O du fröhliche, o du tödliche. Mila Roth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mila Roth
Издательство: Bookwire
Серия: Spionin wider Willen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783967110319
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andere Wahl gehabt hatte. Sie jedoch der ständigen Gefahr auszusetzen, die sein Job mit sich brachte, erschien ihm mehr als bedenklich.

      Den kleinen Funken in ihm, der bedauerte, selbst niemals Teil einer solchen Gemeinschaft und Familie gewesen zu sein, unterdrückte er reflexartig. So etwas hatte er nie für sich gewollt. Zumindest nicht mehr, seit er zehn Jahre alt gewesen war. Sein Leben gefiel ihm so, wie es war. Fest stand aber, dass er hier nichts verloren hatte.

      Kurz blickte er auf die Pralinenschachtel in seiner Hand, danach wieder in das weihnachtliche Wohnzimmer. Besser, er verdrückte sich jetzt, und bei nächster Gelegenheit würde er Janna nahelegen, sich aus der Arbeit für das Institut zurückzuziehen. Es war einfach nicht fair von ihm, sie zu benutzen, um der dauerhaften Zusammenarbeit mit einem festen Partner zu entgehen. Lieber biss er in diesen sauren Apfel – oder ließ sich etwas anderes einfallen.

      Da Janna sich in diesem Moment zufällig in Richtung des Fensters drehte, trat er hastig einen Schritt zurück und verbarg sich im Schatten eines Busches. Auf leisen Sohlen ging er zur Haustür und legte die Schachtel samt der Karte auf der obersten Stufe ab. Dann verschwand er auf demselben Weg, auf dem er gekommen war.

      ***

      Hocherfreut und zugleich verlegen strich Janna mit den Fingerspitzen über den Karton des neuen Computers, den ihre Eltern ihr als Ersatz für den doch sehr betagten und hin und wieder unberechenbaren PC geschenkt hatten. Um sie herum rumorten noch immer die Zwillinge, raschelten mit dem zerrissenen Geschenkpapier und bewunderten ihre neuen Besitztümer.

      »Das wäre wirklich nicht nötig gewesen. Schon gar nicht nach all den Umbauten, die ihr hier im Haus veranlasst habt.« Sie hatte die Worte nur gemurmelt, doch ihr Vater hatte sie dennoch gehört und lächelte sie liebevoll an.

      »Doch, das war es sehr wohl, mein Schatz.« Er wies mit dem Kinn auf Jannas jüngere Schwester. »Feli hat uns auf die Idee gebracht, weil sie meinte, du würdest dich in letzter Zeit immer öfter über deinen Computer beschweren.«

      »Ach, er wäre bestimmt noch eine Weile gelaufen.«

      »Dieser hier ist aber wenigstens nicht mehr so vorsintflutlich.« Feli stieß Frank mit dem Ellenbogen in die Seite. »Du musst ihn morgen gleich mal anschließen, Bruderherz.«

      Frank hob erstaunt den Kopf. »Warum denn ich?«

      »Weil das Männersache ist.«

      »Wie kommst du denn darauf?«

      »Auf den Knien rumrutschen, sich den Kopf an der Tischkante stoßen ...« Feli grinste und fing sich dafür ihrerseits einen Knuff ihres Bruders ein.

      »Nein, lasst mal, das mache ich lieber selbst.« Janna griff nach dem Schal und den Handschuhen, die sie von den Kindern bekommen hatte. Beides in einem leuchtenden Himmelblau, ihrer Lieblingsfarbe. »Die sind so schön! Jetzt brauchen wir nur noch das passende Winterwetter, damit ich die Sachen auch mal anziehen kann.«

      »Der nächste Wintereinbruch kommt bestimmt«, orakelte ihre Mutter. »Apropos Winter – wollen wir uns nachher nicht wieder alle zusammen einen schönen Weihnachtsfilm anschauen? Einen, in dem auch wirklich Schnee liegt?«

      »Au ja, bitte!« Till klatschte in die Hände. »Ich will Kevin allein zu Haus schauen!«

      »Ja, ich auch!«, fiel Susanna mit ein. »Der ist so toll.«

      »Den Film kennt ihr doch bereits auswendig.« Janna lachte.

      »Egal!«

      »Na gut, dann sucht ihn nachher mal in den Kartons, die noch im Flur stehen.«

      »Au ja!« Schon wollten die Kinder losstürmen, doch Janna hielt sie zurück.

      »He, he, nachher habe ich gesagt! Erst mal wird hier gleich aufgeräumt. Und außerdem sollten wir auch noch den Plätzchenteller auffüllen, und jemand muss mit Bella eine Runde rausgehen.«

      »Ich möchte aber noch ein bisschen meine neuen Sachen anschauen«, protestierte Susanna.

      »Ich auch«, fügte Till prompt hinzu.

      Die Erwachsenen lachten und waren bald wieder in eine Unterhaltung über dies und das verwickelt.

