Von Menschen, Märchen & Moguln. Michael Schottenberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Schottenberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783903217577
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auf der Straße. Arrivals sind willfährige Barzahler. Im Nu bin ich umringt von hilfsbereiten Geistern. Gemeinsam starren wir auf die Mattscheibe. Wird man vor dem Eintippen des Codes nicht immer vor »unbefugten Blicken« gewarnt? In Indien ist Geldbeschaffung Gruppenarbeit. In meiner Linken verspüre ich ein paar Weihrauchkörner. Rechts montiert mir ein Jünger Krishnas ein rotes Wollband ans Handgelenk. »Karma!«, flüstert er und rollt die Augen. Was soll ich um vier Uhr früh mit Karma? Ich brauche Geld. Aber das wollen andere auch. Die Menschentraube schnürt mich ein. Wer sagt’s, die Money Machine ist leer. Der Tross wechselt zur nächsten. Wie ich es letztlich geschafft habe, meine neuen Fans zu überlisten, weiß ich nicht, noch weniger, wie ich sie alle wieder loswurde. Mit einem Bündel glatt gebügelter Mahatma-Gandhi-Gesichter kämpfe ich mich in die Ankunftshalle zurück und lande bei einem der Prepaid-Taxi-Schalter. Ich bin viel zu müde, um auf den Bus ins Stadtzentrum zu warten – falls es so etwas überhaupt gibt. Mumbai hat über achtzehn Millionen Einwohner und mindestens die Hälfte davon strecken mir gerade die Hände entgegen.

      »What’s your name?« Ein Kleinwuchs schnappt nach meinem Rucksack.

      »Austria«, sage ich gedankenverloren.

      »I’m Sebastian. European name. Cochin, Kerala!«

      Na bitte. Vor Jahren bin ich kreuz und quer durch den Süden gereist, in der Stadt Cochin am Arabischen Meer habe ich eine schöne Zeit verbracht. Wenn das nicht verbrüdert. Ich versuche, mit Sebastian Schritt zu halten, eine endlose Rolltreppe bringt uns zwei Etagen tiefer.

      »I never heard a name like Austria!« Der Kleine denkt nicht daran, mein Gepäck loszulassen. Der Chhatrapati Shivaji International Airport, benannt nach einem Marathenkönig aus dem 17. Jahrhundert, ist eine weit verzweigte Stadt unter der Stadt. »Short cut. Time is money!« Sebastian wackelt mit dem Kopf und verschwindet zwischen unzähligen mit laufenden Motoren wartenden Taxis.

      »Air conditioning, Sir?« Wie aus dem Nichts taucht er vor mir auf.

      »No«, sage ich. »AC is expensive!«

      Er hält mir eine Autotüre auf und ich lasse mich auf die steinerne Rückbank fallen. Der Aufschlag in Mumbai ist härter, als ich dachte. Sebastian wirft die Kiste an, ich kurble die »Aircondition« hinunter. Sein Kopf erscheint neben mir im offenen Fenster.

      »Small money, Austria. Please!« Er lächelt und hält mir die Hohle hin. Ich schüttle sie. Sein krätziger Schädel ist jetzt dicht neben mir, er riecht nach Patschuli und Raubtier. Ich krame den kleinsten der großen Scheine heraus, der Südinder schnappt sich den Lappen und verschwindet in der Dieselwolke eines unmittelbar vor uns startenden Rosthaufens. Hopsend vor Fehlzündungen verlassen wir das Flughafengelände.

      »Otel?« Sebi betrachtet mich im Rückspiegel. Ich dachte eigentlich, dass das auf dem Prepaid-Formular steht. Bentley’s Hotel, Colaba. Letzteres ist der Name des Stadtteils. Der Typ hat sichtlich keinen Tau. Entweder ist meine Aussprache so miserabel oder es ist heute nicht sein Tag. Wahrscheinlich beides. Colaba war vor Kurzem in aller Munde, hier ereignete sich ein schwerer Terroranschlag. Indien und Pakistan werden in diesem Leben keine Freunde mehr.

      »Close the window«, zischt Sebastian. Er hat recht. Hier ist sie, die Smog-Glocke, von der man in so ziemlich allen Touristenführern liest. Über dem Moloch hängt Tag und Nacht eine undurchdringliche Chemiewolke. In ein Taxi mit Klimaanlage zu investieren, wäre nicht verkehrt gewesen. Mit Vollgas brettern wir durch die Nacht. Schlaglöcher, Kühe, Mopeds, auf der Straße liegende Menschen, streunende Hunde. Die Fahrt nimmt kein Ende.

      Am Colaba Causeway erwache ich in einem Nebel aus Dunst und Diesel. Die Gegend ist mir bekannt. Shantaram von Gregory David Roberts, eine abenteuerliche Mischung aus Science-Fiction- und Lovestory, ist ein Muss für Bücherwürmer.

      »Otel?« Sebastian wendet sich genervt um, wahrscheinlich hat er die Frage bereits mehrmals gestellt.

