Sophienlust. »Ich habe keine Zeit.«
»Willst du vielleicht lieber Herr Strasser sein?«, erkundigte sich Heidi.
»Ich habe Frau Rennert versprochen, ihr ein bisschen zu helfen«, erklärte Pünktchen und faltete geschäftig Servietten zusammen. »Ihr wisst doch, dass wir am Nachmittag draußen im Park Kaffee trinken. Es soll ein richtiges kleines Fest werden.«
»In Magdas Küche stehen schon sooo viele Kuchen!« Vicky machte eine weit ausholende Handbewegung. »Man darf heute überhaupt nicht rein.«
»Ich weiß auch, warum«, tuschelte Heidi geheimnisvoll. »Weil sie Erdbeereis macht. Das soll nämlich eine Überraschung sein.«
»Dann darfst du es doch nicht verraten«, rügte Pünktchen.
»Och, das vergesst ihr doch wieder«, rechtfertigte sich Heidi.
»Wollt ihr den Tisch mit Blumen schmücken? Justus hat schon alles aufgestellt, und Schwester Regine lässt sich eben von Frau Rennert die Tischtücher geben.«
»So, wie bei einem Kindergeburtstag?«,