»Feiern? Wovon denn?« Frank zog verächtlich die Mundwinkel nach unten. Was er als Zeitungsausträger und Übersetzer nebenbei verdiente, reichte knapp für die Miete in einem Pariser Vorort. Trockenes Brot zu essen, war ihm zur Gewohnheit geworden. Als Getränke gab es Wasser, das der Hahn seines spärlich möblierten Zimmerchens spendete.
Frank Brehm hatte keine Angehörigen mehr. Dass er dennoch studieren konnte, verdankte er seiner Intelligenz und seinem Fleiß.
»Ich lade dich ein«, murmelte Bert und rechnete in Gedanken sein restliches Geld nach. Viel war es nicht, aber für ein bescheidenes Essen in einem billigen Restaurant würde es reichen.
»Kann ich doch nicht annehmen.« Frank übersah, dass man ihm neugierig nachschaute. Er hatte erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Mit dreiundzwanzig Jahren hatte er sein Examen abgelegt, mit fünfundzwanzig würde er voraussichtlich den Doktor machen. Dennoch konnte er sich über den Erfolg nicht freuen. Überhaupt freute ihn nichts, seit er in Paris war.
»Kannst du doch.« Bert trat dem Freund unsanft auf den Fuß. Die beiden hatten jetzt den breiten Mittelgang erreicht, drängten sich zwischen anderen Leuten zum Ausgang der Universität.
Ein junges Mädchen war plötzlich neben den beiden. Yvonne Boulais, eine Kommilitonin. »Oh, Bert und Frank. Ihr kommt doch auch zu meiner Party?« Die dunkelhaarige Französin mit den glutvollen Augen lachte fröhlich.
Bert trat seinem Freund noch einmal auf den Fuß. Diesmal kräftiger. Dann meinte er leutselig: »Selbstverständlich kommen wir.«
Yvonne nannte ihre Adresse und die Uhrzeit.
Endlich standen Frank und sein Freund auf dem weiten Vorplatz. Viele Studenten wurden hier von ihren Eltern und Verwandten in Empfang genommen. Doch Frank und Bert gehörten zu jenen, die keine Angehörigen in Paris hatten. Niemand wartete auf sie.
»Du hast es gut, alter Junge, du kannst nach Hause zurückkehren«, sagte Bert in neidloser Anerkennung.
»Du vergisst, dass ich kein Zuhause habe«, erwiderte der schlanke junge Mann und kickte verbittert ein Steinchen weg.
Bert blies die Backen auf. »Oller Miesepeter«, schimpfte er. »Nur weil dir dein Mädchen nicht mehr schreibt, kann man mit dir nicht mehr vernünftig reden. Das geht doch wirklich zu weit. Dass Freundschaften bei längerer Trennung in die Brüche gehen, damit muss man doch rechnen.«
»Freundschaften«, wiederholte Frank ärgerlich. »Zwischen mir und Sissi war mehr als Freundschaft. Wir wollten für immer beisammenbleiben und heiraten, sobald ich mein Examen haben würde.« Frank ging immer schneller. Es war, als wollte er vor seinen eigenen traurigen Gedanken davonlaufen.
»Wie alt war denn deine Sissi?«
»Sechzehneinhalb. Inzwischen ist sie mehr als siebzehn.« Frank bog in den Parc de Montsouris ein.
»Na also. In diesem Alter wissen die Mädchen doch noch nicht, was sie wollen. Inzwischen hat sie sich’s eben anders überlegt.«
»Freilich gibt es junge Leute, die in ihren Entscheidungen schwanken«, gab Frank zu. »Aber doch nicht Sissi. Sie ist allein, hat keine Mutter mehr, genau wie ich. Deshalb haben wir uns auch von Anfang an so gut verstanden. Sie ist ein Mädchen, das Wärme und Geborgenheit sucht.«
»Wenn du deine Sissi so gern magst, warum hast du sie dann allein gelassen?«
Frank blieb stehen und sah den Freund an, als zweifle er an dessen Verstand. »Was hätte ich denn tun sollen? Was hättest du getan, wenn du so arm wärst wie ich und jemand dir ein Stipendium für die Sorbonne anbieten würde? Wer würde da nicht mit beiden Händen zugreifen?«
»Und warum hast du sie nicht einfach mitgenommen?« Mehr als ein halbes Jahr kannten sich Bert und Frank schon. Doch für solche Gespräche hatten sie bisher nie Zeit gefunden. Das Studium hatte immer im Vordergrund gestanden. Frank hatte lernen und nebenbei Geld verdienen müssen. Bert ging es kaum besser.
»Warum? So blöd kannst auch nur du fragen. Sissi hat Familie. Eine sehr vornehme sogar. Ihr Vater ist ein reicher Verleger.«
»Auch das noch?« Bert verdrehte die Augen und schickte einen Hilfe suchenden Blick zu den mächtigen Akazien empor, in denen der Sommerwind rauschte.