      »Bentley’s

      Er wackelt mit dem Kopf und brüllt einen jungen Mann an, der gerade die Straße kreuzt. Ein Köter springt jaulend zur Seite, so scharf hält der Wagen. Der Junge schreit zurück. Das Taxi fährt, es hält, es fährt, es hält. Jedes Mal unterbrochen von Schreierei und ebensolcher Antwort. Mein Hotel ist, scheint’s, unbekannt. Weiter vorne steht das Taj Mahal Palace. Dort, wo einmal Straßen waren, wird jetzt Ackerbau betrieben. Wir befinden uns in einem willkürlichen Einbahnchaos.

      Das Bentley’s sollte in unmittelbarer Nähe zum Gateway of India liegen. Hier betrat vor etwas mehr als einhundert Jahren der Opa von Königin Elizabeth II. erstmals indischen Boden. Ihm zu Ehren bauten sie einen Triumphbogen. Von hier aus will auch ich das Land erobern. Die ersten Europäer allerdings waren schon vierhundert Jahre früher da. 1498 legte Vasco da Gama in Kerala an, danach fielen nach und nach die Pioniere der Pauschalreisenden ein und begannen den Subkontinent zu plündern: Portugiesen, Holländer, Engländer, Franzosen und Dänen. Sie alle gründeten Handelsniederlassungen. Lückenlos.

      Ich beschreibe Sebi den Weg, zu Hause habe ich mir den Stadtplan von Colaba eingeprägt. Einige Straßen später bringt er die Karre zum Stehen. Der abgewrackte Kasten liegt in einem ebenso verwahrlosten Garten. Es ist kurz vor sechs. Vor dem verschlossenen Gittertor schreckt eine auf dem Gehsteig liegende Gestalt auf. Conciergen leben gefährlich, das Taxi hätte ihn beinahe überrollt. Missmutig entriegelt er das Tor.

      In der Rezeption brennt kaltes Licht, einige Gestalten dösen auf Bänken und Böden. Ich rufe meinen Namen, hinter der Rezeption taucht der Schädel des Nachtportiers auf. Er mustert mich feindselig. Sein Finger gleitet die Namensliste in einem nach Naphthalin stinkenden Buch entlang, meiner scheint nirgends auf. Schließlich entdecke ich einen Eintrag, bei dem die Abreise mit der meinen übereinstimmt, der dazugehörige Name allerdings lautet auf »Enssinger«. Daneben ist eine Handynummer notiert. Der Mann wackelt mit dem Kopf. Zu Recht. Inder sind Bürokraten, besonders um diese Uhrzeit. Ich lege mein Mobiltelefon auf den Tresen. »Try!« Er dreht die Wählscheibe eines uralten, schwarzen Apparates. Mein Handy brummt. Ich hebe ab. »Enssinger?« Er starrt mich an. Der Name ist falsch, aber Handys lügen nicht. Draußen geht die Sonne auf. Ein paar blütenreine Gandhi-Köpfe wandern von Hand zu Hand. Augenblicke später halte ich den Zimmerschlüssel in der Hand. Die Straße hinunter rechts, Nebenhaus. Tourist Austria Enssinger in der Morgendämmerung von Mumbai.

      In einem kleinen Park hockt ein Mann breitbeinig im Gras und massiert die Schenkel eines Kampfhahnes. Vielleicht bereitet er ihn auch nur auf sein Morgengebet vor. »Welcome to Mumbai!«, krächzt der Alte. Oder der Hahn? Ich wackle mit dem Kopf, ahne, von wem ich wenig später geweckt werde, steige ein paar Treppen hinauf, betrete einen muffigen Raum und öffne das Fenster. Der Hahn spaziert über den Kiesweg und bleibt mitten auf einem kleinen Rasenstück stehen. Majestätisch bläht er den Hals zum Kropf, reckt den Schnabel in den Morgensmog, holt tief Luft und tut einen Schrei, der so laut ist, als gälte es, ganz Maharashtra aus dem Tiefschlaf zu holen. Außer einen, der lässt sich genau in diesem Augenblick auf eine steinharte Matratze fallen. Welcome to Mumbai!

       Eine Landung wie im Märchen

      Mumbai, 16. Februar

      Der Gockel lässt nicht locker. Nach drei traumlosen Stunden wache ich auf. Über mir dreht sich ein Monstrum von Ventilator. Durch die Jalousien fallen grelle Sonnenstrahlen und werfen Linien durch den Raum, als wären sie Teil eines Bildes der englischen Op-Art-Künstlerin Bridget Riley. Auf dem Fenstersims hockt eine Krähe und starrt mit bösen Augen auf den großen weißen Mann, der sich unter falschem Namen in ihr Reich geschmuggelt hat. Scharfe Federn kratzen gegen das Scherengitter. Eine zweite Krähe linst herein. Was sehen sie? Wer hat bis gestern hier gewohnt? Enssinger? Wie begreifen Vögel die Welt? Die letzte Spielzeit meines Theaters habe ich mit Aristophanes’ gleichnamigem Stück eröffnet. Die Tiere errichten ihr Wolkenkuckucksheim. Was mit der »besten aller Welten« beginnt, endet in der schlechtesten – dem Faschismus. Mein geliebter Kumpel, der theatralische Querkopf Schulte-Michels hat inszeniert. Indem ich das Theater verließ, habe ich auch viele meiner Wegbegleiter verloren. Schumi war einer der Liebenswertesten.

      Um ins Badezimmer zu kommen,