»Gerade eben habe ich einen Anruf für Miss Heyworth erhalten. Von Mister Millar. Er klang etwas ungehalten und meinte, Sie sollten sofort zu ihm kommen.«
Charlotte richtete sich mit einem Seufzer auf und tastete mit ihren nackten Zehen nach ihren Slippern, um hineinzuschlüpfen. »Das ist Walter, mein Teamkollege. Der Kerl stöbert mich einfach überall auf.«
»Nur dein Kollege?«, fragte Richard und bemerkte zu spät, dass er eifersüchtig klang. Er biss sich auf die Lippen.
Doch Charlotte schien erfreut und amüsiert. Sie beugte sich vor, berührte mit ihren Lippen fast sein Gesicht und hauchte: »Ja. Nur ein Kollege.« Dann erhob sie sich. »Das kann nur bedeuten, dass sie ein neues schlafendes Forschungsobjekt für uns haben. Also mache ich mich auf den Weg zu Zugang Drei. Möchtest du mitkommen, Richard? Hast du ein Auto? Dann ginge es schneller.«
»Sehr gern.« Richard ließ die Bücher einfach auf dem Tisch vor sich liegen und erhob sich ebenfalls. »Ein Auto habe ich allerdings nicht. Wir müssen die U-Bahn nehmen. Ich kann dich hinführen, wenn du mir sagst, in welche Richtung wir eigentlich aufbrechen.«
»Bitte nicht führen.« Charlotte klang weinerlich. »Immer wenn jemand versucht, mich irgendwo hinzuführen, komme ich langsamer voran als ohne diese gut gemeinte Unterstützung.« Sie feixte. »Wir müssen nach Greenwich. Dort, im Zugang Drei, werde ich dich mit Walter Millar, einem aufstrebenden Radiologen, bekannt machen. Und du wirst schnell verstehen, warum er nur ein Kollege ist und auch bleiben wird. Er ist ein wenig zickig.«
September 2019
ADA
Ada nahm Maß, holte aus und sah zu, wie ihr Golfball hoch ins Blau des Septemberhimmels stieg, um punktgenau neben dem nächsten Loch zu landen. Sie lächelte.
»Es macht keinen Spaß, mit dir zu spielen, Ada.« Teddy klang frustriert und zog einen anderen Schläger aus seiner Golftasche, begutachtete ihn, steckte ihn zurück, um einen weiteren hervorzuholen. »Andere Kindermädchen lassen ihre Schützlinge beim Spielen gewinnen, wusstest du das?«
»Davon habe ich nie viel gehalten«, erwiderte Ada und hob eine Augenbraue. »Für Kinder unter fünf Jahren mag das ja noch angehen, aber du, mein lieber Teddy, hast jetzt fast die Vierzig erreicht, Valerie ist noch ein paar Jahre älter und sogar die liebe Jig könnte bald ihren Führerschein machen. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich einen von euch noch in Watte packen werde, oder?«
»Watte?« Jetzt war es Teddy, der eine Augenbraue hob. »Ich spreche von Gnade, Ada. Es wäre nett, wenn du mir wenigstens den Hauch einer Chance lassen würdest.«
»Hattest du doch«, behauptete Ada. »Vorhin beim siebten Loch sah es ganz gut für dich aus.«
Teddy grummelte etwas, wählte einen Schläger ohne genaue Begutachtung und schlug einen Ball grob in die richtige Richtung.
Ada kommentierte den Schlag nicht. Stattdessen ließ sie den Blick über das Grün wandern. In Dukes Meadows war der 9-Loch Kurzpark rund um einen See angelegt worden. Überall bildeten Bäume und Büsche kleine Inseln, die dem Gelände das Bild eines gepflegten Parks gaben. Obwohl die Sonne langsam tiefer sank, war dieser Ort belebt.
Ada konnte das Geschrei glücklicher Kinder vom nahen Spielplatz hören. Dort versuchte Jig Kontakte mit jungen Müttern zu knüpfen, um in Erfahrung zu bringen, ob es noch weitere bemerkenswerte Vorkommnisse in Dukes Meadows gegeben hatte. Valerie hielt sich derweil im Clubhaus auf und tat dasselbe.
Sie hatten sich aufgeteilt, um möglichst schnell viel über die Örtlichkeit in Erfahrung zu bringen. Teddy und sie hatten während des Spiels das Gelände erkundet, aber keinerlei Auffälligkeiten bemerkt. Ada hatte auch nicht wirklich erwartet, plötzlich im Grün eines Buchsbaums zwei spitze Schratohren zu erblicken, so einfach machten es die Kerle einem meist nicht. Aber irgendein Hinweis, dass sie auf der richtigen Spur waren, wäre nett gewesen.
