Schreiben und Lesen im Altisländischen. Kevin Müller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kevin Müller
Издательство: Bookwire
Серия: Beiträge zur nordischen Philologie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772001116
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from Henry for three Dollars (vgl. Fillmore 1977: 64f.). Gewisse Teile des Frames sind also Leerstellen auf der Ausdrucksseite, während andere Füllungen sind. Jedes zu diesem Frame gehörende Verb gibt ohne seine optionalen Ergänzungen eine andere Perspektive auf bestimmte Stellen. Das Wort kann aber nur über den vollständigen Frame verstanden werden, den es evoziert und der seine Bedeutung strukturiert (vgl. Fillmore 1982/2006: 378). Das Set von Ergänzungen kann auch das Problem der Polysemie zu einem weiten Grad lösen. Dies demonstrieren Fillmore/Atkins (1992: 81–84) am englischen Lexem risk (als Verb und Nomen), dessen Frame aus zwölf Kategorien besteht: actor, victim, valued objekt, (risky) situation (Lokalpräpositionen in, on), deed (by/in + Gerundium, Infinitiv), actor, intended gain (for), purpose (Infinitiv, Finalsatz), beneficiary (for) und motivation (for). Das Verb hat sieben Bedeutungen (senses), die mithilfe der Valenz unterschieden werden können. Das Subjekt ist entweder durch actor oder victim besetzt und das direkte Objekt durch harm, deed oder valued object. Die übrigen Kategorien können optional als Präpositionalobjekte (intended gain, beneficiary, motivation mit for, risky situation mit Lokalpräpositionen) oder Infinitive (purpose) vorkommen (vgl. Fillmore/Atkins 1992: 81–84, 99f.). Auf welche Kategorie bzw. Stelle des Frames das direkte Objekt oder die Präposition for genau referiert erklären Fillmore/Atkins (1992) jedoch nicht.

      Eine noch feinere Analyse führen Fillmore/Atkins (2000: 91–95, 99) am Verb crawl durch und demonstrieren, wie mithilfe eines Korpus und der Framesemantik die Polysemie des Lexems nicht nur analysiert, sondern auch strukturiert werden kann. Auf dieser Basis lassen sich auch Bedeutungsverschiebungen erklären. Der Vergleich verschiedener Wörterbücher ergab für crawl drei bis sechs verschiedene Bedeutungen, die Kollationierung der verschiedenen Bedeutungen neun Resultate. Diese sind einerseits abhängig vom Subjekt, ob es sich um Menschen (im Besonderen um ein Baby), Tier (im Besonderen Insekt, Krabbe, Schlange, Wurm) oder einen Ort (im Besonderen die Haut) handelt. Daneben spielen Angaben wie die Richtung oder Präpositionalobjekte als Ergänzungen in zwei Fällen eine Rolle, beim Kriechen als unterwürfiges, schmeichlerisches Gebaren eines Menschen mit for und beim Wimmeln von einer Menge auf einer Fläche mit with. Die verschiedenen Bedeutungen lassen sich als Netzwerk darstellen, mit dem prototypischen Kriechen von Mensch und Tier im Zentrum und den verschiedenen peripheren taxonomischen, metonymischen und metaphorischen Verschiebungen (vgl. Fillmore/Atkins 2000: 103). Der Frame besteht hier aus den folgenden Elementen: mover, area, path, source, goal, distance, manner und speed (vgl. Fillmore/Atkins 2000: 109). Die jeweiligen Bedeutungsverschiebungen lassen sich durch diese Elemente erklären: Die Langsamkeit der Bewegung wird beispielsweise auf den Verkehr übertragen, die Art und Weise auf das unterwürfige Verhalten.

      Fillmore (1977: 64f.) widmet sich auch dem Begriff SCHREIBEN, indem er das englische Verb write mit dem japanischen kaku vergleicht, welches dem englischen semantisch weitgehend entspricht, wobei Fillmore das japanische mit somebody guiding a pointed trace-leaving implement accross a surface (Fillmore 1977: 64f.) übersetzt. Das Ergebnis der Handlung im Japanischen kann also nicht nur Schrift, sondern auch eine Skizze oder ein Kreis sein. Das weite Spektrum des englischen write zeigt sich in diversen Ergänzungen: on something, with something, in a language, to somebody, welche wieder an Porzigs (1934/1977: 83) Definition mit den Elementen Sprache, Schreibwerkzeug etc. erinnern. Mit Fillmores Frame kann jedoch das von Porzig beschriebene schreiben viel systematischer analysiert werden. Agens ist beispielsweise der schreibende Mensch (ich schreibe), Thema die Sprache oder die Zeichen (Buchstaben, Sätze, eine Geschichte), Instrument sind Hand und Schreibwerkzeug (mit der rechten Hand, mit dem Bleistift), das Schreibmaterial ist der Ort (auf Papier). Diese Stellen des Frames sind aber meistens Leerstellen. Da die Lexeme in den Füllungen wieder neue Frames evozieren, können die Leerstellen teilweise anhand derer gefüllt werden. Wenn ich eine Postkarte schreibe, sind Schreibmaterial, Schreibwerkzeug und Textsorte schon weitgehend vorgegeben. An diesem Punkt stösst Fillmores Modell allerdings an seine Grenzen, weil es diese Beziehungen nicht integriert.