      Janna blickte sinnierend auf ihre Handschuhe, den Schal, den Computer und die weiteren Geschenke, die sie erhalten hatte. In ihrem Nacken prickelte es schon seit einer geraumen Weile. Sie wusste nicht recht, warum, aber sie hatte das merkwürdige Gefühl, beobachtet zu werden. Das war natürlich völliger Unsinn, dennoch wurde in ihr das Bedürfnis übermächtig, sich zu den Fenstern umzudrehen. Sie tat es schließlich wie zufällig und erschrak, als sie meinte, einen Schatten hinter einer der Fensterscheiben verschwinden zu sehen. Innerlich schüttelte sie den Kopf über sich. Wahrscheinlich war es bloß eine Spiegelung des Lichts gewesen, nichts weiter. Wer sollte wohl da draußen im Garten herumstehen und sie beobachten?

      Das Institut fiel ihr ein und die Schurken, die sie im vergangenen halben Jahr gemeinsam mit Markus Neumann hinter Gitter gebracht hatte. Aber die waren alle noch genau dort – im Gefängnis. Anscheinend wurde sie allmählich paranoid.

      »Ich geh mal kurz mit Bella nach draußen«, beschloss sie, auch wenn sie sich innerlich eine dumme Gans schalt. Da draußen war überhaupt niemand.

      Als die Hündin ihren Namen hörte, sprang sie freudig auf und hüpfte um Janna herum, die sich rasch eine Jacke überwarf und nach der Taschenlampe griff, die im Flur auf einem Regalbrett der Garderobe lag. »Bin gleich wieder da, dann können wir anfangen, das Chaos zu beseitigen«, rief sie betont fröhlich und verließ das Haus durch die Seitentür in der Küche. Bella folgte ihr und machte sich draußen sofort auf ihren üblichen Rundgang über das Grundstück.

      Es nieselte leicht, die Luft roch nach nasser Erde und Laub. Die Lichterketten auf dem gesamten Grundstück ließen den Gutshof heimelig und zugleich verwunschen wirken. Janna liebte ihr Zuhause und konnte sich nicht vorstellen, jemals woanders zu leben. Der Anblick ihrer Familie, als sie um das Haus herumging und vom Garten aus durch eines der Wohnzimmerfenster hineinblickte, wärmte ihr das Herz. Ein sanftes Glücksgefühl durchfloss sie. Besser konnte sie es ganz sicher nicht haben.

      Als in einiger Entfernung der Motor eines Autos ansprang, zuckte sie zusammen. Der Wagen fuhr nicht am Gutshof vorbei, sondern entfernte sich in die andere Richtung. Janna lächelte über ihre Schreckhaftigkeit, runzelte aber gleich darauf die Stirn, als der Fahrer des Wagens deutlich Gas gab. Die Stille des Winterabends trug die Geräusche besonders weit, und sie hätte schwören können, den Klang des Motors zu erkennen.

      Aber das war erst recht völliger Unsinn, oder? Und ihr leicht erhöhter Herzschlag sowieso. Sie war wirklich ein dummes Huhn, ärgerte sie sich und rief nach Bella, die Augenblicke später schwanzwedelnd auf sie zu gerannt kam. »Komm, Süße, wir gehen wieder rein und gucken Kevin allein zu Haus. Das bringt mich wenigstens auf andere Gedanken.«

      Warum sie nicht gleich die Hintertür nahm, sondern erst noch einmal zum Tor ging und rechts und links die Straße entlangblickte, darüber wollte sie gar nicht weiter nachdenken. Nur zur Sicherheit, redete sie sich ein. Nicht, dass am Ende doch jemand Fremdes hier herumlungerte. Obwohl Bella in diesem Fall längst Alarm geschlagen hätte. Die Hündin war jedoch zum Haupteingang des Gutshauses gestromert und schnüffelte dort an einer Schachtel herum, deren blaue Zierschleife im Schein der Lichterketten glänzte.

      Überrascht ging Janna zu der dreistufigen Steintreppe, die zur Eingangstür hinaufführte, und nahm das Päckchen in die Hand. Ein Umschlag war daran befestigt, auf der in kantiger Männerhandschrift ihr Name stand. Die Schrift erkannte sie auf den ersten Blick nicht, sondern erst, als sie die Karte aus dem Umschlag zog und den Namen des Absenders las. Ihr Herz hüpfte erneut – vor Überraschung, was sonst? Also war Markus tatsächlich hier gewesen. Sie hatte sich, was das Motorengeräusch anging, nicht getäuscht. Es hatte zu seinem Z3 gepasst. War er es auch gewesen, dessen Blicke sie auf sich gespürt hatte? Nein, so ein Quatsch. Weshalb sollte er sie heimlich beobachten? Andererseits ...

      Mit einer Mischung aus Freude und Nachdenklichkeit betrachtete sie die Schachtel teurer Pralinen und die Karte mit dem einfachen Weihnachtsgruß.