»Mir ist das völlig gleichgültig. Mir geht es nur um Sissi. Ob sie arm ist oder reich, das spielt für mich keine Rolle.« Frank dachte daran, dass er das Mädchen noch immer innig liebte, obwohl es ihm auf all seine Briefe nie geantwortet hatte, obwohl es ihn vergessen zu haben schien. Diese unglückliche Liebe hatte ihn all die Monate über schwer belastet. Mehr als einmal war er in Versuchung gewesen, alles hier aufzugeben und nach Hause zu fahren, um mit Sissi zu sprechen. Aber sein Pflichtbewusstsein hatte stets über diesen Herzenswunsch gesiegt. Er hatte sein Studium nicht unterbrechen können, ohne kostbare Zeit zu verlieren. Deshalb hatte er durchgehalten und sich stur seinen Büchern gewidmet. Doch er war dabei immer verbitterter geworden. Anfangs hatte er noch von einem Tag zum anderen auf eine Nachricht von Sissi gewartet, doch er war immer wieder enttäuscht worden.
»Ich weiß nicht, wenn du auf mich hörst, dann vergiss deine Sissi.« Wohlwollend klopfte Bert dem Freund auf die Schulter.
»Wahrscheinlich hat ihr der Vater inzwischen klargemacht, dass Arme und Reiche nicht zusammengehören, und sie hat das eingesehen.«
»Du kennst Sissi nicht. Sie ist ganz anders. Reichtum bedeutet ihr nichts. Sie legt nur Wert auf den Menschen selbst. Sie ist so bescheiden, so lieb und so gefühlvoll. Man muss sie einfach gern haben. Sissi ist einmalig, glaub mir. Auf der ganzen Welt findest du kein so nettes Mädchen mehr. Willst du sie einmal sehen?«
Frank zog ein abgegriffenes Foto aus der Tasche. Ein reizvolles junges Mädchen mit langem blondem Haar und leuchtend blauen Augen war darauf zu sehen. Das Lächeln in dem hübschen jungen Gesicht war bezaubernd.
Bert grinste vielsagend. »Tolle Biene«, murmelte er. »Ich kann deine Begeisterung verstehen, alter Junge. Aber gerade weil deine Sissi so hübsch ist, solltest du sie dir aus dem Kopf schlagen. Wahrscheinlich hat der Papa ganz andere Pläne mit ihr, als sie einem frischgebackenen Rechtsverdreher zur Frau zu geben. Sieh dich auf der Party bei Yvonne ein bisschen um. Da gibt es zauberhafte Französinnen. Du wirst staunen!«
»Können mir gestohlen bleiben, deine Französinnen«, fauchte Frank aufgebracht. Er ging nun noch rascher.
»Moment! Heißt das, dass du nicht mitgehst?«
»Du begreifst erstaunlich schnell.«
»Du verzichtest auf ein kaltes Büfett, auf Champagner und Musik, um einem treulosen Mädchen nachzutrauern?« Bert, der etwas kleiner als Frank und viel weniger sportlich war, verfiel in einen leichten Laufschritt, um in der Nähe des Freundes bleiben zu können.
»Genau«, antwortete Frank Brehm ungerührt.
»Und so etwas lade ich mit meinem letzten Geld zum Essen ein«, seufzte Bert.
*
»Jetzt erzähle ich dir schon eine halbe Stunde lang einen Witz nach dem anderen, und du hast noch nicht einmal das Gesicht verzogen«, beschwerte sich Heiko Rössner leicht gekränkt. Es war bereits das vierte Mal, dass er die hübsche Elisabeth Langenburg ausführte. Doch er war bis jetzt keinen Schritt weitergekommen.
Heiko kannte sich selbst nicht mehr. Er, für den es normalerweise eine Kleinigkeit war, ein Mädchen zu erobern, hatte bei Elisabeth einfach kein Glück. Er hatte es bisher weder gewagt, sie in die Arme zu schließen, noch ihr einen Kuss zu geben. Alles Dinge, die für ihn eigentlich selbstverständlich waren.
»Entschuldige. Ich bin einfach nicht zum Scherzen aufgelegt. Es gibt so vieles, was mich bedrückt.« Sissi ahnte längst, dass es der Wunsch ihrer Stiefmama war, sie mit dem charmanten, gut aussehenden Heiko zu verheiraten. Auch ihr Vater schien nichts gegen diese Verbindung zu haben. Er empfing den jungen Mann stets mit erstaunlicher Höflichkeit.
»Können wir nicht darüber reden?« Heiko fühlte sich im vornehmen Fürstenberg-Hotel sehr wohl. Das war die Atmosphäre,