      Für die Analyse solcher Beziehungen ist die Frametheorie des Kognitionspsychologen Laurence W. Barsalou (1992a, 1992b) besser geeignet, die nicht auf der Syntax, sondern auf der menschlichen Kognition aufbaut, wobei sie die Strukturen auf der Ausdrucksseite der Sprache kaum beachtet. Barsalous Frame strukturiert das Konzept (vgl. Barsalou 1992a: 61), das aus den deskriptiven Informationen besteht, welche man für eine Kategorie kognitiv repräsentiert, und der Intension oder Bedeutung entspricht. Das Konzept lässt sich in Attribute und Werte unterteilen. Das Attribut beschreibt einen Aspekt zumindest einiger Mitglieder einer Kategorie. Die Werte sind wiederum einem Attribut untergeordnete Konzepte. Dies kann ad infinitum betrieben werden, weil die Werte selbst wieder ihre eigenen Konzepte mit Attributen und Werten haben, was bei der Analyse eine gewisse Gefahr mit sich führt. Barsalou (1992a: 29f.) bringt dies in folgendem Satz auf den Punkt: „It is important to remember that constructing a complete conceptual frame for a single category is a challenging and sobering experience.“

      Barsalous Frame lässt sich gut am Verb buy veranschaulichen, welches einerseits zu Fillmores Kaufhandlungsereignis gehört und Barsalou andererseits selbst als Beispiel verwendet. Er strukturiert den Frame in vier Attribute (payment, buyer, seller und merchandise), die sich in der Nomenklatur nur geringfügig von Fillmores Stellen (buyer, seller, goods und money) unterscheiden. Das Attribut payment beispielsweise hat verschiedene Werte für die Bezahlungsarten (cash, check und credit card, vgl. Barsalou 1992b: 159) und ist umfassender als Fillmores money. Die Attribute sind einer Systematik unterworfen, so dass bei einem Frame immer wieder die gleichen Attribute vorkommen und den Kern des Frames bilden, ohne den das Konzept nicht verstanden werden kann (vgl. Barsalou 1992a: 34f.). Wenn der Wert eines Attributs nicht bekannt ist, werden Defaultwerte inferiert (vgl. Barsalou 1992a: 49). Diese ergeben sich aus einem stereotypen Konzept, beispielsweise das Bezahlen mit Bargeld.

      Zwischen den Attributen und Werten bestehen verschiedene Relationen. Die Attribute sind einerseits durch strukturelle Invarianten (structural invariants) verbunden (vgl. Barsalou 1992a: 35–37). Sie werden beispielsweise durch verschiedene Verben des Kaufframes beschrieben: verkaufen zwischen VERKÄUFER und WARE, bezahlen zwischen KÄUFER und WARE, kosten zwischen WARE und BEZAHLUNG und entsprechen weitgehend Fillmores Perspektiven, welche von der Ausdrucksseite her betrachtet verschiedene Attribute beleuchten. Eine weitere Art der Relation sind Beschränkungen (constraints), welchen Attribute und Werte unterworfen sind. Die Attributbeschränkungen (attribute constraints) sind allgemeinen Regeln unterworfen. Barsalou (1992a: 37–40) erklärt sie anhand des Ferienframes, in dem beispielsweise REISEDAUER und -GESCHWINDIGKEIT einander beschränken, weil eine höhere REISEGESCHWINDIGKEIT eine kürzere -DAUER zur Folge hat. Die Wertbeschränkungen (value constraints) sind hingegen spezifischer: wenn zum Beispiel für das Attribut VERKÄUFER der Wert Bäcker zutrifft, werden die Werte des Attributs Ware auf Backwaren eingeschränkt. Durch die Constraints können Werte eines Attributs über ein anderes inferiert werden und sind deshalb entscheidend für das Verstehen des Konzepts.

      Obwohl Barsalou sich hauptsächlich auf die Inhaltsseite konzentriert, bezieht er vereinzelt die Ausdrucksseite bei der conceptual combination mit ein, d.h. die Kombination zweier Konzepte. Das Adjektiv in der Nominalphrase red bird ist eine Füllung mit einem Wert für das Attribut FARBE. Das Adjektiv kann darauf hinweisen, dass die Farbe des Vogels vom Prototyp abweicht. Der Modifikator des Kompositums appartment dog enthält einen Wert für das Attribut LEBENSRAUM/AUFENTHALTSORT des Kopfes. Diese beiden Beispiele zeigen zum einen, dass zwei Konzepte aufeinander einwirken, und zum anderen, dass die Strukturen des Barsalou-Frames auf der Ausdrucksseite vorkommen, auch wenn sie nicht über die Nominalphrase hinausgehen.

      Barsalou geht das Konzept somit von der Inhaltsseite, Fillmore von der Ausdrucksseite her an. Diese Zugänge widerspiegeln sich auch in den Modellen, welche jeweils auf der einen Seite ihre Stärken haben. Wie das Beispiel des Kaufframes gezeigt hat, lassen sich aber beide Modelle verbinden und ihre Qualitäten nutzen, Fillmores Beziehungen von