Ada seufzte. »Teddy, lass uns zu Valerie gehen. Ich könnte jetzt ein großes Glas eisgekühlte Limonade vertragen, und du brauchst vermutlich einen Drink zum Trost.«
»Klingt verlockend«, stimmte Teddy zu. »Ich liege sowieso uneinholbar weit hinten.«
»Niemand will den, der hinten liegt, einholen, Teddy. Rede keinen Blödsinn.«
Teddy brummte etwas Unverständliches und lief voran.
Ada folgte ihm in gemäßigtem Tempo. Die Tage, an denen sie spürte, dass sie älter wurde, häuften sich. Aber was machte es schon, nicht die Erste an der Bar zu sein, solange man während des Spiels immer noch vorn lag?
Vor dem Clubhaus, unter einem farbenfrohen Sonnenschirm, saß auf einer Holzbank Jig und war ins Gespräch mit einem Mann vertieft. Ada runzelte die Stirn. Wurde sie senil oder war das nicht anders verabredet gewesen? Warum behielt Jig nicht den Spielplatz, die Kinder und ihre Mütter im Auge?
Beim Näherkommen bemerkte Ada, dass Jigs Gesprächspartner das Rentenalter schon eine ganze Weile genoss. Sie schätzte ihn auf Mitte siebzig, vielleicht auch älter.
»Wo ist Valerie?«, hörte Ada Teddy rufen, während er gleichzeitig dem alten Mann die Hand schüttelte.
»Wir haben die Plätze getauscht«, gestand Jig und sah ein wenig zerknirscht aus. »Ich habe mich auf dem Spielplatz nicht so recht wohlgefühlt. Hier ist es angenehmer.«
Ada gab ein leises Schnauben von sich. Dieses Mädchen kannte nur einen Ratgeber und das war ihre allgegenwärtige Angst. Vermutlich hatte sie sich irgendetwas eingebildet oder war vor ihrem eigenen Schatten aus der Sonne bis hierher unter den Schirm geflohen.
Na egal. Valerie konnte sich ebenso gut mit Müttern und ihren Kindern unterhalten wie mit Golfern beim Drink. Und wenn Jig sich hier wohler fühlte, dann war es vielleicht ganz gut so. Hoffentlich hatte sie was Interessantes erfahren.
»Walter besucht schon seit über vierzig Jahren diesen Park«, verkündete Jig in diesem Moment stolz. »Er kennt Dukes Meadows wie seine Westentasche.«
Das alte Männchen erhob sich mühsam von seinem Sitzplatz, als Ada sich ihm näherte, und hielt ihr seine fleckige Rechte entgegen. Mit der Linken zog er sich die Golfkappe vom Kopf, und darunter kam eine nicht weniger von Altersflecken gesprenkelte Halbglatze zum Vorschein.
»Millar ist mein Name. Walter Millar. Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Noch während Ada die Hand des Alten schüttelte, kehrte Teddy von einem Ausflug an die Bar zurück, ein Tablett mit Erfrischungen vor sich her tragend. Für Ada stellte er eine Limonade auf den Tisch, für alle anderen bis zum Rand gefüllte Biergläser. Jig verzog kurz das Gesicht und ließ ihr Glas unberührt stehen.
»Sie sind hier also so gut wie zu Hause, Mister Millar«, bemerkte Ada und ließ sich mit einem Ächzen auf einem der Holzstühle nieder. Er war zu schmal. Die Lehnen drückten ihr in die Seiten.
»Fast mein ganzes Leben habe ich in Chiswick gelebt. Ich wohne hier ganz in der Nähe in einem hübschen Bungalow. Etwas altmodisch vielleicht, aber gemütlich. Ich habe das Haus gewissermaßen geerbt.«
»Wie kann man etwas gewissermaßen erben?«, wollte Ada wissen.
»Nun ja …« Walter Millar schien nach Worten zu suchen. »Ein Freund hat es mir überlassen, wenn man so will. Er wollte, dass sich jemand um das Gebäude kümmert, es instand hält und vor dem Verfall bewahrt.«
»Aha.« Ada nippte an ihrer Limonade und genoss die Kühle auf ihren Lippen und den erfrischenden Geschmack der Zitrone. »Und Sie leben dort allein?«
»Gewissermaßen, ja.« Der Alte lächelte und wechselte dann abrupt das Thema.
Ada fragte sich, wie man gewissermaßen allein leben konnte, schwieg aber.
Mit seinem knorrigen Zeigefinger auf Jig deutend, fuhr der Mann fort: »Ihre junge Freundin hier hat mir verraten, dass Sie Dukes Meadows heute aus Neugier einen Besuch abstatten. Wegen der seltsamen Zeitungsartikel, die